Brecht als Leser
In seiner letzten Wohnung in der Berliner Chausseestraße hinterließ der Dichter Bertolt Brecht eine umfangreiche Bibliothek. Die war zwar durch die Jahre des Exils dezimiert, trotzdem geben die zahlreichen handschriftlichen Bemerkungen Brechts in seinen Büchern Aufschluss über sein Leseverhalten.
"Ach Ernst / was du mir alles lernst!"
Dieses handschriftliche Motto von Bertolt Brecht findet sich in Friedrich Springorums Buch "Der Gegenstand der Photographie", das 1930 im Verlag von Ernst Reinhardt in München erschienen ist. Was Brecht aus diesem Buch gelernt hat, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Aber man kann davon ausgehen, dass die Lektüre der 78 Seiten umfassenden Darstellung über die Seite 24 nicht hinausging. Seine ansonsten zahlreichen Bemerkungen und Unterstreichungen brechen auf dieser Seite ab. Seit dem Erscheinen des Buches "Die Bibliothek Bertolt Brechts" weiß man nun mit Sicherheit, dass der Augsburger an den Aussagen des Buches einiges zu bemängeln hatte. Bereits auf Seite 17 schrieb er mit Bleistift an den unteren Rand: "an dieser stelle stärkste unlust, weiterzulesen." Danach hat das Buch noch eine sieben Seiten dauernde Chance, die es offensichtlich nicht zu nutzen wusste.
Wer mehr über den Leser Brecht und seine Bibliothek erfahren oder eventuell sogar etwas lernen will, der ist mit dem Buch "Die Bibliothek Bertolt Brechts" gut beraten. Die Mitarbeiter des Bertolt-Brecht-Archivs haben sich jeden einzelnen der insgesamt 4218 Bände umfassenden Brecht-Bibliothek vorgenommen. Sie befindet sich noch heute in seiner letzten Wohnung in der Berliner Chausseestraße 125. Jedes Buch wurde durchgesehen, und es wurden Aussagen darüber getroffen, welche Besonderheiten die einzelnen Exemplare aufweisen, und ob es eventuell Eintragungen entweder von Brechts Hand oder von fremder gibt.
"Sag mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist." Dieser inzwischen durch allerlei Abwandlungen ein wenig abgenutzte Spruch hat in diesem Fall nichts von seiner ursprünglichen Aussagekraft eingebüßt. An Brechts Bibliothek lassen sich eine Reihe äußerst aufschlussreicher Beobachtungen machen. Sie betreffen sowohl den Nutzer als auch die Bibliothek.
Die Geschichte hat im Bestand von Brechts Büchern deutliche Spuren hinterlassen. Definitiv fehlen Ausgaben, von denen man weiß, dass Brecht sie gelesen hat. Es gibt kein einziges Exemplar von Franz Kafka, obwohl Brecht "Geziemendes über Kafka" geschrieben hat und Kafka ein Thema in Gesprächen zwischen Brecht und Walter Benjamin war. Andere Bücher, die ihm in bestimmten Lebensphasen wichtig waren, verloren später an Bedeutung und wurden - um Platz zu schaffen - aussortiert. Als Brecht von Augsburg nach Berlin ging, nahm er beispielsweise seine Karl May Bände, die er als Jugendlicher gelesen hatte, nicht mit.
In Mitleidenschaft gezogen wurde die Bibliothek aber auch durch die Umstände des fünfzehnjährigen Exils. Brecht wollte auf wichtige Bücher nicht verzichten, hatte aber andererseits nicht unbegrenzt Platz, als er aus Berlin flüchtete und später die Länder (Dänemark, Schweden, Finnland, USA) häufiger als die Schuhe wechselte. Brechts Tochter Barbara berichtet, dass in den Umzugskisten kaum Platz für ihre Puppen blieb, wenn Brecht seine Bücher und natürlich auch die Manuskripte verstaut hatte.
Im Schlafzimmer in der Chausseestraße hatte Brecht eine letzte Handbibliothek aufgestellt, in der sich neben Bänden von Goethe und Hölderlin auch ein Buch über "Lebensweisheit im Alten China" befand. Neben anderen Büchern gilt Henry Olsens "Handbuch des Geschlechtslebens und der Sexualhygiene" als verschollen. Wir wissen daher leider nicht, ob Brecht auch diesem wie dem anfangs erwähnten Buch über die Photographie ein handschriftliches Motto vorangestellt hat.
