Bremer Senatorin: Länderfinanzausgleich ist Rechtsanspruch, kein Almosen
Das Land Bremen hat kein Verständnis für die von Bayern angekündigte Verfassungsklage gegen den Länderfinanzausgleich und erwägt die Beteiligung an einer Gegenklage. Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) nennt Seehofers Vorstoß "abstrus" und "eher peinlich".
Hanns Ostermann: Horst Seehofer ist es leid, er lässt die Muskeln spielen – nein, nicht beim Betreuungsgeld oder bei der Rettung des Euro, sein neues altes Spielfeld ist der Länderfinanzausgleich. Weil die Kollegen nicht bereit sind, hier über eine Reform nachzudenken und auf stur schalten, will er das Bundesverfassungsgericht anrufen. Heute soll das im bayerischen Kabinett beschlossen werden, und einer wird sich da vehement zu Wort melden: Finanzminister Markus Söder.
Bayern will den Länderfinanzausgleich in Karlsruhe überprüfen lassen, Beitrag in Ortszeit, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) aus München Michael Watzke. Welche Konsequenzen hätte es, würden einige Bundesländer weniger Geld erhalten? Und argumentieren Horst Seehofer und sein Finanzminister eigentlich sauber? Darüber habe ich mit der Finanzsenatorin in Bremen gesprochen, Karoline Linnert von den Grünen. Ich fragte sie zunächst: Können Sie den Ärger Seehofers ein klein wenig nachvollziehen? Immerhin bringt sein Land ja die Hälfte der 7,3 Milliarden Euro auf.
Karoline Linnert: Nein, den Ärger kann ich überhaupt nicht verstehen. Wenn man so selber mal auf Hilfe angewiesen ist wie Bayern, die selber aus dem Länderfinanzausgleich Geld bekommen haben, und dann durch eine spezielle Funktion in der Bundesregierung auch immer dafür gesorgt hat, dass immer ordentlich was für Bayern abfällt, und man dann am Ende völlig das Bewusstsein dafür verliert, wie reich und privilegiert man ist, dann finde ich das eher peinlich.
Im Übrigen hat Bayern ja dieser bestehenden Regelung zugestimmt, und Sie haben ja auch gerade noch mal zur Vorbereitung für das Gespräch rausgesucht, wie das dort gefeiert wurde. Da hat Herr Stoiber am 26. Juni 2001 vor dem bayerischen Landtag gesagt: "Die Verhandlung der Länder und des Bundes zum Länderfinanzausgleich und zum Solidarpakt zwei in Berlin haben zu einem tragfähigen Ergebnis geführt. Bayern, aber auch alle Länder und der Bund können mit dem Ergebnis höchst zufrieden sein." Und deshalb kann ich das nicht verstehen.
Ostermann: Also Seehofer ärgert sich darüber, dass sich Nehmer-Länder Dinge leisten, die Bayern seinen Bürgern vorenthält, den Verzicht auf Studiengebühren nannte er, ebenso kostenfreie Kindergartenplätze. Trifft Sie diese Kritik?
Linnert: Nein. Kindergarten ist eine kommunale Angelegenheit. Was Herr Seehofer damit meint, das verstehe ich gar nicht. Es gibt in der Tat Kommunen, die sich entschieden haben, im Rahmen ihrer eigenen Autonomie weniger Straßen zu reparieren und dafür Kindergartenbeiträge zu senken oder gar nicht zu erheben. Das ist Sache der Gemeinden, die verfassungsmäßig das Recht haben, solche Dinge zu entscheiden, und die werden nicht in Bayern entschieden und schon gar nicht für alle Gemeinden.
Ostermann: Und der Verzicht auf Studiengebühren?
Linnert: Studiengebühren, wenn man die erhebt, müssen diese Studiengebühren den Hochschulen in voller Höhe bleiben. Ich kann nicht diese Gebühren zur Haushaltssenkung einsetzen, also jedenfalls ist das nach unserem Rechtsverständnis verboten. Ich weiß nicht, wie man das in Bayern regelt. Das heißt, wenn wir hier Studiengebühren erheben würden – was ich falsch finden würde, weil es ärmere Familien trifft –, dann kann ich an meinem Haushalt gar nichts senken.
Im übrigen ist der Länderfinanzausgleich verfassungsrechtlich und von seinem Wesen her ein Ausgleich einer unterschiedlich hohen Einnahmesituation. Und deshalb hat Herr Seehofer keinerlei Kompetenz, in die Haushaltsgesetzgebung der Länder einzugreifen. Es handelt sich um einen Rechtsanspruch der Länder und nicht um ein Almosen, und der Bremer Haushaltsgesetzgeber darf mit dem Geld, was wir in der Kasse haben, das machen, was er selber für Bremen für richtig hält, und nicht das, was in Bayern uns vorgeschrieben wird.
