Brautkleider auf'm Bauernhof
Mit Schleppe oder Schleier? Mit Strass verziert oder doch lieber mit Perlen? Ganz traditionell in Weiß oder in leuchtendem Rot? Kaum ein Kleidungsstück wird mit solcher Sorgfalt ausgesucht, wie das Hochzeitskleid. Die beste Freundin muss mit zur Anprobe, die Mutter, die schon seit Jahren nichts mehr zu den Klamotten sagen darf, ist plötzlich wieder gefragt, ja manchmal muss sogar Brautvater mit, wenn das Outfit für den wohl bestgeplanten Tag des Lebens ausgewählt wird.
Wochen können ins Land gehen, ehe das Traumkleid endlich gefunden ist. Von der Qual der Wahl kann Grete Laue aus Tellingstedt ein Lied singen. Seit drei Jahrzehnten verkauft sie an der Westküste Schleswig-Holsteins Träume in Weiß, auf einem ehemaligen Bauernhof. Ein kaputter Rücken zwang die Laues die Landwirtschaft aufzugeben, also machte Grete Laue ihr Hobby Mode zum Geschäft. Heute arbeiten 70 Schneiderinnen und Verkäuferinnen auf 2400 Quadratmetern Verkaufsfläche.
Die Ruhe vor dem Sturm, es ist halb 9, an einem Sonnabendmorgen. Noch hat Kirsten Jürgensen, geborene Laue, Zeit für eine Tasse Kaffee und eine Zigarette, doch damit ist bald Schluss. Um 9 Uhr geht es los bei Laue Festgarderobe in Tellingstedt und dann ist an eine Pause lange nicht mehr zu denken. Wie viele Kunden heute kommen, kann Kirsten Jürgensen nicht genau sagen, aber Sonnabend, sagt sie, ist Großkampftag:
"Wir haben dann hier alles voll, also wir haben 118 Kabinen, ein Ameisenhaufen, um 11 Uhr ist hier wirklich das ganze Haus gefüllt mit Kunden."
Über 80 Verkäuferinnen und Schneiderinnen werden sich um die Kunden kümmern, die auf zweieinhalbtausend Quadratmetern Ladenfläche die Qual der Wahl haben. Rund 1300 Brautkleider, 4000 Abendkleider - jeweils von Größe 34 bis 56 - und über 2000 Anzüge stehen zur Auswahl. Dabei begann es ganz harmlos, ein kaputter Rücken zwang Grete Laue vor 31 Jahren die Landwirtschaft aufzugeben:
"Und mit 50 Jahren ist das zu früh, dann ist man überall über. Die Bekannten waren voll im Beruf und da ich hab gesagt, ich fang noch was Neues an. Und überall in der Gegend hingen die Abendkleider, ein –, zweimal getragen, ein zweites Mal tragen viele Leute die ja kaum, und da fing ich einen Second Hand Shop an. Einige wussten hier noch nicht mal in der Gegend, was das war."
Man stelle sich das wirklich mal vor, ein Second Hand Laden vor dreißig Jahren auf dem Dorf. Die Reaktionen der Nachbarn reichten von spöttischem Lächeln bis Hohn:
"Die haben gesagt, wenn das geht, handle ich mit alten Schuhen. Und denn ham sie noch gesagt, man erfährt ja hinterher auch hässliche Sachen, einer hat gesagt, früher hatte sie einen Blaumann an und heute ist ihr nichts mehr genug."
Über 80 Jahre alt ist Firmengründerin Grete Laue mittlerweile, sie hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen, ist aber bis heute tipptopp gekleidet, genauso wie ihre Tochter. Ein Jahr nach Firmengründung stieg sie bei der Mutter mit ein. Natürlich gab es Startschwierigkeiten, vor allem als Mutter und Tochter von Second Hand auf neue Mode umstellten. Beide liebten zwar schöne Kleider und hatten Geschäftsinn, aber sie mussten erst einmal lernen, wie es in der Modewelt so zugeht:
"Also meine Muter ist Bäuerin gewesen, ich bin medizinisch-technische Assistentin gewesen, na ja und am Anfang, wir wussten noch nicht mal, wie wir an neue Ware rankommen, das war also nicht so ganz einfach. Niedlich war ja auch, als wir das erste Mal auf der Messe waren und bei der ersten Firma, also die haben wir heute noch, die gaben uns dann Valuta, wir wussten überhaupt nicht, was Valuta war! Wir waren also wirklich .... (lacht) hatten keine Ahnung. Aber wir haben irgendwie rausgehört, dass das was Gutes ist."
Endlich mussten die Laues nicht mehr Bargeld zum Einkauf mitschleppen. Und sie fanden sich immer besser zurecht. Doch es gab Nobelmarken, die ihre Kollektionen zunächst nicht nach Tellingstedt verkaufen wollten. Lang, lang ist das her, freut sich die Firmengründerin.
"Nun komm se ins Haus (lacht), jetzt werden wir so ungefähr mit Sekt begrüßt. So ändert sich das Leben."
Nun aber los, die ersten Verkäuferinnen trudeln ein, im Aufenthaltraum, der alten Küche der Laues, ist die Luft schon ganz blau vor lauter Zigarettenrauch, es bleiben nur noch wenige Minuten bis zum Start und für einen kurzen Rundgang durch die Geschäftsräume. Am Besten in Begleitung einer ortskundigen Person, Christine Torkena kommt mit, die Enkeltochter der Firmengründerin:
"Mit ins Geschäft gekommen bin ich im Jahr 2000, ich habe allerdings schon während meiner Schulzeit hier immer mit geholfen, also auf den Samstagen, wenn hier 'Highlife-in-Tüten' ist, da habe ich hier immer mit ausgeholfen, entweder im Verkauf in der Brautabteilung oder eben an der Kasse. Ja, ich bin also eigentlich in dieses Geschäft reingewachsen und wenn man das so erlebt, ist es so, entweder man liebt es oder man hasst es, und bei mir ist es halt eher die Liebe geworden."
Von der Küche in die Diele, dann vor der Haustür links ins Nähzimmer, hier im ehemaligen Schlafzimmer präsentierte Grete Laue ihre ersten Secondhandkleider, nebenan im Kinderzimmer zogen sich die ersten Kundinnen noch um. Aber das reichte ja schnell nicht mehr aus:
"Es wurde dann Stück für Stück erst der Kuhstall, dann der Schweinestall und so weiter ausgebaut."
