Hilf dir selbst, wenn der Provider nicht hilft
Horgenzell ist eine Flächengemeinde in Baden-Württemberg, die den digitalen Wandel zu verpassen drohte: Die großen Anbieter wollten mangels Rendite keine schnelle Internetverbindung legen. Also legte die Gemeinde selbst Hand an.
"Du Judith, hast Du mir von der Baustelle Mühlhofen die Pläne von der Kabelführung schon runtergeladen? Das habe ich vorhin versucht. Aber die sind noch nicht ganz runtergeladen. Aber das sollte demnächst soweit sein."
Wieder mal dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis die dringend benötigten Baustellen-Pläne heruntergeladen sind: Hugo Müller, Mitte 40, ist Inhaber eines Tiefbauunternehmens in Hasenweiler, einem kleinen Teilort der oberschwäbischen Gemeinde Horgenzell.
Gut gefüllte Auftragsbücher, sieben engagierte Mitarbeiter, modernes technisches Gerät: Eigentlich macht dem umtriebigen Mittvierziger die tägliche Arbeit richtig Spaß. Nur einen Wermutstropfen gibt es: Die Geschwindigkeit des verfügbaren Internets.
"Das ist Schneckentempo. Maximale Geschwindigkeit eine 3000er-Leitung, maximal. Dann habe ich gesagt: Tut mir leid, damit kann ich nichts mehr anfangen, das ist nicht mehr zeitgemäß, wir brauchen einfach ein schnelleres Internet."
Kommerzielle Provider winkten ab
Bloß: Bei den großen kommerziellen Providern wie Telekom und Vodafone stößt Hugo Müller seit Jahren auf taube Ohren. Schnelles Internet legen in das kleine Örtchen Hasenweiler mit seinen paar Häusern und Bauernhöfen – das rentiere sich nicht, bekommt er zu hören. Häufig gab es auf seine Nachfragen überhaupt keine Rückmeldung.
Jetzt endlich ist Besserung in Sicht. Das Unternehmen Teledata, das vom den kommunalen "Technischen Werken Friedrichshafen" betrieben wird, will Hasenweiler mit schnellem Internet versorgen.
"Diese erste Schaltung der neuen drei Anschlüsse soll morgen oder übermorgen stattfinden. Ich bin gespannt. Laut Aussage soll ich zwischen 50 und 90 MBit dann bekommen, also 50.000 bis 90.000 gegenüber 3000. Das wäre eine richtige Rakete dann. Insofern bin ich gespannt, ob die Leistung dann auch wirklich kommt."
Gut fünf Kilometer weiter hat die "Internet-Rakete" schon gezündet.
"Also ich gehe jetzt auf die Website der Gemeinde Horgenzell. Also das läuft jetzt relativ schnell, unser Internet in Horgenzell selber."
Volker Restle ist Bürgermeister der Gemeinde Horgenzell. In seinem Chefbüro im Horgenzeller Rathaus kann er immerhin mit einer Geschwindigkeit von 16 Megabit pro Sekunde im Internet surfen. Das ist nicht sonderlich schnell, für Horgenzell trotzdem ein großer Sprung nach vorn:
"Vor vier oder fünf Jahren hatten wir maximal sechs Mbit. Da war es dann schon relativ langsam, insbesondere, was den Austausch von Daten und so weiter anbelangt. Das hat dann immer relativ lange gedauert. Insbesondere der Austausch der Personalausweise, also die Fotos, werden ja heute übers Internet verschickt. Und die Mitarbeiter haben so manche Überstunde leisten müssen und mussten abwarten, bis die Daten nach Berlin übertragen wurden."
20 Kilometer Backbone-Leitung für 2 Millionen Euro
Horgenzell und schnelles Internet – das ist eine Leidensgeschichte der besonderen Art: Die Flächengemeinde im Süden Baden-Württembergs besteht aus 81 einzelnen Weilern und Ortsteilen, erstreckt sich mit seinen gerade mal 5300 Einwohnern auf einer Fläche von 53 Quadratkilometern, das entspricht in etwa einem Viertel der Fläche der Landeshauptstadt Stuttgart. Keiner der großen Internet-Provider witterte da ein Geschäft.
