Virtuosität brasilianisch gewürzt
Bereits in den 1950er Jahren machten Musiker eine Mischung aus Cool Jazz und Samba in Brasilien populär und nannten sie Bossa Nova. Zwei Jahrzehnte später war der Brazil Jazz etabliert - und ist noch immer aktuell. Wir stellen drei neue Einspielungen vor.
Bereits Ende der 60er Jahre spielte Flora Purim gemeinsam mit Stan Getz. Das Engagement an der Seite des US-amerikanischen Saxofonisten war der Beginn der internationalen Karriere der brasilianischen Sängerin.
Auch Stan Getz spielte Bossa Nova
Getz wiederum hatte zuvor schon durch seine Zusammenarbeit mit Carlos Antonio Jobim den Bossa Nova auch außerhalb Brasiliens bekannt gemacht. Doch Purim blieb nicht lange beim Bossa. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Perkussionisten Airto Moreira, und Musikern wie Chick Corea entwickelte sie einen Stil, den man damals unter dem Begriff "Fusion" subsumierte.
"Ich habe viele große Veränderungen in der Musik miterlebt, von meiner Jugend bis heute bestimmt 7 oder 8. Die erste war für meine Karriere sehr entscheidend: Als ich in die USA kam, war dort noch der Bebop aktuell. Dann spielten wir gemeinsam mit Chick Corea eine Musik, die als Fusion bekannt wurde. Die meisten Amerikaner mochten das übrigens gar nicht, denn sie wollten lieber, dass der Jazz 'rein' bleibt."
Die Platten, die Airto Moreira und Flora Purim mit Chick Corea’s Return to Forever Anfang der 70er Jahre aufnahmen, wurden zu einer Blaupause des Brazil Jazz. Im Unterschied zum Bossa Nova ging es dabei elektrischer, virtuoser und experimenteller zu.
Die beiden brasilianischen Musiker haben seitdem viele Nachahmer gefunden – bis heute: Gerade etwa ist mit "Vivi" eine Einspielung der Sängerin Viviane de Farias erschienen. Sie hat Operngesang studiert, dann aber auch die Scats des Be Bop für sich entdeckt.
Und natürlich besingt sie immer wieder ihre brasilianische Heimat. "Ginga Carioca" ist eine virtuose Komposition von Hermeto Pascoal, die das komplexe Lebensgefühl eines Cariocas, eines Bewohners von Rio de Janeiro, beschreibt.
Brazil Jazz muss nicht aus Brasilien kommen
Gut gemachter Brazil Jazz muss nicht unbedingt aus Brasilien kommen, dafür gibt es viele Beispiele. Aber es hilft. Das jedenfalls hat sich der deutsche Trompeter Matthias Schriefl gedacht, als er die Sängerin Patricia Cruz engagiert hat. Vor 15 Jahren hat Schriefl begonnen, sich mit brasilianischer Musik zu befassen, angeregt von Komponisten wie Hermeto Pascoal oder Egberto Gismonti.
"Die Band habe ich gegründet, weil ich mich in die Stimme von Patricia verliebt habe und ich musste für sie eine Band machen, wo sie Texte machen kann, wo sie wirklich sich zeigen kann. Zuerst hatte ich die Rhythmusgruppe, dann habe ich verschiedene Sreichquartette ausprobiert, dann habe ich die Geigen ersetzt durch Flöte und Sängerin, die Bratsche durfte bleiben, statt Cello kam Fagott dazu. Dadurch kommen andere Obertöne hoch und man hat das Gefühl, es wäre mehrere Holzbläser, mehrere Streicher und mehrere Sängerinnen."
"Brazilian Motions" heißt die jüngst veröffentlichte CD von Matthias Schriefl – Jazz mit brasilianischer Note, aber in ungewöhnlicher Besetzung eingespielt. Auch das kann Brazil Jazz sein. Der deutsche Trompeter ist sich gleichwohl bewusst, dass Etiketten dieser Art nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit beschreiben.
"In Deutschland versteht man unter brasilianischer Musik entweder James Last oder eine Sambatrommelgruppe auf dem Kölner Karneval, wo man sehr betrunken sein muss, um das zu ertragen oder jemand, der ganz schnulzig 'Girl from Ipanema' spielt und meistens den Mittelteil nicht kann. In Wirklichkeit ist es ein wahnsinnig reiches Land, es gibt über 50 verschiedene Musikstile mit verschiedenen Tänzen dazu und das liegt daran, dass sich so viele Kulturen getroffen haben in dem Land. Die verschiedenen Indianer-Stämme, die verschiedenen afrikanischen Stämme, die Kolonialisten. Dadurch trifft der afrikanische Rhythmus mit irgendwelchen indianischen Weisheiten und noch dazu mit den europäischen Harmonien."
Musiker lieben die Vielfalt der brasilianischen Kultur
Die Vielfalt der brasilianischen Kultur fasziniert viele Jazzmusiker, ob sie nun aus den USA kommen wie vor langer Zeit Stan Getz oder aus dem Allgäu wie Matthias Schriefl. Und brasilianische Musiker wie Flora Purim oder auch Eliane Elias wiederum suchen beständig nach Verbindungen zum Jazz.
Die Pianistin Elias ist mit Anfang 20 in die USA gekommen und hat u.a. an der Seite von Randy Brecker und der Formation Steps Ahead den Jazz kennengelernt. Mit ihrer CD "Made in Brazil" hat sie sich 2015 ausdrücklich der Musik ihrer Heimat zugewandt.
Auch auf dem Nachfolgealbum "Dance of time", das gerade erschienen ist, zollt sie der brasilianischen Kultur Tribut. Dieses Mal steht der Samba im Mittelpunkt, der vor rund 100 Jahren entstanden ist. Wie sie oft, hat Elias eine Reihe illustrer Gäste eingeladen, etwa den Vibrafonisten Mike Manierie, Mike Kibble von der A-Capella Band Take 6 oder den Sänger und Songwriter Toquinho. Mit ihnen entwirft sie ein entspanntes, auf Hochglanz poliertes Bild zeitgenössischer brasilianischer Jazzmusik, das zwischen etwas zu seichten Klängen und subtiler Virtuosität pendelt.