Tristesse in der Endlosschleife
Sauber instrumentiert und professionell inszeniert - doch gerade deswegen sind HK Grubers "Geschichten aus dem Wienerwald" kein großer Wurf. Keine Spur von den wilden Ideen früherer Stücke. Auch wenn einzelne Sänger überzeugten - vom Sprengstoff, den Horváths Werk noch immer hat, war wenig zu sehen und zu hören.
Der Komponist dirigiert an diesem Abend sein eigenes Stück und hat es offenbar eilig. Noch während vorwiegend ältere Premierengäste ihre Plätze suchen, greift HK Gruber zum Taktstock und sofort ist man mitten im Geschehen. Krachend laut, ja ohrenbetäubend geht es zu, dem Graben entströmt während der knapp dreistündigen Aufführung eine Unzahl grober Klanggesten, kontrastiert von sehr langen, ruhigen Passagen. Nichts gegen solch eine Musikdramaturgie, doch stimmt die Mischung leider kaum. Zäh ziehen sich diverse Monologe oder im Konversationsstil gehaltene Ensembles dahin, irgendwann knallt und kracht es dann, bald hört man sich am ewig gleichen Aufeinanderprallen der Lautstärken satt. Im Zweifelsfall setzt HK Gruber gleich mehrere Wiederholungszeichen, wodurch die einzelnen Szenen teilweise bis zur Ermattung gedehnt werden.
Fanden sich in früheren Stücken Grubers die wildesten Ideen, ein radikales Klangidiom – das war sozusagen akustischer (Wiener) Aktionismus – hört man nun ein durchaus sauber instrumentiertes, aber wenig inspiriertes und inspirierendes Werk. Es gibt Puccini-Zitate, schöne Operettenparodien, durchgedrehte Walzer, zitterndes Schrammeln, auch etwas süffigen Jazz, doch wird daraus leider kein wirklich großer Wurf. Die Gesangslinien sind bewusst "taktlos" gehalten, alle müssen ständig zählen und sich mit schnellen Wechseln bei Tonhöhe und Tempo quälen. Vielen Solisten gelingt dies zwar größtenteils gut, doch steht der Aufwand in keinerlei Verhältnis zum Hörergebnis.
Jede Figur ist präzise gezeichnet
Ilse Eerens singt mit knackigem Sopran die junge Marianne, eine traurige Titelheldin, die an üble Männer und ins Rotlichtmilieu gerät, deren Kind von der Großmutter (großartig: Anja Silja) ihres Geliebten Alfred (kraftvoll: Daniel Schmutzhard) umgebracht wird. Mariannes Vater, genannt Zauberkönig, verkörpert der verdiente Wagner-Barde Albert Pesendorfer mit voluminösem Donnern. Der Papa hatte für die renitente Tochter ja eigentlich den Fleischhauer Oskar vorgesehen – Jörg Schneider überzeugt mit einer szenischen und vokalen Meisterleistung! Die Wiener Symphoniker und das Vokalensemble NOVA folgen HK Grubers Anweisungen präzise und kommen auch bei den anspruchsvollsten Taktvorgaben nicht aus selbigem.
Regisseur und Librettist Michael Sturminger hat Ödön von Horváths Schauspielklassiker adäquat bearbeitet, minimal modernisiert, ziemlich gekürzt und szenisch fein gewürzt. Sturminger arbeitet wie so oft mit dem Ausstatterteam Renate Martin und Andreas Donhauser zusammen. Die beiden ändern alle paar Jahre ihren Namen, aktuell nennen sie sich donmartin supersets. Halb transparente Wände zeigen einen Wald, fotorealistische Videos führen auf die Donauinsel, zur UNO-City und an weitere, heutige Orte rund um Wien. Auch die Kostüme behaupten Gegenwart, jede Figur ist präzise gezeichnet, individuell angeschmutzt.
In der überaus professionellen Regie liegt ein weiteres Problem
Und doch liegt vielleicht gerade in dieser überaus professionellen Regie ein weiteres Problem. Man lehnt sich zurück, blickt entspannt auf das dargestellte Leid, doch wirklich nahe kommt einem die Sache kaum. Um fair zu bleiben, Mariannes verzweifelte Suche nach Liebe und Sinn berührt zeitweise schon, ebenso die traurige Geschichte von Alfreds früherer Herzensdame Valerie (vokaltechnisch nahezu perfekt interpretiert durch Angelika Kirchschlager).Erst beim (erneuten) Lesen des Theaterstücks merkt man jedoch, wie viel Sprengstoff Horváths "Geschichten" immer noch innewohnt, davon war in Bregenz zu wenig zu sehen und noch weniger zu hören.