Ostermann: Seehofer kritisiert auch Privilegien der Stadtstaaten, zu denen Bremen ja auch gehört. Worin bestehen die eigentlich?
Linnert: Die sogenannten Privilegien der Stadtstaaten bestehen darin, dass sie eine Einwohnerveredelung bekommen. Man trägt der Tatsache Rechnung, dass vor vielen Jahren das Berechnungsprinzip für den Länderfinanzausgleich umgestellt wurde. Früher zählte der Standort des Arbeitsplatzes. Das war eine Bevorteilung von Ballungsräumen. Und dann hat man das geändert in Richtung Wohnort. Das führt dazu, dass bei allen Stadtstaaten die Menschen im Speckgürtel wohnen und dann im Stadtstaat arbeiten. Und das entgeht uns im Finanzausgleich. Und um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, hat man sich auf die sogenannte Einwohnerveredelung von 135 Prozent geeinigt. Wenn man das nicht mehr tut, dann sind die Stadtstaaten nicht überlebensfähig, und dann, ja, das ist ja, was einige gerne wollen, dass man diese Lieblingskinder der Verfassung, dass man die weghaut. Wir wollen das aber nicht.
Ostermann: Frau Linnert, stimmt eigentlich der Vorwurf, dass den Nehmer-Ländern Anreize fehlten, sich mehr anzustrengen? Die bayrische Begründung: Zusätzliche Steuereinnahmen würden über den Finanzausgleich wieder abgeschöpft.
Linnert: Das ist wirklich der gequirlteste Blödsinn, den ich je gehört habe. Stellen Sie sich mal vor, ich gehe hier zu der Bevölkerung und sage, wir wollen gar kein Wirtschaftswachstum, wir wollen gar nicht, dass es den Unternehmen hier gut geht, weil das würde ja heißen, dass wir dann mehr Steuereinnahmen haben, und die würden dann ja die Bayern entlasten. Ich meine, haben Sie so was schon mal gehört? Es ist abstrus. Die Entsolidarisierung in Deutschland und Europa wird am Ende alles fressen und auch die Bayern erwischen. Aber wenn die das jetzt so haben müssen – wir fürchten die Klage nicht, wir haben bescheinigt bekommen, dass wir unverschuldet in dieser Haushaltsnotlage sind und wir sehen dem ganz gelassen entgegen.
Ostermann: Und der Ausgleich gilt bis 2019. Trotzdem, was würde es für Bremen bedeuten, gäbe es diesen Finanzausgleich nicht? Wäre das Land dann handlungsunfähig, ganz einfach pleite?
Linnert: Na ja, ein Staat kann ja nicht pleite gehen, und es ist ja so, dass eben nebenbei auch die Bayern das Solidarprinzip nicht ganz außer Kraft setzen können, weil nämlich im Gesamtstaat Deutschland die Gebietskörperschaften füreinander einstehen müssen. Also ein handlungsunfähiges Bremen löst woanders Probleme aus. Mir würden 300, 400, 500 Millionen Euro – je nachdem, wie es sich entwickelt im Haushalt – fehlen, das ist nicht ersetzbar hier, durch gar nichts. Wir können ja beweisen, dass wir mit unseren Standards in allen Bereichen, bei der Polizei, bei der Wissenschaftsförderung, bei der Justiz, überall am unteren Ende vergleichbarer Gebietskörperschaften liegen. Und wir können solche Summen, die wir dann nicht hätten, wenn es den Länderfinanzausgleich nicht mehr geben würde, wir können das gar nicht ausgleichen. Ich meine, wir müssen die Gesetze ja ausführen. Muss man Bayern mal fragen, ob sie gerne möchten, dass hier die Leute, die auf Hartz IV angewiesen sind, ob die dann hier verhungern sollen, oder wie die sich das wohl vorstellen.
Ostermann: Das Saarland erwägt eine Gegenklage, würde sich Bremen dem anschließen?
Linnert: Ja, man muss jetzt nicht so aus der Hüfte schießen. Ich habe das schon gehört, auch in Bremen gibt es Überlegungen, dass man eben Abstrusitäten in der bundesweiten Finanzverfassung sich auch noch mal anguckt, wo eben andere Ungleichheiten existieren. Wenn man sich anguckt, wo landet die Kohleförderung, wo landet die Förderung für die Landwirtschaft, wo landet das Geld vom Bundesverkehrswegeplan … all das sind Dinge, wo wir beweisen können, dass der reiche Süden überdurchschnittlich bedient wird. Und wenn man uns jetzt hier weiter piesackt, klar, kann man sich vorstellen, dass man dann auch gemeinsam mit anderen Bundesländern sich auch an Karlsruhe wendet.