"Deshalb waren wir gezwungen, die Sache selber in die Hand zu nehmen und selber zu bauen. Die 20 Kilometer Backbone-Leitung, die wir da jetzt gebaut haben, die haben knapp zwei Millionen Euro gekostet. Wir haben aber die Hälfte der Kosten vom Land als Zuschuss erhalten."
Dennoch blieb eine Million an der Gemeinde selber hängen – Ausgaben, die größere, zentral gelegenere Städte und Gemeinden nicht haben, und die Horgenzell aus eigener Kraft stemmen musste.
Es war eine Investition in die Zukunft. Ohne den Anschluss an ein leistungsfähiges Internet hätte Horgenzell langfristig um seine Wirtschaftskraft – und um die mittelständischen Unternehmen im Ort – bangen müssen.
Joachim Obert vertritt eine große Bausparkasse und betreibt sein Büro ebenfalls im Horgenzeller Ortsteil Hasenweiler. Das "Internet im Schneckentempo", mit dem er sich bislang täglich herumschlagen musste, empfand er als
"…sehr ärgerlich, und zwar so ärgerlich, dass ich mir sogar überlegt habe, mein Büro aus der Gemeinde Horgenzell beziehungsweise aus Hasenweiler abzuziehen und woanders hin zu ziehen. Also maximal ärgerlich. Diese Stimmen habe ich auch von anderen Gewerbetreibenden gehört."
Nur der Umstand, dass er seit kurzem mit einer schnellen Leitung vom oberschwäbischen Hasenweiler aus ans World Wide Web angeschlossen ist, hat ihn davon abgehalten. Doch noch immer ist er sauer auf die Politik und die großen Internet-Anbieter:
"Den Eindruck erweckt es schon, dass das Interesse bei den Anbietern bis dato beziehungsweise in der großen Politik nicht sehr groß war, dass man die Leute auf dem Land ausreichend berücksichtigt."
Es fehlt eine Netzplanung
Tatsächlich gibt es für die großen Provider keine gesetzliche Verpflichtung, auch das flache Land zu erschließen. Und Fördergelder alleine reichen nicht aus, um die Breitband-Infrastruktur auf dem flachen Land auszubauen. Keiner weiß das besser als Tiefbauunternehmer Hugo Müller aus Horgenzell-Hasenweiler. Denn er ist nicht nur Betroffener. Er bringt mit seinen Baggern auch jene Kabel in die Erde, die schnelleres Internet erst möglich machen.
"Du kannst halt nicht einfach irgendwo ein Rohr unter die Erde legen und sagen: Das wird schon funktionieren. Du brauchst ein Konzept. Und das hat die Politik komplett verschlafen, den Kommunen eine Hilfe zu geben. Ein Breitband-Ausbau ist wie eine Wasserleitung: Wenn ich keine Netzplanung habe, dann kann ich auch keine Breitbandversorgung bringen. Das ist der Punkt hier, dass man sagt: Wir brauchen Netze, Netze, Netze. Aber die Detailplanung: Wie versorge ich jedes Haus? Wie komme ich da rein? Die fehlt komplett."
In der Gemeinde Horgenzell mit den 81 Weilern und Dörfern gibt es immer noch zahlreiche weiße Flecken auf der Internet-Karte. Noch fehlen die einzelnen Zuleitungen vom Hauptort Horgenzell. Das aber soll sich dank der selbstfinanzierten Backbone-Leitung zum nächsten Internet-Knotenpunkt bald ändern, hofft Bürgermeister Volker Restle:
"Die ersten Anschlüsse hatten wir Beginn des Jahres. Jetzt geht es weiter. Und ich hoffe, dass wir im Sommer dann auch entsprechend durch sind und alle, die jetzt schnelles Internet wollen, anschließen können bis zum Ende des Jahres."