Bremsen allein durch Gedankenkraft
Alle Gedanken, Wünsche, Absichten und Gefühle sind in unserem Gehirn als elektrische Signale repräsentiert. Gleiches gilt für unwillkürliche oder geplante Bewegungen – auch sie drücken sich durch elektrische Spannungen aus. Wissenschaftler wollen sich dies im Straßenverkehr zunutze machen.
Was wir also denken oder welche Handlungen wir planen: Unser Gehirn verrät es in Form von elektrischen Impulsen. Informatiker wissen diese Tatsache mittlerweile recht gut zu nutzen: Ihnen gelingt es zunehmend besser, unserem Gehirn quasi in Echtzeit beim Denken zuzugucken. Ihr neuster Clou: Sie können dank der entsprechenden Hirnsignale ein Auto schneller abbremsen, als es dem Fahrer mit seinem Fuß möglich ist.
Eintritt in ein rund 20 Quadratmeter großes Labor an der TU Berlin: In dem Licht durchfluteten Raum stehen mehrere Rechner und ein schwarzer Rennautositz. Vor dem Sitz sind drei Monitore angebracht, darunter die Fußpedale eines Autos, mit Bremse und Gas. Informatiker Stefan Haufe setzt sich und umfasst ein schwarzes Lenkrad, das über dem Sitz montiert ist. Los geht’s.
"Genau, also ich sitze hier in dem Fahrsimulator, und ich befinde mich auf einer Rennstrecke, einer simulierten, die dem Formel-1-Kurs von Monza in Italien nachempfunden ist. Und was ich tue, ich fahre einem Auto hinterher, bei ungefähr 100 Kilometern in der Stunde. Und ich muss möglichst geringen Abstand zu diesem Fahrzeug einhalten, also unter 20 Metern.!"
Stefan Haufe gibt Gas – er fährt jetzt dicht auf den Vordermann auf und versucht, einen Abstand von unter 20 Metern einzuhalten.
""Und wenn das der Fall ist, dann leuchtet hier so ein Instrument grün auf, und wenn ich mich innerhalb dieses Abstandes befinde, dann kann es halt passieren, dass das vor mir fahrende Fahrzeug ganz abrupt abbremst, und meine Aufgabe ist es dann, durch eine Notbremsung einen Auffahrunfall zu vermeiden."
Mit genau diesem Versuchsaufbau haben die Forscher 18 Personen getestet: Die mussten fahren und zusätzlich eine EEG-Kappe mit 64 Elektroden tragen, die ihre Hirnaktivitäten aufzeichnete. Kam es zu einer Notbremsung, dann waren im Gehirn der Probanden gleich mehrere Bereiche aktiv: Die Regionen für visuelle und akustische Wahrnehmung und der Motorkortex, mit dem unter anderem die Bewegung des Fußes gesteuert wird. Und auch im Bein ließ sich elektrische Aktivität nachweisen.
"Also wir messen neben den Gehirnströmen auch noch die Muskelanspannung im Schienbein des rechten Beines, mit dem Ziel halt, den Zeitpunkt der ersten Bewegung auch möglichst genau zu detektieren. Und diese Muskelanspannung, die man hat, setzt halt auch etwas eher ein als die Bewegung selbst. Und die Informationen kann man halt dann noch hinzufügen zu den Gehirnströmen, um die Qualität der Vorhersage zu verbessern."
Die Forscher wollten herausfinden, ob sich anhand dieser Daten die Bremsabsicht vorhersagen lässt. Das Ergebnis lässt aufhorchen. Und das, obwohl vom auslösenden Reiz - also den aufleuchtenden Bremslichtern am Auto des Vordermanns - bis zum Tritt auf die eigene Bremse nur etwas mehr als eine halbe Sekunde vergeht - exakt 650 Millisekunden. Doch die Forscher waren mit ihrer Prognose noch schneller.
"Also wir haben verglichen, wie gut man mit den Gehirnströmen die Situation vorhersagen kann, im Vergleich mit den tatsächlichen Bremsungen. Und das Ergebnis war, dass wir ungefähr 130 Millisekunden einsparen können, wenn wir die Gehirnströme benutzen."
Die Forscher können die Bremsabsicht also bereits nach 520 Millisekunden erkennen – und dann auch theoretisch unmittelbar die Bremsung einleiten. Bei einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern würde sich der Bremsweg so um eine volle Wagenlänge verringern. Praktisch stößt der Versuch allerdings an Grenzen: Denn allein um die EEG-Kappe anzuschließen und das notwendige Kontaktgel am Kopf aufzutragen, braucht es rund 45 Minuten, sagt Professor Klaus-Robert Müller.
