Turandot
Oper in drei Akten von Giacomo Puccini
Regie: Marco Arturo Marelli
Musikalische Leitung: Paolo Carignani
Bregenzer Festspiele
Dieser Prinz kann sogar komponieren!
Werben, Wollen und Wahn: In der "Turandot"-Inszenierung von Marco Arturo Marelli zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele überzeugen die Hauptfiguren. Giacomo Puccinis Oper hatte auf der spektakulären Seebühne auch musikalisch einiges zu bieten.
Die Liebe ist wahrlich ein seltsames Spiel. Und manchmal, wie jetzt in Bregenz, wird sie sogar zum Spektakel. Die intime Annäherung zweier recht unterschiedlicher Charaktere – eines geheimnisvollen, heißblütigen Prinzen und einer eisig abweisenden Prinzessin – geht das auf der riesigen Seebühne? Die erfreuliche Antwort lautet: eindeutig ja. Man glaubt den Hauptfiguren in ihrem Werben, Wollen und Wahn.
Phänomenale Guanqun Yu als Liù
Weitere Pluspunkte: Riccardo Massi (als Calaf) lässt seiner Kehle den adäquaten Schmelz entströmen, die Wiener Symphoniker unter Paolo Carignani vereinen klangsinnliche Opulenz mit exquisiten Farbmischungen, hinzu kommen gut disponierte Chöre aus Bregenz und Prag. Wirklich phänomenal ist Guanqun Yu als Liù, die in Liebe zu Calaf entbrannte Selbstmörderin. Dass Mlada Khudoley in der Titelpartie nur mäßig überzeugt, weil sie nicht über vokale Rollenklischees wie Wuchtigkeit und aggressiv ungenaues Timbre hinauskommt, ist ein wenig schade. Im Nebenfigurenbereich erfreut vor allem Andrè Schuen als Ping. Gemeinsam mit seinen Kollegen Pang und Pong tanzt er eifrig in augenbetäubend bunter Kostümierung (Constance Hoffman) herum, wie auch das Volk sich gerne zu den Chinoiserien der Partitur watschelnd oder künstlich hampelnd bewegt. Hier liegen Schwächen der Inszenierung.
Das von Regisseur Marco Arturo Marelli selbst gestaltete Bühnenbild beeindruckt durch eine riesige Burganlage, die ein bisschen nach Chinesischer Mauer ausschaut, aber auch etwas von deutschem Mittelalter hat. Ein Teil stützt am Anfang ein, zum Schluss bevölkern Akrobaten und Pyrotechniker die Szenerie. Es wird viel Bötchen gefahren, in der Bühnenmitte sorgt eine Videokugel für allerlei hübsche Effekte. Wenn Turandot ihre berühmten Rätsel aufgibt, sieht man etwa eine große asiatische Maske, die erst lächelt, dann grimmig blickt, später brennt und verwittert (Videos: Aron Kitzig). Je nach Stimmung verschiedenartig beleuchtete Terrakotta-Soldaten stehen halb im Bodensee, aber auch ganz oben, fast schon hinter der Mauer.
Große Effekte auf der Riesenbühne
Das Volk trägt überwiegend Terrakotta-Staub-Bekleidung und erscheint mal als gewalttätige Masse, mal als Haufen von Weicheiern. Hier hätte man sich etwas mehr szenische Analyse gewünscht. Natürlich nutzt Marelli die große Bühne auch für wirklich große Effekte, vom Jahrmarktsspektakel mit feurigen Artisten bis zu einer feinen Choreographie mit weißen Ballons ist viel dabei. Doch Marelli geht es noch um etwas ganz anderes. "Turandot" ist ja Puccinis letzte, unvollendet gebliebene Oper (in Bregenz spielt man die Ergänzungen von Franco Alfano). Marelli verknüpft die Figur des Calaf mit der des Komponisten, vorne links sieht man ein leicht angeschrägtes Komponierhäusl, Klavier, Sitzgruppe und Bett. Calafs Liebe gilt Turandot, Puccini hingegen rang mit der gleichnamigen Oper bis zuletzt.
Mehrfach überlappen sich die Ebenen, Puccini/Calaf wird von einer Meute verfolgt, die ihm Notenblätter entreißt und zerrupft. Das ist an und für sich eine schöne Idee. Allerdings hatte sie bereits Stefan Herheim, der 2012 in Graz Puccinis "Manon Lescaut" inszenierte. Die aktuelle Bregenzer Festspielchefin Elisabeth Sobotka war dort Intendantin, Stefan Herheim wiederum inszeniert in diesem Jahr auch in Bregenz. Eine etwas seltsame Koinzidenz. Wie auch immer, immerhin wurde bei der neuen "Turandot" nicht nur vom Blatt nachbuchstabiert, sondern zumindest ein bisschen interpretiert, weiter gedacht.
Wer noch mehr Lust auf Asiatisches hat, dem sei unbedingt Peter Eötvös' Anti-Globalisierungsgroteske "Der goldene Drache" in der Bregenzer Werkstattbühne empfohlen. Die Produktion kommt aus Frankfurt und zählte zu den absoluten Höhepunkten der letzten Opernsaison.