Rezensiert von Michael Opitz
Die Bibliothek Bertolt Brechts. Ein kommentiertes Verzeichnis
Hrsg. v. Bertolt-Brecht-Archiv und der Akademie der Künste
Suhrkamp Verlag/ Frankfurt am Main 2007
593 Seiten. 51 EUR
Dieses handschriftliche Motto von Bertolt Brecht findet sich in Friedrich Springorums Buch "Der Gegenstand der Photographie", das 1930 im Verlag von Ernst Reinhardt in München erschienen ist. Was Brecht aus diesem Buch gelernt hat, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Aber man kann davon ausgehen, dass die Lektüre der 78 Seiten umfassenden Darstellung über die Seite 24 nicht hinausging. Seine ansonsten zahlreichen Bemerkungen und Unterstreichungen brechen auf dieser Seite ab. Seit dem Erscheinen des Buches "Die Bibliothek Bertolt Brechts" weiß man nun mit Sicherheit, dass der Augsburger an den Aussagen des Buches einiges zu bemängeln hatte. Bereits auf Seite 17 schrieb er mit Bleistift an den unteren Rand: "an dieser stelle stärkste unlust, weiterzulesen." Danach hat das Buch noch eine sieben Seiten dauernde Chance, die es offensichtlich nicht zu nutzen wusste.
Wer mehr über den Leser Brecht und seine Bibliothek erfahren oder eventuell sogar etwas lernen will, der ist mit dem Buch "Die Bibliothek Bertolt Brechts" gut beraten. Die Mitarbeiter des Bertolt-Brecht-Archivs haben sich jeden einzelnen der insgesamt 4218 Bände umfassenden Brecht-Bibliothek vorgenommen. Sie befindet sich noch heute in seiner letzten Wohnung in der Berliner Chausseestraße 125. Jedes Buch wurde durchgesehen, und es wurden Aussagen darüber getroffen, welche Besonderheiten die einzelnen Exemplare aufweisen, und ob es eventuell Eintragungen entweder von Brechts Hand oder von fremder gibt.
"Sag mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist." Dieser inzwischen durch allerlei Abwandlungen ein wenig abgenutzte Spruch hat in diesem Fall nichts von seiner ursprünglichen Aussagekraft eingebüßt. An Brechts Bibliothek lassen sich eine Reihe äußerst aufschlussreicher Beobachtungen machen. Sie betreffen sowohl den Nutzer als auch die Bibliothek.
Die Geschichte hat im Bestand von Brechts Büchern deutliche Spuren hinterlassen. Definitiv fehlen Ausgaben, von denen man weiß, dass Brecht sie gelesen hat. Es gibt kein einziges Exemplar von Franz Kafka, obwohl Brecht "Geziemendes über Kafka" geschrieben hat und Kafka ein Thema in Gesprächen zwischen Brecht und Walter Benjamin war. Andere Bücher, die ihm in bestimmten Lebensphasen wichtig waren, verloren später an Bedeutung und wurden - um Platz zu schaffen - aussortiert. Als Brecht von Augsburg nach Berlin ging, nahm er beispielsweise seine Karl May Bände, die er als Jugendlicher gelesen hatte, nicht mit.
In Mitleidenschaft gezogen wurde die Bibliothek aber auch durch die Umstände des fünfzehnjährigen Exils. Brecht wollte auf wichtige Bücher nicht verzichten, hatte aber andererseits nicht unbegrenzt Platz, als er aus Berlin flüchtete und später die Länder (Dänemark, Schweden, Finnland, USA) häufiger als die Schuhe wechselte. Brechts Tochter Barbara berichtet, dass in den Umzugskisten kaum Platz für ihre Puppen blieb, wenn Brecht seine Bücher und natürlich auch die Manuskripte verstaut hatte.
Im Schlafzimmer in der Chausseestraße hatte Brecht eine letzte Handbibliothek aufgestellt, in der sich neben Bänden von Goethe und Hölderlin auch ein Buch über "Lebensweisheit im Alten China" befand. Neben anderen Büchern gilt Henry Olsens "Handbuch des Geschlechtslebens und der Sexualhygiene" als verschollen. Wir wissen daher leider nicht, ob Brecht auch diesem wie dem anfangs erwähnten Buch über die Photographie ein handschriftliches Motto vorangestellt hat.
Rezensiert von Michael Opitz
Die Bibliothek Bertolt Brechts. Ein kommentiertes Verzeichnis
Hrsg. v. Bertolt-Brecht-Archiv und der Akademie der Künste
Suhrkamp Verlag/ Frankfurt am Main 2007
593 Seiten. 51 EUR