So alle zwei Jahre baut die Familie seitdem an oder um. Laue senior, der ja eigentlich gern Architekt geworden wäre, macht die Entwürfe. Seine Bauleidenschaft hat er übrigens an seine Tochter Kirsten Jürgensen vererbt, sie steigt schon mal im Abendkleid aufs Baugerüst, um die Arbeiten zu überwachen. Bei jeder Einweihung neuer Geschäftsräume schwört sie übrigens, dieses Mal sei es nun wirklich das letzte Mal gewesen; ein Ritual, wirklich ernst nimmt diese Aussage niemand mehr. Rustikal sieht es noch am Anfang des Geschäfts aus, hier hängt die festliche Tagesmode fürs Standesamt, dann kommt die Abendgarderobe, die Herrenabteilung, eine kleine Ecke für die Blumenkinder und dann willkommen im Märchenland:
"Wir haben vier Brautsäle, auch wieder nach Größen sortiert. Sie sehen, hier ist alles mit Stuck verziert, es ist wirklich so ein bisschen 'Sissi-Feeling'. Es ist eben alles da, was die Braut von Kopf bis Fuß braucht, über Schuhe, Kopfschmuck, Handschuh, Tasche, Schmuck auch, das obligatorische blaue Strumpfband, Unterwäsche, halterlose Strümpfe, alles."
Überall hohe Spiegel und kleine Schemel, auf die sich die Bräute später stellen können, damit die ganze Pracht auch ohne Schuhe schön fällt. Die Kleider sind übrigens nach Größen getrennt. Verkaufspsychologie:
"Hier hinten haben wir ein bisschen für sich die größeren Größen. Ja, das ist psychologisch wertvoll, wenn man in Größe 50 nicht grade neben einer Größe 36 stehen muss. Man findet sich, glaube ich, gleich ein bisschen attraktiver, wenn man dann neben Anderen steht, die auch ein bisschen mehr auf den Rippen haben. Das kann ich nun ja auch selbst nachvollziehen."
Mit rotem Samt bezogene Sessel und Sofas laden zum Verschnaufen ein, das ganze Prozedere dauert ja schließlich und die meisten Kundinnen rücken mit Verstärkung an. Häufige Mitwirkende: mindestens eine Freundin und sehr oft weibliche Verwandtschaft, das reicht von Schwägerin und Schwiegermutter, über Schwester und Cousine, bis hin zu Mutter und Großmutter. Die beste Beraterin ist nach der jahrzehntelangen Erfahrung von Kirsten Jürgensen übrigens die Mutter:
"Jede Mutter möchte natürlich, dass ihre Tochter ganz toll aussieht, also im Großen und Ganzen ist die Mutter die ehrlichste Beraterin. Die Freundin ist oftmals gut, aber sie möchte nicht unbedingt, dass sie besser aussieht."
Während die Verkäuferinnen noch die Brautkleider zurechtrücken, kommt schon die erste Kundin.
"Kerstin hat einer von euch Zeit? Ja, super, dann kommen sie doch schon mal mit, einmal Größe 40 soll’s werden für die Dame …"
Ooh, einen Moment bitte, bei der Größe erhebt Kerstin Roth dann doch Einwände. Bei künftigen Bräuten, so scheint es, gibt es zwei Größen. Die eine ist die, die die Frau gerade hat, und die andere die, die sie gerne hätte. So auch bei Kerstin Roth, sie befindet sich, wie sie selbst sagt, gerade in einer "Transferphase", von Größe 40 runter auf 38. Nachdem das geklärt ist, geht’s an die Bügel:
"Ich hab mich vorher schon mal in Zeitschriften informiert und eine Grundrichtung habe ich schon, ich wollte mich hier inspirieren."
Das dürfte wohl gelingen, Auswahl gibt es ja genug, 1300 Brautkleider hängen in ihren Schutzhüllen auf den Bügeln:
"Was meinen Sie, wenn Sie die Reihe durch haben, wollen wir dann vielleicht erst mal anfangen, dass wir uns mal die Größe anschauen, wie sie sitzen und so ...?"
"Ja, das hat mich von Anfang an fasziniert, wie das so aus zwei Lagen besteht, ist relativ schlicht, hat durch so kleine Accessoires etwas Besonderes, hat einen Oberstoff, so ein bisschen durchsichtig und knitterig und ich finde das hat so etwas Besonderes, aber auch nicht so viel Tüdelüt."
Die Tendenz ist deutlich, mindestens zwei Lagen Stoff, eher cremefarben als weiß und schmal geschnitten: Ramborichtung, klärt Kerstin Voss auf:
"Das hier ist Rambo, das ist in diesem Jahr mal wieder der absolute Renner mit, weil es ist nicht so diese ganz weite Form und hat immer ganz viele nette Accessoires und so Kleinigkeiten drauf und die sind eigentlich sehr begehrt, wenn’s so in die schmalere Richtung geht."
Kerstin Roth verschwindet erst mal in die Kabine und da folgt wenig später die erste Ernüchterung, Größe 38 passt überhaupt noch nicht, jetzt ist das Fingerspitzengefühl von Kerstin Voss gefragt:
"Wir probieren mal das Nächste, sonst gehen wir doch dann vielleicht zu 40? Sonst müssen wir gucken, so vom Brustpunkt, man kann ja auch kleiner machen."
"Also, ich habe in den letzten drei Monaten zehn Kilo abgenommen, das krieg ich hin!"
Lassen wir Kerstin Roth in Ruhe weiterprobieren und wechseln in den Saal Größe 40, dort wo unsere erste Braut also noch ist, aber nicht mehr sein will. Hier steht Pauline Thomsen auf einem Schemel, den Kopf ein wenig schräg und betrachtet sich in dem großen Spiegel. Und wie fühlt sich das an?
"Komisch, man zieht ja nicht immer ein Brautkleid an."
Um die Braut herum, drei Frauen. Die Brautmutter sitzt auf dem Sofa, ein rotes Prachtexemplar so ein bisschen im Loriotstil, bestimmt bequem, aber so richtig glücklich sieht Gabriela Matties ehrlich gesagt nicht aus:
"Ich bin kein großer Einkaufsmensch, ist mein Mann eher für zuständig. Wir haben zwei Töchter, also mit den Töchtern loszugehen und irgendwelche Schuhe für Konfirmation oder irgendwas zu kaufen, ich bin da nicht so, weder für mich, noch für andere, mein Mann kann das besser. Aber wenn ich mich drauf eingestellt hab, wenn ich weiß, also das ist völlig egal heute, die haben hier bis 16 Uhr auf, solange habe ich auch Zeit, dann kann ich das."
