Brennerbasistunnel

Deutsche Bedenken bremsen Bauprojekt

11:49 Minuten
Ein Zug fährt durch die Landschaft.
Ein Zug der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). © dpa / Matthias Balk
Von Tobias Krone · 24.02.2021
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Italien und Österreich bauen fleißig am Brenner-Basistunnel. Der soll ab 2030 Hochgeschwindigkeitszüge unter den Alpen hindurch passieren lassen und mehr Güterverkehr auf die Schiene bringen. Auf der deutschen Seite gibt es Proteste und Verzögerungen.
"Der Kinderbuchautor Ottfried Preußler wohnte in Stephanskirchen, ging hier fast täglich spazieren, hatte sein Diktiergerät dabei und entwickelte an diesem Standort praktisch das Kinderbuch 'Der kleine Wassermann'."
So erzählt Thomas Riedrich, der den literaturhistorischen Wert dieses Eckchens kennt. In Sichtweite liegen Wendelstein und Kaisergebirge, schneebedeckt. Und zwischen den Wiesen ein Wäldchen und ein schattiger Weiher.
Das allein wäre Grund genug, den lehmigen Uferweg des Flüsschens Sims entlang zu stapfen und den Tümpel am Ende des Weges in nostalgischer Stimmung zu besichtigen. Schließlich haben die Abenteuer des kleinen Wassermanns im Sumpfidyll die eigene Kindheit stark geprägt.
Doch da deutet Thomas Riedrich auf einen nahen Hügel:
"Hundert Meter dahinter soll das Tunnelportal hin. Was natürlich eine Katastrophe wäre."

Verkehrsknotenpunkt zwischen Zwiebeltürmchen

Stephanskirchen ist ein Vorort von Rosenheim, 70 Kilometer südwestlich von München, nahe dem Autobahndreieck Inntal. Zwischen Dörfchen mit Zwiebelturm und prächtigen Bauernhöfen ziehen sich jeweils Autobahnen und Bahnstrecken Richtung Wien und Richtung Tirol.
Alle, die aus der östlichen Hälfte Deutschlands in Richtung Italien wollen, müssen hier durch. Und jetzt auch noch diese schnelle Neubaustrecke?
Thomas Riedrich erklärt: "Über Jahrzehnte war die Politik hier in der Gemeinde so, dass man gesagt hat, wir bemühen uns, die offenen Flächen nicht zu zersiedeln, nicht hier irgendwo überall Gewerbe anzusiedeln, sondern bewusst die offenen Flächen als Freiflächen zu erhalten. Und genau das wird uns jetzt zum Verhängnis.
Also ich sag einmal: 50 Jahre verantwortungsvolle Gemeindepolitik wird uns jetzt eigentlich zum Verhängnis, weil die Bahn natürlich sagt: Oh, da sind ja viele freie Flächen, da kann ich toll mit einer Trasse durchplanen!"
Noch ist nicht klar, ob die etwa 50 Kilometer lange Bahnstrecke mit dem Namen Brenner-Nordzulauf hier an Stephanskirchen vorbeiführen wird. Die Bahn prüft gerade noch drei andere Streckenvarianten. Aber wie in vielen Orten in der Gegend macht Thomas Riedrich vorsorglich mobil gegen die Strecke mit einer Bürgerinitiative.
"Die Bürger gehen ja nicht auf die Straße, weil sie gegen einen Brenner-Nordzulauf sind oder gegen die Bahn. Wir sind gegen die Planung einer Hochgeschwindigkeitstrasse hier bei uns durch den Landkreis, für die wir keine Notwendigkeit sehen."
Schließlich gebe es ein paar Kilometer weiter ja schon zwei Gleise in Richtung Brenner.