"Was wir gerne hätten, wäre ein System, was wir einfach aufziehen können, wo wir kein Gel brauchen, was trocken und sofort los messen kann. Auch in diese Richtung sind in den letzten Jahren erste Schritte passiert, und sagen wir mal, ich glaube in zwei oder drei Jahren wird man erste Kappen auf dem Markt haben, die wirklich massenfähig sind."
Allerdings: Selbst wenn sich das Problem mit den EEG-Kappen lösen lässt und die Gehirnbremse ins Auto eingebaut wird: Die Forscher sehen noch viel grundsätzlichere Konflikte, die solch eine Gehirn-Maschine-Schnittstelle mit sich bringt. Stefan Haufe:
"Das sind halt so eher ethische und sicherheitskritische Bedenken. Denn wir zapfen ja sozusagen die Gedanken des Fahrers an. Und ein Problem, was dabei entsteht, ist, dass wir nicht sicher sein können momentan, ob wir nicht die Intention, also den Willen des Fahrers, detektieren, bevor sie überhaupt einhundertprozentig feststeht."
Um das Dilemma deutlich zu machen, startet Stefan Haufen noch einmal ein Rennen: Angenommen, er nimmt jetzt wegen einer Sinnestäuschung an, das sein Vordermann bremsen will. Er selbst kann diese Fehleinschätzung korrigieren - und trotz des ersten Impulses nicht auf die Bremse treten. Die Software aber versagt hier möglicherweise: Sie hat den ersten Impuls registriert und die Bremsung bereits eingeleitet. Kommt es jetzt zu einem Unfall – etwa, weil der Wagen wegen der Vollbremsung ausschert und auf die Gegenfahrbahn gelangt - dann ist fraglich, wer die Verantwortung trägt: Der Mensch – oder etwa die Maschine? Fragen, die grundsätzlich geklärt werden müssen, sagt Klaus-Robert Müller:
"Ein wichtiger Punkt für mich ist, dass wir mit der Öffentlichkeit in einen Diskurs gehen können, wohin wir hin wollen mit unserer Technologie, quasi so was wie eine neuroethische Diskussion. Und es ist wichtig, diese öffentliche Diskussion zu haben, um diese Entwicklung auch zu begleiten."
Notwendig ist diese Debatte tatsächlich: Denn das elektronische Gedankenentziffern wird zunehmend genauer. Und der Weg in die Praxis ist beschritten: Die Forscher der TU haben bereits vereinbart, ihre Gehirnbremse zusammen mit einem Autohersteller zu testen.
Eintritt in ein rund 20 Quadratmeter großes Labor an der TU Berlin: In dem Licht durchfluteten Raum stehen mehrere Rechner und ein schwarzer Rennautositz. Vor dem Sitz sind drei Monitore angebracht, darunter die Fußpedale eines Autos, mit Bremse und Gas. Informatiker Stefan Haufe setzt sich und umfasst ein schwarzes Lenkrad, das über dem Sitz montiert ist. Los geht’s.
"Genau, also ich sitze hier in dem Fahrsimulator, und ich befinde mich auf einer Rennstrecke, einer simulierten, die dem Formel-1-Kurs von Monza in Italien nachempfunden ist. Und was ich tue, ich fahre einem Auto hinterher, bei ungefähr 100 Kilometern in der Stunde. Und ich muss möglichst geringen Abstand zu diesem Fahrzeug einhalten, also unter 20 Metern.!"
Stefan Haufe gibt Gas – er fährt jetzt dicht auf den Vordermann auf und versucht, einen Abstand von unter 20 Metern einzuhalten.
""Und wenn das der Fall ist, dann leuchtet hier so ein Instrument grün auf, und wenn ich mich innerhalb dieses Abstandes befinde, dann kann es halt passieren, dass das vor mir fahrende Fahrzeug ganz abrupt abbremst, und meine Aufgabe ist es dann, durch eine Notbremsung einen Auffahrunfall zu vermeiden."
Mit genau diesem Versuchsaufbau haben die Forscher 18 Personen getestet: Die mussten fahren und zusätzlich eine EEG-Kappe mit 64 Elektroden tragen, die ihre Hirnaktivitäten aufzeichnete. Kam es zu einer Notbremsung, dann waren im Gehirn der Probanden gleich mehrere Bereiche aktiv: Die Regionen für visuelle und akustische Wahrnehmung und der Motorkortex, mit dem unter anderem die Bewegung des Fußes gesteuert wird. Und auch im Bein ließ sich elektrische Aktivität nachweisen.