Und zu Hause wollte die Brautmutter auf keinen Fall bleiben, nein, es ist ihr wichtig, heute dabei zu sein.
"Das stimmt ja irgendwie in das ganze Ereignis mit ein und das ist ja doch ein wichtiger Moment, wenn die Tochter heiratet, oder sie hat schon geheiratet, aber heiratet jetzt kirchlich."
Alexandra Kaptschulla, die Freundin des Bräutigams und dessen Trauzeugin, macht derweil eifrig Fotos. Sie ist zuversichtlich, dass es mit Pauline nicht allzu lange dauern wird.
"Ich glaub, das geht schnell, ich glaub, sie zieht drei, vier Kleider an und zack sind wir durch. Ich glaub, das dauert nicht lang, also sie hat ihre genaue Vorstellung, ihre Richtung, das möchte sie, ich glaub nachher geht es nur noch um Creme oder Weiß und ob lange Schleppe oder nicht, und dann ist sie durch damit."
Schulterfrei mit Neckholder sollte es sein und genau so ein Exemplar hat Pauline Thomsen nun auch an. Das Kleid ist bestickt mit Blumenornamenten, ein Reifrock sorgt dafür, dass es sich unten schön bauscht und dann ist da noch eine lange Schleppe. Das hier ist das erste Kleid, das Pauline Thomsen angezogen hatte, danach probierte sie das gleiche Modell mit einem eckigen Ausschnitt und einer anderen Schleppe an, jetzt ist sie wieder bei ihrer ersten Wahl abgelangt.
"Erstes Kleid an und zack."
Freut sich die Braut, die sich sichtlich wohl fühlt in ihrem Traum aus Creme:
"Also ich wollt ja eigentlich nicht so pompös, aber.... Ich möchte so ein Diadem, dann sehe ich aus wie so ne Königin."
Typisch, meint Kirsten Jürgensen:
"Also, wir haben oftmals welche, die kommen auf dem Motorrad vorgefahren und wollen also was ganz Schlichtes und dann gehen sie doch als Sissi raus."
Es ist tatsächlich erstaunlich, was für Verwandlungen hier zu beobachten sind. Sie kommen in Jeans und sportlichen Schuhen, wühlen sich zunächst etwas unsicher durch die riesige Auswahl, kämpfen mit Schleppen und Reifröcken, um dann hocherhobenen Hauptes durch die Verkaufsräume zu schreiten.
Das ist natürlich eine stark verkürzte Version, das Ganze dauert im günstigen Fall Stunden, kann aber auch mehrere Einkaufstage in Anspruch nehmen. Nichts für schwache Nerven und offenbar nichts für Männer, die sind hier so selten wie Einhörnern und ähnlich scheu. Dahinten kommt einer, ein paar Schritte hinter den Frauen, schätzungsweise Mitte, Anfang Fünfzig, Brautvater, richtig?
"Bin ich leider, ja."
"Was hast du heute Morgen gesagt: Na ja, die Väter sind immer arm dran, weil das immer sehr viel Geld kostet, wenn man hierher geht."
Rolf Hansen betritt heute Neuland, Ehefrau Frauke und Tochter Britta waren schon in der Woche hier, da musste der Brautvater aber arbeiten.
"Einer muss ja Geld verdienen, damit das bezahlt werden kann. Ich bin so einer: Schnell hin, kaufen, weg, nech."
Soo schnell wir es heute aber nicht gehen, das Brautkleid soll abgesteckt werden, das dauert, und das weiß Rolf Hansen wohl auch, aber er wollte doch schon mal einen Blick riskieren.
"Sehr wichtig, nicht dat 'ne Überraschung nachher kommt und ich erkenn sie gar nicht wieder. Könnte passieren ne."
Wird es aber nicht, da kommt Tochter Britta, ein bisschen verlegen präsentiert sie sich ihrem Vater. Für beide, so scheint es, eine eher ungewohnte Situation:
"Jo, sieht hübsch aus, mach ich leiden, nicht so eintönig, da oben so ein bisschen farblich abgemustert, so. Ja gefällt mir."
Ein Glück, aber was hätte er auch sagen sollen, das war ja quasi nur die Endabnahme. So ist das eigentlich immer, sagt Brautmodenexpertin Christine Torkena:
"Der Brautvater ist meistens auch ganz gerührt, darf aber in den wenigsten Fällen das Brautkleid wirklich mit aussuchen, sondern kommt meistens erst dann hinzu, wenn die Entscheidung schon getroffen worden ist, durch eben die Braut, Brautmutter und vielleicht die beste Freundin; der ist häufig für den finanziellen Aspekt gut."
Aber keine Regel ohne Ausnahme, es gibt auch Männer, die sich zwischen Schleier, Schleppe und Spitze wie zu Hause fühlen. Frank Arndt ist so einer, obwohl er jetzt gerade die Orientierung und seine Frauen verloren hat.
"Ich suche die grade, ich hab die grade verloren, meine Frau und die Braut, die sind jetzt bei der Anprobe in der Schneiderei. Ich war schon mal sechs Stunden hier, aber hab mich grade verlaufen. Ich wollte mal gucken, wie der Stand der Dinge ist."
Aber nicht etwa um zu drängeln, nein, Frank Arndt war von Anfang an dabei und fühlt sich zwischen all den Bräuten richtig wohl.
"Weil ich modebewusst bin und Freude daran habe, jemanden und auch mich auszustatten."
Und Frank Arndt hat ganze Arbeit geleistet, hat sich selbst, den Bräutigam, die Brautmutter und nicht zuletzt die Braut ausgestattet. Die hat er inzwischen wiedergefunden:
"Ich bin begeistert, das ist jetzt die dritte Anprobe und ich sehe, alle sind zufrieden. Jetzt wird hier noch die Schleppe hochgebunden, da werden lauter kleinen Knöpfe eingenäht, das ist eine ganz komplizierte Arbeit."
