"Leben des Galilei" − gegrummelt, geschnauft und gefaucht
Bertolt Brecht schrieb in seiner Exil-Zeit zwischen 1933 und 1947 seine wichtigsten Werke. Zum Auftakt des Brechtfestivals in Augsburg stellt sich die Frage, wie aktuell diese Texte über Krieg, Gewaltherrschaft und das Leben in der Fremde heute noch sind.
"Thomas Thieme, Schauspieler, Regisseur."
Kürzer lässt es sich nicht vorstellen. Wortstempel, keine Worthülsen. Brecht wie Brot.
"Ich bin mit Brecht groß geworden: Schule, Schauspielschule, Theater − immer Brecht."
Schon in der Begrüßung von Thomas Thieme steckt ganz viel Bertolt Brecht: auf den Punkt, nachdrücklich, bleibend.
"Wenn man 40 überschritten hat, verliert sich dann das eine oder andere. Und Brecht wird immer größer."
Stadttheater Augsburg: Die Flügeltüren knallen. Shake-Hands im Foyer, Plaudern an der Garderobe, ausverkauftes Haus. Der Auftakt des Brechtfestivals beginnt mit einer stillen Sensation: Einer der ganz großen der deutschen Film- und Theaterwelt, Thomas Thieme, in Brechts "Leben des Galilei".
Thomas Thieme: "Galilei entdeckt ja, dass die Lehre des Kopernikus nachweisbar wird. Also dass die Erde sich um die Sonne dreht, und nicht umgekehrt. Und das bringt ihm erhebliche Schwierigkeiten ein − bis zum Verbot, diese Lehre zu verbreiten. Das endet dann damit, dass er auf ein Landgut geschickt wird und dort muss er dann bleiben. Er darf weiter forschen, aber er darf nicht veröffentlichen − das ist ja eine Art Exil."
Musik: Aphex Twin "diskhat 2"
Exil, das große Thema beim diesjährigen Brechtfestival. Im "Leben des Galilei" ist es eher eine Art innere Emigration des Wissenschaftlers: mundtot unter der Herrschaft zermürbender Scheuklappen-Mentalität − das Exil, ein Exodus.
Thomas Thieme: "Dieses Exil von Galilei ist nicht das Wichtigste in dem Stück. Das Wichtigste in dem Stück ist, dass der Mann ein Fernrohr konstruiert, durch das man Tatsachen sehen kann. Also man kuckt durch und sieht: aha, die Sonne dreht sich nicht um die Erde. Das kann man also sehen. Es wird aber von den Kirchenfürsten verweigert, da überhaupt durchzugucken. Die sagen, er soll ihnen begründen, wieso das sein kann, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Dann sagt er: Sie brauchen ja nur hier durchzugucken. Aber die kucken nicht durch. Das hat mich ein bisschen erinnert an so aktuelle Geschichten wie diese Pegida-Geschichte. Die stellen ja auch vollkommen absurde Behauptungen auf, über Bedrohungsszenarien und über Zahlen, die gar nicht existieren. Also diese − wie soll ich das sagen − Verweigerung von Erkenntnissen, das hat die spätmittelalterliche oder Renaissance-Gesellschaft genauso betroffen wie es uns heute betrifft."
Brecht ist zeitlos, Brecht ist kraftvoll, Brecht ist wandlungsfähig. Julia von Sell inszeniert "Leben des Galilei" als eine Art Live-Hörspiel: ohne Bühnenbild, mit einem Kinderchor.
Thomas Thieme schlüpft in alle Rollen, spielt nicht, sondern setzt die Figuren sprachlich in Szene: Er grummelt, faucht und schnauft in Tom-Waits-Manier, gestikuliert wie Joe Cocker mit gekrümmten Fingern zu gepressten Worten.
Die Kombination aus Kinderchor und lebender Schauspiellegende, kindlicher Leichtigkeit und ausgewachsenem Drama − sie funktioniert mit dieser Inszenierung auch als ganz niederschwelliger Theaterabend. Für den künstlerischen Leiter des Brechtfestivals Dr. Joachim Lang ist das jedenfalls ganz im Sinne Bert Brechts:
"Er hat ja am Schluss seines Lebens gesagt, eigentlich habe ich einen Fehler gemacht: Ich habe viel zu viel über Theatertheorie geschrieben und den Leuten gesagt wie es gemeint ist. Das Wichtigste ist die Naivität, dass die ins Theater kommen und sich das anschauen."
Musik: Aphex Twin
Wie ist die Nacht? Hell. Draußen vor dem Theater fällt Schnee. Augsburg ganz in Weiß. Die Welt steht Kopf, vor Tragik und Begeisterung − zumindest ein wenig, an diesem ersten Abend des Brechtfestivals in Augsburg.
Besucher 1: "Für den Zuschauer nicht ganz unanstrengend, aber brutale schauspielerische Leistung. Finde ich sensationell."
Besucher 2: "Sehr gut hat es mir gefallen. Es war ganz toll."
Besucher 3: "Ich bin froh, dass ich das gesehen haben. Es war wirklich große Kunst."