Europäisches Jahrhundertprojekt

Für Franz Lindemair, Leiter der Projektkommunikation bei der Deutschen Bahn, stellt sich die Situation anders dar. Die Strecke ins österreichische Inntal sei ein Jahrhundertprojekt für den europäischen Verkehr der Zukunft.
"Im Mittelpunkt dieser Verkehrsachse steht der Brennerbasistunnel. Wenn der in circa zehn Jahren fertig ist, dann ist er ja auch ein Projekt, das Kapazitäten für viele Jahrzehnte im Voraus bereithalten muss. Und ausgehend von diesem Brennerbasistunnel sind die Regierungen in Italien, in Österreich und in Deutschland schon sehr früh übereingekommen, dass auch die Zulaufstrecken, also nördlich des Brenners bis München und südlich des Brenners bis Verona, entsprechend ausgebaut werden müssen, damit nirgendwo ein Flaschenhals entsteht."
Wenn der Tunnel fertig ist, dann rasen Güterzüge mit 160 Kilometern und Schnellzüge mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde durch den Berg. Das spart viel Energie bei den Loks – und jede Menge Zeit. Die steile und kurvige Strecke über den Brennerpass, der auf knapp 1400 Metern liegt, bleibt für langsamere Züge erhalten.
Doch während dann von Südtirol bis an die deutsche Grenze durchgehend vier Gleise liegen, gibt es ab Kufstein nur noch die zwei alten Gleise. Und solange es nicht auch auf deutscher Seite viergleisig weitergeht, solange klappt es nicht mit der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, finden Österreich und Italien, die jährlich 2,5 Millionen Lkws auf den 200 Kilometern durch ihre engen Alpentäler ertragen müssen.

Österreich und Italien machen Druck

Deutschlands Nachbarn graben deshalb längst den Tunnel. Und machen Deutschland Druck, möglichst auch bald mit dem Bauen anzufangen – was Deutschland schon 2012 in einer Regierungserklärung zugesagt hat. Und auch andere werden ungeduldig.
"Wir sind der Meinung, dass wir da schon längst viel weiter sein müssten. Wir brauchen dringend hier Kapazitätserweiterungen. Insofern stehen wir absolut positiv zu einer Neubaustrecke", sagt Sabine Lehmann vom Verband bayerischer Spediteure.
Auch die würden gerne mehr Güter schnell und umweltfreundlich mit dem Zug nach Italien schicken. Doch die Angebote derzeit, den Container oder gleich den ganzen Lastwagen auf Güterwaggons nach Italien zu transportieren, seien zu teuer – und zu langsam.
Landwirte nehmen mit Traktoren an einer Demonstration gegen den Brenner-Nordzulauf teil. An einem Schlepper ist ein Schild mit der Aufschrift «Kommen die Schienen, sterben die Bienen» befestigt.
Landwirte nehmen mit Traktoren an einer Demonstration gegen den Brenner-Nordzulauf teil. An einem Schlepper ist ein Schild mit der Aufschrift «Kommen die Schienen, sterben die Bienen» befestigt.© picture alliance/dpa | Matthias Balk
Auch in der Region Rosenheim ist eine Mehrheit für die Neubaustrecke zum Brenner, sagt Franz Lindemair von der Bahn.
"Wir haben zweimal das Meinungsforschungsinstitut Forsa beauftragt, eine Studie durchzuführen, wie die Akzeptanz einer neuen Bahnstrecke durch das Inntal aussehen würde. Und beide Male, einmal 2018 und einmal 2019, kam das Ergebnis heraus, dass eine Mehrheit – zuletzt waren es 59 Prozent der Menschen in der Region - sich einen Neubau der Bahnstrecke wünscht."
59 Prozent – das ist eine deutliche Mehrheit, aber auch keine überwältigende. Nach Angaben der Bürgerinitiative gegen die Neubaustrecke haben sich dort in 17 Gemeinden mehr als 5000 Menschen eingeschrieben. Das Thema polarisiert im Raum Rosenheim. Und das scheint die Politik erkannt zu haben.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nimmt an einer Pressekonferenz der Deutschen Bahn zu den Vorschlägen für die fünf möglichen Trassenverläufe des sogenannten Brenner-Nordzulauf teil. Im Hintergrund ist eine Karte mit den fünf möglichen Streckenverläufen rund um Rosenheim.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nimmt im Juli 2019 an einer Pressekonferenz der Deutschen Bahn zu den Vorschlägen für die fünf möglichen Trassenverläufe des sogenannten Brenner-Nordzulauf teil.© picture alliance/dpa | Peter Kneffel
Regelmäßig kamen zwar die CSU-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und sein Nachfolger Andreas Scheuer vorbei, um für das Projekt zu werben. Doch die Regierenden auf den Ebenen darunter klangen in letzter Zeit ablehnend bis verhalten. So verweist Scheuers Parteifreund und Landrat Otto Lederer auf einen Kreistagsbeschluss…
"… in dem wir ganz klar alle fünf Trassenvarianten, wie sie bisher in der Planung waren, abgelehnt haben."
Die bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer, ebenfalls CSU findet, "dass als Erstes bewiesen sein muss, dass es eine Erforderlichkeit für eine Neubaustrecke gibt."
Und auch der Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger vom Koalitionspartner Freie Wähler betont eine gewisse Unentschiedenheit.
"Wir wissen, dass derzeit rund ein Drittel der Güter eben über die Schiene läuft, wir wissen, dass sehr viel über Lkw läuft, wir wissen, dass viel Personenverkehr eben auch über das Auto läuft, denen wir aber nicht verordnen können, dass sie hier jetzt den Zug nehmen müssen, zumindest den Privatleuten nicht."
Dass man aber mehr Bahn braucht, sei angesichts von Wachstumsprognosen und Klimazielen längst erwiesen. So sagen Bahn und Bundesverkehrsministerium in Berlin.