Ein Mann mit Modebewusstsein, der mit seiner Schwiegertochter Claudia Arndt um die Wette strahlt. Der künftigen Braut liegt eine Schneiderin zu Füssen, während sie auf einem Schemel steht und das ganze Prozedere abwartet. Ihre Hochzeit kann kommen, sie hat das Schwierigste eigentlich ganz entspannt hinter sich gebracht. Und das, sagt sie, verdankt sie nicht zuletzt ihren klugen Schwiegereltern:
"Ich bin auch immer nur mit denen hier, also nicht mit der ganzen Horde, wie die anderen Mädchen. Die tun mir schon leid manchmal, sind völlig mit den Nerven fertig, die wussten schon gar nicht mehr, was sie anziehen sollten, also was ihnen steht und haben gesagt, wir kommen noch mal wieder und wieder mit der ganzen Horde, also das ist...
Da bin ich ganz froh, dass meine Schwiegermutter gesagt hat, wir machen das alleine und deine ganzen Freundinnen, die sollen mal bleiben, wo sie sind, ja."
Ob Dietrich Packhäuser wohl gerade mit seiner Beratergruppe hadert? Schlank, mit einem modischen Kinnbärtchen, weiß er ja eigentlich, was er will:
"Weinrot möchte ich eigentlich haben."
Würde ihm auch gut stehen, aber er ist ja nicht allein:
"Also, was er da jetzt anzieht, das ist nicht dem Brautkleid gemäß und nicht festlich genug!"
"Ehrlich ?"
"Vergiss es."
Eine Frau der deutlichen Worte, Brigitte Berg möchte eben, dass bei der Hochzeit ihrer jüngsten Tochter alles zusammenpasst und Brigitte Berg weiß, was ihre Tochter vor dem Altar tragen wird, im Gegensatz zum Bräutigam:
"Nein, weiß ich nicht, das ist irgendwie so eine Tradition, die bei uns auch in der Familie irgendwie hochgehalten wird und von daher weiß ich das nicht."
Manches ändert sich eben nie, die Männer dürfen ihre Frauen eigentlich nie vor der Hochzeit sehen und sie müssen sich an die Kleider der Frauen anpassen. Darauf achten auch Verkäuferinnen wie Maiken von der Heide. Vor Jahren ist sie von Brautabteilung zu den Herren gewechselt:
"Erst war ich ein bisschen traurig, dass ich von der Bräuten hier her musste, aber eigentlich finde ich es schöner hier, weil Männer einkleiden macht schon mehr Spaß, die sind unkomplizierter, weil sie im Allgemeinen nicht so viele Berater mitbringen das ist bei den Bräuten manchmal so, dass da sechs Frauen sitzen und sechs Meinungen natürlich und das macht die ganze Sache dann immer sehr, sehr schwierig, das haben wir hier unbedingt."
Nicht nur deswegen sind die Männer eigentlich immer ganz flott durch damit:
"Die mögen dann ja auch oft auch nicht so gerne fünf Sachen an- und umziehen, wissen sie wahrscheinlich auch von ihrem eigenen Mann, wenn die erste Hose nicht passt, hat er schon keine Lust mehr, ne? Genau und das ist, da müssen wir wissen, so die Größe, dass er also höchstens ne zweite Hose anziehen muss. Die Größen müssen schon ungefähr stimmen, ich darf dem nicht schon vier Sakkos hinhalten und das vierte passt immer noch nicht, das ist dann natürlich ein bisschen doof für den Herren, aber das lernt man ruckzuck."
Und beim Mann geht es ja nur um Sakko, Hose, Hemd, Krawatte, Schuhe und vielleicht noch eine Weste. Bei den Frauen gehört eben mehr dazu. Nehmen wir doch mal Pauline Thomsen. Sie ist tatsächlich bei ihrem ersten Kleid geblieben und hat damit vermutlich gerade einen neuen Rekord aufgestellt, oben rum sieht’s schon ganz gut aus:
"Mit meinem Dekollete bin ich voll zufrieden …"
Aber es fehlen noch die Handschuhe und der Haarschmuck. Und wenn das dann ausgesucht ist, kommt noch eine winzige Kleinigkeit hinzu, damit ist Maike Angermann gerade beschäftigt. Der Teufel steckt im Detail,
"Wir suchen grad das Strumpfband aus, von dem jeder redet. Das wird ja dann ja später auch jeder sehen?"
Wird das etwa kontrolliert? Gucken etwa alle der Braut unters Kleid?
"Das weiß ich auch nicht so genau."
Aufklärung tut Not. Großmutter Ilse Angermann kennt sich aus mit Riten und Traditionen:
"Das wird versteigert, dann kommt vielleicht noch ein bisschen Geld in die Kasse, vielleicht für die Hochzeitsreise oder so."
Na das haut’ s dann ja auch nicht raus. Überhaupt. Über Geld haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Eine kurze Umfrage ergibt folgendes Bild: Limits scheinen die Ausnahme zu sein. Werden sie vom Traumkleid überschritten, wie bei Pauline Thomsen, wird die monetäre Latte eben kurzerhand etwas höher gesetzt, Prinzessinnenträume dürfen anscheinend am schnöden Mammon nicht zerplatzen. Kritische Stimmen, wie die von Birgit Kehlert, sind eher selten und außerdem halbherzig.
"Also da gehen Summen über den Tisch, ohne das es nötig wäre. Man hat ja was im Schrank, es ist ja nun nicht so, dass wir alle nichts anzuziehen hätten, aber wenn die eigene Tochter heiratet, muss es vielleicht doch noch ein neues Kleid sein? Ich hab letztes Jahr Silberhochzeit gehabt, habe ein neues Kleid gekauft."
Und was passiert mit all den Träumen aus Satin, Seide und Spitze?
"Das hängt im Schrank, in einem Kleidersack und der Schrank wurde dazu gebaut, dass ist doch sehr lang, das passt nicht so in den normalen Schrank rein."
"Nee ich darf das auch gar nicht verkaufen, Vorgabe von meinem Vater, bringt Unglück. Es muss einfach aufbewahrt werden, der ist da sehr abergläubisch."
