WHAT IS LOVE?
Von Amor bis Tinder
Kunsthalle Bremen
7. Juli bis 21. Oktober 2018
Liebe in den Zeiten von Tinder
Die Kunst befasst sich schon seit jeher mit der Liebe. Wie Kunst und Liebe in Zeiten des Online-Datings zueinander stehen, kann man zur Zeit in einer Ausstellung in der Kunsthalle Bremen erkunden. Damit möchte man auch ein jüngeres Publikum ins Museum locken.
Lasziv lächelnd lagert die schöne, nackte Venus auf ihrem Bett. Zu ihren Füßen tollt sich ihr Sohn Amor, den Giovanni Battista Lampi 1779 so drall und niedlich malt, wie es seit dem 16. Jahrhundert üblich wurde - weshalb Kuratorin Jasmin Mickein lieber davor warnt, den Pfeilschießer zu unterschätzen:
"Das verrückte an seiner Entstehungsgeschichte ist, dass er nicht der Sohn von Venus und ihrem Ehemann ist, sondern Amor ist der Sohn von Venus und Mars. Und die beiden hatten eine Affäre. Und ich finde, das macht schon ziemlich gut deutlich, was man zu erwarten hat, wenn man sich auf die Liebe einlässt: Nämlich nichts Klassisches. Nichts Einfaches. Und einfach ziemlich viel Herausforderungen!", so Mickein.
Idealvorstellung von Liebe als Lüge entlarvt
All das bietet auch die Ausstellung. Wobei sie - ganz wie die Liebe - erst einmal auf Verführung setzt. Der große Saal liegt im Dämmerlicht. Die Wände betören durch verführerische Lila- und Rottöne, und in der Mitte laden drei rote Samtsofas zum entspannten Sitzen ein. Nur: Genau das funktioniert nicht.
Denn durch die Konfrontation alter und neuer Arbeiten, sowie durch kritisch-feministische Begleittexte, die das Dargestellte gesellschaftlich einordnen und nach der Relevanz für heute fragen - zertrümmert die Ausstellung mit Verve die jeweils vorherrschenden Idealvorstellungen von Liebe, Schönheit und Erotik, entlarvt sie als - zumeist männliches - Konstrukt, als systemstabilisierende und persönlichkeitsdeformierende Lüge!
Liebe ist mehr als nur ein schöner Körper
Wenn etwa Picasso oder Anselm Feuerbach in ihren Bildern die Schönheit der Frau verherrlichen, hängt dazwischen eine Fotoserie der türkischen Künstlerin Eylül Aslan, in der sie den menschlichen Körper in seine Einzelteile zerlegt und sarkastisch vor Augen führt, dass Liebe mehr ist als ein schöner Körper.
Und wenn Künstler seit Jahrhunderten die mythischen Urpaare Adam und Eva sowie Amor und Psyche als Inbegriff der Liebe verklären, ist daraus längst herrschende Ideologie geworden. Kuratorin Jasmin Mickein: "Dass diese beiden Paare uns insofern beeinflussen, dass wir glauben, wir müssen einen Partner... suchen und finden. Und dass daher eventuell auch resultiert, dass wir Singles bemitleiden und immer überlegen, 'Wie können wir die verkuppeln?'. Und dass wir nicht Ehepaare fragen, 'Warum hast du dich eigentlich entschieden, eine Partnerschaft einzugehen und wieso bist du so wahnsinnig und kriegst Kinder, was deine Beziehung potentiell auch zerstört?'"
Statt Familienglück ein Blick ins Nichts
Ein anonymer spanischer Maler, dessen großartiges Gemälde Jasmin Mickein im Depot entdeckte, entlarvte das vermeintliche Familienglück bereits 1779 als Fassade: völlig beziehungslos stehen da die Porträtierten nebeneinander - und starren ins Nichts. Einzig der Hausherr blickt auf.
"Dem Maler entgegen schauend und statuierend: "Meine Frau! Mein Kind! Mein Sohn! Mein Nachfolger!" ... Einerseits wirkt das so unglaublich weit entfernt. Aber auf der anderen Seite ist es gar nicht mehr so ungewöhnlich, dass Menschen nach diesem Familienkonstrukt streben und nach dieser Sicherheit suchen", meint Mickein.
Panische Suche nach dem perfekten Partner
Die kann auch panische Züge annehmen, wie die Installation "Lonely Sculpture" von Tully Arnot zeigt: auf einem Podest treibt ein kleiner Motor einen Zeigefinger aus Silikon an, der rastlos über ein Smartphone mit einer Dating-App wischt, auf der gehetzten Suche nach dem vermeintlich perfekten Partner.
Die mögliche weitere Entwicklung führt das Bremer Künstlerinnentrio um Katharina Dacrés in einem Videofilm vor, in dem sich folgender Dialog entspinnt:
- Hi Lucy, wie geht's dir so.
- Hi Patrick. Wie nett, dass du mir schreibst. Ja ganz gut. Und dir so?
- Ja, auch ganz gut. Wie lange bist du schon bei Tinder?
- Hi Patrick. Wie nett, dass du mir schreibst. Ja ganz gut. Und dir so?
- Ja, auch ganz gut. Wie lange bist du schon bei Tinder?
An einem Tisch sitzen sich eine junge Frau und wechselnde Männer gegenüber. Mit bewegungslosen Minen sprechen sie Chat-Einträge nach.
Die Künstlerin Katharina Dacrés: "Wenn diese Gespräche den Raum verlassen, dann liest man sie anders. Und das ist genau das, was wir in dem Video machen. Es geht gar nicht um eine Weiterentwicklung von Inhalten oder so, sondern Inhalte dienen primär der Selbstdarstellung oder der Gesprächsaufrechterhaltung."
Erfrischend unbequemes Gegenprojekt
Während uns Massenmedien, Freizeit- und Modeindustrie, Illustrierte und Werbung noch immer Jugendlichkeit, Schönheit, Ehe, Familie und das Eigenheim als höchstes Glück einhämmern, entpuppt sich die Bremer Ausstellung als erfrischend unbequemes Gegenprojekt, dem man viele junge Besucher wünscht. Denn der kritische Grundton schärft nicht nur den Blick auf das, was uns umgibt. Er provoziert auch Frage nach dem, was Liebe sein könnte oder sein sollte.