Ostermann: Die Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert von den Grünen. Danke für das Gespräch bei uns im Deutschlandradio Kultur.
Linnert: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bayern will den Länderfinanzausgleich in Karlsruhe überprüfen lassen, Beitrag in Ortszeit, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) aus München Michael Watzke. Welche Konsequenzen hätte es, würden einige Bundesländer weniger Geld erhalten? Und argumentieren Horst Seehofer und sein Finanzminister eigentlich sauber? Darüber habe ich mit der Finanzsenatorin in Bremen gesprochen, Karoline Linnert von den Grünen. Ich fragte sie zunächst: Können Sie den Ärger Seehofers ein klein wenig nachvollziehen? Immerhin bringt sein Land ja die Hälfte der 7,3 Milliarden Euro auf.
Karoline Linnert: Nein, den Ärger kann ich überhaupt nicht verstehen. Wenn man so selber mal auf Hilfe angewiesen ist wie Bayern, die selber aus dem Länderfinanzausgleich Geld bekommen haben, und dann durch eine spezielle Funktion in der Bundesregierung auch immer dafür gesorgt hat, dass immer ordentlich was für Bayern abfällt, und man dann am Ende völlig das Bewusstsein dafür verliert, wie reich und privilegiert man ist, dann finde ich das eher peinlich.
Im Übrigen hat Bayern ja dieser bestehenden Regelung zugestimmt, und Sie haben ja auch gerade noch mal zur Vorbereitung für das Gespräch rausgesucht, wie das dort gefeiert wurde. Da hat Herr Stoiber am 26. Juni 2001 vor dem bayerischen Landtag gesagt: "Die Verhandlung der Länder und des Bundes zum Länderfinanzausgleich und zum Solidarpakt zwei in Berlin haben zu einem tragfähigen Ergebnis geführt. Bayern, aber auch alle Länder und der Bund können mit dem Ergebnis höchst zufrieden sein." Und deshalb kann ich das nicht verstehen.
Ostermann: Also Seehofer ärgert sich darüber, dass sich Nehmer-Länder Dinge leisten, die Bayern seinen Bürgern vorenthält, den Verzicht auf Studiengebühren nannte er, ebenso kostenfreie Kindergartenplätze. Trifft Sie diese Kritik?
Linnert: Nein. Kindergarten ist eine kommunale Angelegenheit. Was Herr Seehofer damit meint, das verstehe ich gar nicht. Es gibt in der Tat Kommunen, die sich entschieden haben, im Rahmen ihrer eigenen Autonomie weniger Straßen zu reparieren und dafür Kindergartenbeiträge zu senken oder gar nicht zu erheben. Das ist Sache der Gemeinden, die verfassungsmäßig das Recht haben, solche Dinge zu entscheiden, und die werden nicht in Bayern entschieden und schon gar nicht für alle Gemeinden.
Ostermann: Und der Verzicht auf Studiengebühren?
Linnert: Studiengebühren, wenn man die erhebt, müssen diese Studiengebühren den Hochschulen in voller Höhe bleiben. Ich kann nicht diese Gebühren zur Haushaltssenkung einsetzen, also jedenfalls ist das nach unserem Rechtsverständnis verboten. Ich weiß nicht, wie man das in Bayern regelt. Das heißt, wenn wir hier Studiengebühren erheben würden – was ich falsch finden würde, weil es ärmere Familien trifft –, dann kann ich an meinem Haushalt gar nichts senken.
Im übrigen ist der Länderfinanzausgleich verfassungsrechtlich und von seinem Wesen her ein Ausgleich einer unterschiedlich hohen Einnahmesituation. Und deshalb hat Herr Seehofer keinerlei Kompetenz, in die Haushaltsgesetzgebung der Länder einzugreifen. Es handelt sich um einen Rechtsanspruch der Länder und nicht um ein Almosen, und der Bremer Haushaltsgesetzgeber darf mit dem Geld, was wir in der Kasse haben, das machen, was er selber für Bremen für richtig hält, und nicht das, was in Bayern uns vorgeschrieben wird.
Ostermann: Seehofer kritisiert auch Privilegien der Stadtstaaten, zu denen Bremen ja auch gehört. Worin bestehen die eigentlich?