Nebenbei bemerkt, in den privaten Kleiderschränken der Laues hängen keine weißen Tüllträume. Grete Laue, Kirsten Jürgensen und Christine Torkena sind zwar verheiratet, aber keine wagte den Schritt in Weiß, irgendwie kam immer etwas dazwischen, so ist es Tradition in Tellingstedt:
"Bei meiner Oma da war der Vater kurz vor der Hochzeit gestorben, und dann ist es eben Tradition, dass die Braut dann nicht weiß, sondern schwarz trägt, das hat sie dann gemacht. Bei meiner Mutter war es so, dass weder mein Vater noch meine Mutter in der Kirche waren und die haben nur standesamtlich geheiratet und da gab es ein schwarzes Kleid mit weißen Blümchen drauf und ich hab auch nur standesamtlich geheiratet und das war so’ ne Hauruckentscheidung hätte ich fast gesagt, montags entschieden, freitags getan, da war es auch in Schwarz mit Rot, aber ein champagnerfarbenes oder ein weißes Brautkleid im herkömmlichen Sinne hat bei uns in der Familie noch nie jemand getragen, aber wir kennen uns bestens damit aus."
Die Ruhe vor dem Sturm, es ist halb 9, an einem Sonnabendmorgen. Noch hat Kirsten Jürgensen, geborene Laue, Zeit für eine Tasse Kaffee und eine Zigarette, doch damit ist bald Schluss. Um 9 Uhr geht es los bei Laue Festgarderobe in Tellingstedt und dann ist an eine Pause lange nicht mehr zu denken. Wie viele Kunden heute kommen, kann Kirsten Jürgensen nicht genau sagen, aber Sonnabend, sagt sie, ist Großkampftag:
"Wir haben dann hier alles voll, also wir haben 118 Kabinen, ein Ameisenhaufen, um 11 Uhr ist hier wirklich das ganze Haus gefüllt mit Kunden."
Über 80 Verkäuferinnen und Schneiderinnen werden sich um die Kunden kümmern, die auf zweieinhalbtausend Quadratmetern Ladenfläche die Qual der Wahl haben. Rund 1300 Brautkleider, 4000 Abendkleider - jeweils von Größe 34 bis 56 - und über 2000 Anzüge stehen zur Auswahl. Dabei begann es ganz harmlos, ein kaputter Rücken zwang Grete Laue vor 31 Jahren die Landwirtschaft aufzugeben:
"Und mit 50 Jahren ist das zu früh, dann ist man überall über. Die Bekannten waren voll im Beruf und da ich hab gesagt, ich fang noch was Neues an. Und überall in der Gegend hingen die Abendkleider, ein –, zweimal getragen, ein zweites Mal tragen viele Leute die ja kaum, und da fing ich einen Second Hand Shop an. Einige wussten hier noch nicht mal in der Gegend, was das war."
Man stelle sich das wirklich mal vor, ein Second Hand Laden vor dreißig Jahren auf dem Dorf. Die Reaktionen der Nachbarn reichten von spöttischem Lächeln bis Hohn:
"Die haben gesagt, wenn das geht, handle ich mit alten Schuhen. Und denn ham sie noch gesagt, man erfährt ja hinterher auch hässliche Sachen, einer hat gesagt, früher hatte sie einen Blaumann an und heute ist ihr nichts mehr genug."
Über 80 Jahre alt ist Firmengründerin Grete Laue mittlerweile, sie hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen, ist aber bis heute tipptopp gekleidet, genauso wie ihre Tochter. Ein Jahr nach Firmengründung stieg sie bei der Mutter mit ein. Natürlich gab es Startschwierigkeiten, vor allem als Mutter und Tochter von Second Hand auf neue Mode umstellten. Beide liebten zwar schöne Kleider und hatten Geschäftsinn, aber sie mussten erst einmal lernen, wie es in der Modewelt so zugeht:
"Also meine Muter ist Bäuerin gewesen, ich bin medizinisch-technische Assistentin gewesen, na ja und am Anfang, wir wussten noch nicht mal, wie wir an neue Ware rankommen, das war also nicht so ganz einfach. Niedlich war ja auch, als wir das erste Mal auf der Messe waren und bei der ersten Firma, also die haben wir heute noch, die gaben uns dann Valuta, wir wussten überhaupt nicht, was Valuta war! Wir waren also wirklich .... (lacht) hatten keine Ahnung. Aber wir haben irgendwie rausgehört, dass das was Gutes ist."
Endlich mussten die Laues nicht mehr Bargeld zum Einkauf mitschleppen. Und sie fanden sich immer besser zurecht. Doch es gab Nobelmarken, die ihre Kollektionen zunächst nicht nach Tellingstedt verkaufen wollten. Lang, lang ist das her, freut sich die Firmengründerin.
"Nun komm se ins Haus (lacht), jetzt werden wir so ungefähr mit Sekt begrüßt. So ändert sich das Leben."
Nun aber los, die ersten Verkäuferinnen trudeln ein, im Aufenthaltraum, der alten Küche der Laues, ist die Luft schon ganz blau vor lauter Zigarettenrauch, es bleiben nur noch wenige Minuten bis zum Start und für einen kurzen Rundgang durch die Geschäftsräume. Am Besten in Begleitung einer ortskundigen Person, Christine Torkena kommt mit, die Enkeltochter der Firmengründerin:
"Mit ins Geschäft gekommen bin ich im Jahr 2000, ich habe allerdings schon während meiner Schulzeit hier immer mit geholfen, also auf den Samstagen, wenn hier 'Highlife-in-Tüten' ist, da habe ich hier immer mit ausgeholfen, entweder im Verkauf in der Brautabteilung oder eben an der Kasse. Ja, ich bin also eigentlich in dieses Geschäft reingewachsen und wenn man das so erlebt, ist es so, entweder man liebt es oder man hasst es, und bei mir ist es halt eher die Liebe geworden."
Von der Küche in die Diele, dann vor der Haustür links ins Nähzimmer, hier im ehemaligen Schlafzimmer präsentierte Grete Laue ihre ersten Secondhandkleider, nebenan im Kinderzimmer zogen sich die ersten Kundinnen noch um. Aber das reichte ja schnell nicht mehr aus:
"Es wurde dann Stück für Stück erst der Kuhstall, dann der Schweinestall und so weiter ausgebaut."