"Also wir messen neben den Gehirnströmen auch noch die Muskelanspannung im Schienbein des rechten Beines, mit dem Ziel halt, den Zeitpunkt der ersten Bewegung auch möglichst genau zu detektieren. Und diese Muskelanspannung, die man hat, setzt halt auch etwas eher ein als die Bewegung selbst. Und die Informationen kann man halt dann noch hinzufügen zu den Gehirnströmen, um die Qualität der Vorhersage zu verbessern."
Die Forscher wollten herausfinden, ob sich anhand dieser Daten die Bremsabsicht vorhersagen lässt. Das Ergebnis lässt aufhorchen. Und das, obwohl vom auslösenden Reiz - also den aufleuchtenden Bremslichtern am Auto des Vordermanns - bis zum Tritt auf die eigene Bremse nur etwas mehr als eine halbe Sekunde vergeht - exakt 650 Millisekunden. Doch die Forscher waren mit ihrer Prognose noch schneller.
"Also wir haben verglichen, wie gut man mit den Gehirnströmen die Situation vorhersagen kann, im Vergleich mit den tatsächlichen Bremsungen. Und das Ergebnis war, dass wir ungefähr 130 Millisekunden einsparen können, wenn wir die Gehirnströme benutzen."
Die Forscher können die Bremsabsicht also bereits nach 520 Millisekunden erkennen – und dann auch theoretisch unmittelbar die Bremsung einleiten. Bei einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern würde sich der Bremsweg so um eine volle Wagenlänge verringern. Praktisch stößt der Versuch allerdings an Grenzen: Denn allein um die EEG-Kappe anzuschließen und das notwendige Kontaktgel am Kopf aufzutragen, braucht es rund 45 Minuten, sagt Professor Klaus-Robert Müller.
"Was wir gerne hätten, wäre ein System, was wir einfach aufziehen können, wo wir kein Gel brauchen, was trocken und sofort los messen kann. Auch in diese Richtung sind in den letzten Jahren erste Schritte passiert, und sagen wir mal, ich glaube in zwei oder drei Jahren wird man erste Kappen auf dem Markt haben, die wirklich massenfähig sind."
Allerdings: Selbst wenn sich das Problem mit den EEG-Kappen lösen lässt und die Gehirnbremse ins Auto eingebaut wird: Die Forscher sehen noch viel grundsätzlichere Konflikte, die solch eine Gehirn-Maschine-Schnittstelle mit sich bringt. Stefan Haufe:
"Das sind halt so eher ethische und sicherheitskritische Bedenken. Denn wir zapfen ja sozusagen die Gedanken des Fahrers an. Und ein Problem, was dabei entsteht, ist, dass wir nicht sicher sein können momentan, ob wir nicht die Intention, also den Willen des Fahrers, detektieren, bevor sie überhaupt einhundertprozentig feststeht."
Um das Dilemma deutlich zu machen, startet Stefan Haufen noch einmal ein Rennen: Angenommen, er nimmt jetzt wegen einer Sinnestäuschung an, das sein Vordermann bremsen will. Er selbst kann diese Fehleinschätzung korrigieren - und trotz des ersten Impulses nicht auf die Bremse treten. Die Software aber versagt hier möglicherweise: Sie hat den ersten Impuls registriert und die Bremsung bereits eingeleitet. Kommt es jetzt zu einem Unfall – etwa, weil der Wagen wegen der Vollbremsung ausschert und auf die Gegenfahrbahn gelangt - dann ist fraglich, wer die Verantwortung trägt: Der Mensch – oder etwa die Maschine? Fragen, die grundsätzlich geklärt werden müssen, sagt Klaus-Robert Müller:
"Ein wichtiger Punkt für mich ist, dass wir mit der Öffentlichkeit in einen Diskurs gehen können, wohin wir hin wollen mit unserer Technologie, quasi so was wie eine neuroethische Diskussion. Und es ist wichtig, diese öffentliche Diskussion zu haben, um diese Entwicklung auch zu begleiten."
Notwendig ist diese Debatte tatsächlich: Denn das elektronische Gedankenentziffern wird zunehmend genauer. Und der Weg in die Praxis ist beschritten: Die Forscher der TU haben bereits vereinbart, ihre Gehirnbremse zusammen mit einem Autohersteller zu testen.