Linnert: Die sogenannten Privilegien der Stadtstaaten bestehen darin, dass sie eine Einwohnerveredelung bekommen. Man trägt der Tatsache Rechnung, dass vor vielen Jahren das Berechnungsprinzip für den Länderfinanzausgleich umgestellt wurde. Früher zählte der Standort des Arbeitsplatzes. Das war eine Bevorteilung von Ballungsräumen. Und dann hat man das geändert in Richtung Wohnort. Das führt dazu, dass bei allen Stadtstaaten die Menschen im Speckgürtel wohnen und dann im Stadtstaat arbeiten. Und das entgeht uns im Finanzausgleich. Und um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, hat man sich auf die sogenannte Einwohnerveredelung von 135 Prozent geeinigt. Wenn man das nicht mehr tut, dann sind die Stadtstaaten nicht überlebensfähig, und dann, ja, das ist ja, was einige gerne wollen, dass man diese Lieblingskinder der Verfassung, dass man die weghaut. Wir wollen das aber nicht.
Ostermann: Frau Linnert, stimmt eigentlich der Vorwurf, dass den Nehmer-Ländern Anreize fehlten, sich mehr anzustrengen? Die bayrische Begründung: Zusätzliche Steuereinnahmen würden über den Finanzausgleich wieder abgeschöpft.
Linnert: Das ist wirklich der gequirlteste Blödsinn, den ich je gehört habe. Stellen Sie sich mal vor, ich gehe hier zu der Bevölkerung und sage, wir wollen gar kein Wirtschaftswachstum, wir wollen gar nicht, dass es den Unternehmen hier gut geht, weil das würde ja heißen, dass wir dann mehr Steuereinnahmen haben, und die würden dann ja die Bayern entlasten. Ich meine, haben Sie so was schon mal gehört? Es ist abstrus. Die Entsolidarisierung in Deutschland und Europa wird am Ende alles fressen und auch die Bayern erwischen. Aber wenn die das jetzt so haben müssen – wir fürchten die Klage nicht, wir haben bescheinigt bekommen, dass wir unverschuldet in dieser Haushaltsnotlage sind und wir sehen dem ganz gelassen entgegen.
Ostermann: Und der Ausgleich gilt bis 2019. Trotzdem, was würde es für Bremen bedeuten, gäbe es diesen Finanzausgleich nicht? Wäre das Land dann handlungsunfähig, ganz einfach pleite?
Linnert: Na ja, ein Staat kann ja nicht pleite gehen, und es ist ja so, dass eben nebenbei auch die Bayern das Solidarprinzip nicht ganz außer Kraft setzen können, weil nämlich im Gesamtstaat Deutschland die Gebietskörperschaften füreinander einstehen müssen. Also ein handlungsunfähiges Bremen löst woanders Probleme aus. Mir würden 300, 400, 500 Millionen Euro – je nachdem, wie es sich entwickelt im Haushalt – fehlen, das ist nicht ersetzbar hier, durch gar nichts. Wir können ja beweisen, dass wir mit unseren Standards in allen Bereichen, bei der Polizei, bei der Wissenschaftsförderung, bei der Justiz, überall am unteren Ende vergleichbarer Gebietskörperschaften liegen. Und wir können solche Summen, die wir dann nicht hätten, wenn es den Länderfinanzausgleich nicht mehr geben würde, wir können das gar nicht ausgleichen. Ich meine, wir müssen die Gesetze ja ausführen. Muss man Bayern mal fragen, ob sie gerne möchten, dass hier die Leute, die auf Hartz IV angewiesen sind, ob die dann hier verhungern sollen, oder wie die sich das wohl vorstellen.
Ostermann: Das Saarland erwägt eine Gegenklage, würde sich Bremen dem anschließen?
Linnert: Ja, man muss jetzt nicht so aus der Hüfte schießen. Ich habe das schon gehört, auch in Bremen gibt es Überlegungen, dass man eben Abstrusitäten in der bundesweiten Finanzverfassung sich auch noch mal anguckt, wo eben andere Ungleichheiten existieren. Wenn man sich anguckt, wo landet die Kohleförderung, wo landet die Förderung für die Landwirtschaft, wo landet das Geld vom Bundesverkehrswegeplan … all das sind Dinge, wo wir beweisen können, dass der reiche Süden überdurchschnittlich bedient wird. Und wenn man uns jetzt hier weiter piesackt, klar, kann man sich vorstellen, dass man dann auch gemeinsam mit anderen Bundesländern sich auch an Karlsruhe wendet.
Ostermann: Die Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert von den Grünen. Danke für das Gespräch bei uns im Deutschlandradio Kultur.
Linnert: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.