So alle zwei Jahre baut die Familie seitdem an oder um. Laue senior, der ja eigentlich gern Architekt geworden wäre, macht die Entwürfe. Seine Bauleidenschaft hat er übrigens an seine Tochter Kirsten Jürgensen vererbt, sie steigt schon mal im Abendkleid aufs Baugerüst, um die Arbeiten zu überwachen. Bei jeder Einweihung neuer Geschäftsräume schwört sie übrigens, dieses Mal sei es nun wirklich das letzte Mal gewesen; ein Ritual, wirklich ernst nimmt diese Aussage niemand mehr. Rustikal sieht es noch am Anfang des Geschäfts aus, hier hängt die festliche Tagesmode fürs Standesamt, dann kommt die Abendgarderobe, die Herrenabteilung, eine kleine Ecke für die Blumenkinder und dann willkommen im Märchenland:
"Wir haben vier Brautsäle, auch wieder nach Größen sortiert. Sie sehen, hier ist alles mit Stuck verziert, es ist wirklich so ein bisschen 'Sissi-Feeling'. Es ist eben alles da, was die Braut von Kopf bis Fuß braucht, über Schuhe, Kopfschmuck, Handschuh, Tasche, Schmuck auch, das obligatorische blaue Strumpfband, Unterwäsche, halterlose Strümpfe, alles."
Überall hohe Spiegel und kleine Schemel, auf die sich die Bräute später stellen können, damit die ganze Pracht auch ohne Schuhe schön fällt. Die Kleider sind übrigens nach Größen getrennt. Verkaufspsychologie:
"Hier hinten haben wir ein bisschen für sich die größeren Größen. Ja, das ist psychologisch wertvoll, wenn man in Größe 50 nicht grade neben einer Größe 36 stehen muss. Man findet sich, glaube ich, gleich ein bisschen attraktiver, wenn man dann neben Anderen steht, die auch ein bisschen mehr auf den Rippen haben. Das kann ich nun ja auch selbst nachvollziehen."
Mit rotem Samt bezogene Sessel und Sofas laden zum Verschnaufen ein, das ganze Prozedere dauert ja schließlich und die meisten Kundinnen rücken mit Verstärkung an. Häufige Mitwirkende: mindestens eine Freundin und sehr oft weibliche Verwandtschaft, das reicht von Schwägerin und Schwiegermutter, über Schwester und Cousine, bis hin zu Mutter und Großmutter. Die beste Beraterin ist nach der jahrzehntelangen Erfahrung von Kirsten Jürgensen übrigens die Mutter:
"Jede Mutter möchte natürlich, dass ihre Tochter ganz toll aussieht, also im Großen und Ganzen ist die Mutter die ehrlichste Beraterin. Die Freundin ist oftmals gut, aber sie möchte nicht unbedingt, dass sie besser aussieht."
Während die Verkäuferinnen noch die Brautkleider zurechtrücken, kommt schon die erste Kundin.
"Kerstin hat einer von euch Zeit? Ja, super, dann kommen sie doch schon mal mit, einmal Größe 40 soll’s werden für die Dame …"
Ooh, einen Moment bitte, bei der Größe erhebt Kerstin Roth dann doch Einwände. Bei künftigen Bräuten, so scheint es, gibt es zwei Größen. Die eine ist die, die die Frau gerade hat, und die andere die, die sie gerne hätte. So auch bei Kerstin Roth, sie befindet sich, wie sie selbst sagt, gerade in einer "Transferphase", von Größe 40 runter auf 38. Nachdem das geklärt ist, geht’s an die Bügel:
"Ich hab mich vorher schon mal in Zeitschriften informiert und eine Grundrichtung habe ich schon, ich wollte mich hier inspirieren."
Das dürfte wohl gelingen, Auswahl gibt es ja genug, 1300 Brautkleider hängen in ihren Schutzhüllen auf den Bügeln:
"Was meinen Sie, wenn Sie die Reihe durch haben, wollen wir dann vielleicht erst mal anfangen, dass wir uns mal die Größe anschauen, wie sie sitzen und so ...?"
"Ja, das hat mich von Anfang an fasziniert, wie das so aus zwei Lagen besteht, ist relativ schlicht, hat durch so kleine Accessoires etwas Besonderes, hat einen Oberstoff, so ein bisschen durchsichtig und knitterig und ich finde das hat so etwas Besonderes, aber auch nicht so viel Tüdelüt."
Die Tendenz ist deutlich, mindestens zwei Lagen Stoff, eher cremefarben als weiß und schmal geschnitten: Ramborichtung, klärt Kerstin Voss auf:
"Das hier ist Rambo, das ist in diesem Jahr mal wieder der absolute Renner mit, weil es ist nicht so diese ganz weite Form und hat immer ganz viele nette Accessoires und so Kleinigkeiten drauf und die sind eigentlich sehr begehrt, wenn’s so in die schmalere Richtung geht."
Kerstin Roth verschwindet erst mal in die Kabine und da folgt wenig später die erste Ernüchterung, Größe 38 passt überhaupt noch nicht, jetzt ist das Fingerspitzengefühl von Kerstin Voss gefragt:
"Wir probieren mal das Nächste, sonst gehen wir doch dann vielleicht zu 40? Sonst müssen wir gucken, so vom Brustpunkt, man kann ja auch kleiner machen."
"Also, ich habe in den letzten drei Monaten zehn Kilo abgenommen, das krieg ich hin!"
Lassen wir Kerstin Roth in Ruhe weiterprobieren und wechseln in den Saal Größe 40, dort wo unsere erste Braut also noch ist, aber nicht mehr sein will. Hier steht Pauline Thomsen auf einem Schemel, den Kopf ein wenig schräg und betrachtet sich in dem großen Spiegel. Und wie fühlt sich das an?
"Komisch, man zieht ja nicht immer ein Brautkleid an."
Um die Braut herum, drei Frauen. Die Brautmutter sitzt auf dem Sofa, ein rotes Prachtexemplar so ein bisschen im Loriotstil, bestimmt bequem, aber so richtig glücklich sieht Gabriela Matties ehrlich gesagt nicht aus:
"Ich bin kein großer Einkaufsmensch, ist mein Mann eher für zuständig. Wir haben zwei Töchter, also mit den Töchtern loszugehen und irgendwelche Schuhe für Konfirmation oder irgendwas zu kaufen, ich bin da nicht so, weder für mich, noch für andere, mein Mann kann das besser. Aber wenn ich mich drauf eingestellt hab, wenn ich weiß, also das ist völlig egal heute, die haben hier bis 16 Uhr auf, solange habe ich auch Zeit, dann kann ich das."
Und zu Hause wollte die Brautmutter auf keinen Fall bleiben, nein, es ist ihr wichtig, heute dabei zu sein.
"Das stimmt ja irgendwie in das ganze Ereignis mit ein und das ist ja doch ein wichtiger Moment, wenn die Tochter heiratet, oder sie hat schon geheiratet, aber heiratet jetzt kirchlich."
Alexandra Kaptschulla, die Freundin des Bräutigams und dessen Trauzeugin, macht derweil eifrig Fotos. Sie ist zuversichtlich, dass es mit Pauline nicht allzu lange dauern wird.
"Ich glaub, das geht schnell, ich glaub, sie zieht drei, vier Kleider an und zack sind wir durch. Ich glaub, das dauert nicht lang, also sie hat ihre genaue Vorstellung, ihre Richtung, das möchte sie, ich glaub nachher geht es nur noch um Creme oder Weiß und ob lange Schleppe oder nicht, und dann ist sie durch damit."
Schulterfrei mit Neckholder sollte es sein und genau so ein Exemplar hat Pauline Thomsen nun auch an. Das Kleid ist bestickt mit Blumenornamenten, ein Reifrock sorgt dafür, dass es sich unten schön bauscht und dann ist da noch eine lange Schleppe. Das hier ist das erste Kleid, das Pauline Thomsen angezogen hatte, danach probierte sie das gleiche Modell mit einem eckigen Ausschnitt und einer anderen Schleppe an, jetzt ist sie wieder bei ihrer ersten Wahl abgelangt.
"Erstes Kleid an und zack."
Freut sich die Braut, die sich sichtlich wohl fühlt in ihrem Traum aus Creme:
"Also ich wollt ja eigentlich nicht so pompös, aber.... Ich möchte so ein Diadem, dann sehe ich aus wie so ne Königin."
Typisch, meint Kirsten Jürgensen:
"Also, wir haben oftmals welche, die kommen auf dem Motorrad vorgefahren und wollen also was ganz Schlichtes und dann gehen sie doch als Sissi raus."
Es ist tatsächlich erstaunlich, was für Verwandlungen hier zu beobachten sind. Sie kommen in Jeans und sportlichen Schuhen, wühlen sich zunächst etwas unsicher durch die riesige Auswahl, kämpfen mit Schleppen und Reifröcken, um dann hocherhobenen Hauptes durch die Verkaufsräume zu schreiten.
Das ist natürlich eine stark verkürzte Version, das Ganze dauert im günstigen Fall Stunden, kann aber auch mehrere Einkaufstage in Anspruch nehmen. Nichts für schwache Nerven und offenbar nichts für Männer, die sind hier so selten wie Einhörnern und ähnlich scheu. Dahinten kommt einer, ein paar Schritte hinter den Frauen, schätzungsweise Mitte, Anfang Fünfzig, Brautvater, richtig?
"Bin ich leider, ja."
"Was hast du heute Morgen gesagt: Na ja, die Väter sind immer arm dran, weil das immer sehr viel Geld kostet, wenn man hierher geht."
Rolf Hansen betritt heute Neuland, Ehefrau Frauke und Tochter Britta waren schon in der Woche hier, da musste der Brautvater aber arbeiten.
"Einer muss ja Geld verdienen, damit das bezahlt werden kann. Ich bin so einer: Schnell hin, kaufen, weg, nech."
Soo schnell wir es heute aber nicht gehen, das Brautkleid soll abgesteckt werden, das dauert, und das weiß Rolf Hansen wohl auch, aber er wollte doch schon mal einen Blick riskieren.
"Sehr wichtig, nicht dat 'ne Überraschung nachher kommt und ich erkenn sie gar nicht wieder. Könnte passieren ne."
Wird es aber nicht, da kommt Tochter Britta, ein bisschen verlegen präsentiert sie sich ihrem Vater. Für beide, so scheint es, eine eher ungewohnte Situation:
"Jo, sieht hübsch aus, mach ich leiden, nicht so eintönig, da oben so ein bisschen farblich abgemustert, so. Ja gefällt mir."
Ein Glück, aber was hätte er auch sagen sollen, das war ja quasi nur die Endabnahme. So ist das eigentlich immer, sagt Brautmodenexpertin Christine Torkena:
"Der Brautvater ist meistens auch ganz gerührt, darf aber in den wenigsten Fällen das Brautkleid wirklich mit aussuchen, sondern kommt meistens erst dann hinzu, wenn die Entscheidung schon getroffen worden ist, durch eben die Braut, Brautmutter und vielleicht die beste Freundin; der ist häufig für den finanziellen Aspekt gut."
Aber keine Regel ohne Ausnahme, es gibt auch Männer, die sich zwischen Schleier, Schleppe und Spitze wie zu Hause fühlen. Frank Arndt ist so einer, obwohl er jetzt gerade die Orientierung und seine Frauen verloren hat.
"Ich suche die grade, ich hab die grade verloren, meine Frau und die Braut, die sind jetzt bei der Anprobe in der Schneiderei. Ich war schon mal sechs Stunden hier, aber hab mich grade verlaufen. Ich wollte mal gucken, wie der Stand der Dinge ist."
Aber nicht etwa um zu drängeln, nein, Frank Arndt war von Anfang an dabei und fühlt sich zwischen all den Bräuten richtig wohl.
"Weil ich modebewusst bin und Freude daran habe, jemanden und auch mich auszustatten."
Und Frank Arndt hat ganze Arbeit geleistet, hat sich selbst, den Bräutigam, die Brautmutter und nicht zuletzt die Braut ausgestattet. Die hat er inzwischen wiedergefunden:
"Ich bin begeistert, das ist jetzt die dritte Anprobe und ich sehe, alle sind zufrieden. Jetzt wird hier noch die Schleppe hochgebunden, da werden lauter kleinen Knöpfe eingenäht, das ist eine ganz komplizierte Arbeit."
Ein Mann mit Modebewusstsein, der mit seiner Schwiegertochter Claudia Arndt um die Wette strahlt. Der künftigen Braut liegt eine Schneiderin zu Füssen, während sie auf einem Schemel steht und das ganze Prozedere abwartet. Ihre Hochzeit kann kommen, sie hat das Schwierigste eigentlich ganz entspannt hinter sich gebracht. Und das, sagt sie, verdankt sie nicht zuletzt ihren klugen Schwiegereltern:
"Ich bin auch immer nur mit denen hier, also nicht mit der ganzen Horde, wie die anderen Mädchen. Die tun mir schon leid manchmal, sind völlig mit den Nerven fertig, die wussten schon gar nicht mehr, was sie anziehen sollten, also was ihnen steht und haben gesagt, wir kommen noch mal wieder und wieder mit der ganzen Horde, also das ist...
Da bin ich ganz froh, dass meine Schwiegermutter gesagt hat, wir machen das alleine und deine ganzen Freundinnen, die sollen mal bleiben, wo sie sind, ja."
Ob Dietrich Packhäuser wohl gerade mit seiner Beratergruppe hadert? Schlank, mit einem modischen Kinnbärtchen, weiß er ja eigentlich, was er will:
"Weinrot möchte ich eigentlich haben."
Würde ihm auch gut stehen, aber er ist ja nicht allein:
"Also, was er da jetzt anzieht, das ist nicht dem Brautkleid gemäß und nicht festlich genug!"
"Ehrlich ?"
"Vergiss es."
Eine Frau der deutlichen Worte, Brigitte Berg möchte eben, dass bei der Hochzeit ihrer jüngsten Tochter alles zusammenpasst und Brigitte Berg weiß, was ihre Tochter vor dem Altar tragen wird, im Gegensatz zum Bräutigam:
"Nein, weiß ich nicht, das ist irgendwie so eine Tradition, die bei uns auch in der Familie irgendwie hochgehalten wird und von daher weiß ich das nicht."
Manches ändert sich eben nie, die Männer dürfen ihre Frauen eigentlich nie vor der Hochzeit sehen und sie müssen sich an die Kleider der Frauen anpassen. Darauf achten auch Verkäuferinnen wie Maiken von der Heide. Vor Jahren ist sie von Brautabteilung zu den Herren gewechselt:
"Erst war ich ein bisschen traurig, dass ich von der Bräuten hier her musste, aber eigentlich finde ich es schöner hier, weil Männer einkleiden macht schon mehr Spaß, die sind unkomplizierter, weil sie im Allgemeinen nicht so viele Berater mitbringen das ist bei den Bräuten manchmal so, dass da sechs Frauen sitzen und sechs Meinungen natürlich und das macht die ganze Sache dann immer sehr, sehr schwierig, das haben wir hier unbedingt."
Nicht nur deswegen sind die Männer eigentlich immer ganz flott durch damit:
"Die mögen dann ja auch oft auch nicht so gerne fünf Sachen an- und umziehen, wissen sie wahrscheinlich auch von ihrem eigenen Mann, wenn die erste Hose nicht passt, hat er schon keine Lust mehr, ne? Genau und das ist, da müssen wir wissen, so die Größe, dass er also höchstens ne zweite Hose anziehen muss. Die Größen müssen schon ungefähr stimmen, ich darf dem nicht schon vier Sakkos hinhalten und das vierte passt immer noch nicht, das ist dann natürlich ein bisschen doof für den Herren, aber das lernt man ruckzuck."
Und beim Mann geht es ja nur um Sakko, Hose, Hemd, Krawatte, Schuhe und vielleicht noch eine Weste. Bei den Frauen gehört eben mehr dazu. Nehmen wir doch mal Pauline Thomsen. Sie ist tatsächlich bei ihrem ersten Kleid geblieben und hat damit vermutlich gerade einen neuen Rekord aufgestellt, oben rum sieht’s schon ganz gut aus:
"Mit meinem Dekollete bin ich voll zufrieden …"
Aber es fehlen noch die Handschuhe und der Haarschmuck. Und wenn das dann ausgesucht ist, kommt noch eine winzige Kleinigkeit hinzu, damit ist Maike Angermann gerade beschäftigt. Der Teufel steckt im Detail,
"Wir suchen grad das Strumpfband aus, von dem jeder redet. Das wird ja dann ja später auch jeder sehen?"
Wird das etwa kontrolliert? Gucken etwa alle der Braut unters Kleid?
"Das weiß ich auch nicht so genau."
Aufklärung tut Not. Großmutter Ilse Angermann kennt sich aus mit Riten und Traditionen:
"Das wird versteigert, dann kommt vielleicht noch ein bisschen Geld in die Kasse, vielleicht für die Hochzeitsreise oder so."
Na das haut’ s dann ja auch nicht raus. Überhaupt. Über Geld haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Eine kurze Umfrage ergibt folgendes Bild: Limits scheinen die Ausnahme zu sein. Werden sie vom Traumkleid überschritten, wie bei Pauline Thomsen, wird die monetäre Latte eben kurzerhand etwas höher gesetzt, Prinzessinnenträume dürfen anscheinend am schnöden Mammon nicht zerplatzen. Kritische Stimmen, wie die von Birgit Kehlert, sind eher selten und außerdem halbherzig.
"Also da gehen Summen über den Tisch, ohne das es nötig wäre. Man hat ja was im Schrank, es ist ja nun nicht so, dass wir alle nichts anzuziehen hätten, aber wenn die eigene Tochter heiratet, muss es vielleicht doch noch ein neues Kleid sein? Ich hab letztes Jahr Silberhochzeit gehabt, habe ein neues Kleid gekauft."
Und was passiert mit all den Träumen aus Satin, Seide und Spitze?
"Das hängt im Schrank, in einem Kleidersack und der Schrank wurde dazu gebaut, dass ist doch sehr lang, das passt nicht so in den normalen Schrank rein."
"Nee ich darf das auch gar nicht verkaufen, Vorgabe von meinem Vater, bringt Unglück. Es muss einfach aufbewahrt werden, der ist da sehr abergläubisch."
Nebenbei bemerkt, in den privaten Kleiderschränken der Laues hängen keine weißen Tüllträume. Grete Laue, Kirsten Jürgensen und Christine Torkena sind zwar verheiratet, aber keine wagte den Schritt in Weiß, irgendwie kam immer etwas dazwischen, so ist es Tradition in Tellingstedt:
"Bei meiner Oma da war der Vater kurz vor der Hochzeit gestorben, und dann ist es eben Tradition, dass die Braut dann nicht weiß, sondern schwarz trägt, das hat sie dann gemacht. Bei meiner Mutter war es so, dass weder mein Vater noch meine Mutter in der Kirche waren und die haben nur standesamtlich geheiratet und da gab es ein schwarzes Kleid mit weißen Blümchen drauf und ich hab auch nur standesamtlich geheiratet und das war so’ ne Hauruckentscheidung hätte ich fast gesagt, montags entschieden, freitags getan, da war es auch in Schwarz mit Rot, aber ein champagnerfarbenes oder ein weißes Brautkleid im herkömmlichen Sinne hat bei uns in der Familie noch nie jemand getragen, aber wir kennen uns bestens damit aus."