Von München nach Venedig in vier Stunden

Würde man die bestehende Strecke ausbauen, gäbe es Platz für 260 Züge am Tag. Doch um den Lkw-Verkehr auf die Schiene zu bekommen, bräuchte man allein 330 Güterzüge. Das wäre mit zwei Gleisen nicht mehr machbar.
Und wenn man den Zug schon nicht verordnen kann – wie wäre es dagegen mit attraktiven Angeboten? Etwa einer schnellen ICE-Verbindung – in drei Stunden von München an den Gardasee, – in vier nach Venedig, statt bisher sieben? Thomas Riedrich von der Bürgerinitiative winkt ab:
"Wenn ich jetzt mit einem Hochgeschwindigkeitszug von München Richtung Verona fahren wollte, müsste ich ja versuchen, auf der Strecke so viele Passagiere wie möglich einzusammeln. Das ist aber nicht möglich, weil auf den Punkten dazwischen nicht mehr angehalten wird. Es wird in Rosenheim nicht mehr angehalten. Es wird in Kufstein nicht mehr angehalten. Der nächste Halt nach München ist Innsbruck."
Dieses Argument dürfte Zugreisende aus dem Rest Deutschlands auf ihrer Fahrt in den Süden nicht überzeugen.
Doch in Stephanskirchen an der alten Strecke gibt es nicht mal mehr einen Regionalhalt. Die Züge nach München und Salzburg rauschen schon seit Jahren durch.

Naturschützer gegen den Tunnel

Eigentlich wäre das die Stunde der Umweltschützer – gleichzeitig für mehr Güter- und Regionalverkehr auf der Schiene zu kämpfen. Doch auch Peter Kasperczyk vom Bund Naturschutz in Rosenheim ist gegen die Neubaustrecke.
"Der Bund Naturschutz vertritt die Position, dass erst mal über das Verkehrsvermeiden nachgedacht werden muss - oder realisiert werden muss. Wir haben sehr viele Transporte, die nur das unterschiedliche Lohngefälle ausnutzen. Es wäre ein Ansatz zu überlegen, ob ich mir hier Transporte sparen kann."
Zudem sehe er nicht, dass Lkw-Verkehr gegenwärtig verlagert werde. Kein Grund also, bis zu 60 Hektar Moorfläche zuzubetonieren. Immerhin, die Bahn gehe transparenter vor als beim Protest gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21.
Kasperczyk: "Im Rahmen des Projektes gibt es eine gute Bürgerbeteiligung, wo also sehr frühzeitig alle betroffenen Gemeinden in so genannten Gemeindeforen und Regionalforen mit den örtlichen Bürgermeistern und dem Landrat und ähnlichen Funktionsträgern zusammensitzen und von der Bahn über den jeweiligen Planungsschritt informiert werden."

Mehr Ruhe an der Grenze

Zumal auch nicht alle Rathäuser in der Region dagegen sind. In Kiefersfelden, dem letzten Ort vor der Tiroler Grenze freut man sich auf die Neubaustrecke. Denn mit ihr würde es leiser. Anders als heute.
"Jetzt geht die Eisenbahnlinie direkt durch die Dörfer durch. Und das ist natürlich, wenn dann alle zwei oder drei Minuten womöglich noch ein lauter Zug geht – und das auch in der Nacht – eine ganz schöne Belastung", sagt Bürgermeister Hajo Gruber.
Doch hier ist das Inntal so eng, dass auf jeden Fall ein Tunnel gegraben werden muss. Der nächtliche Zuglärm könnte großteils im Berg verschwinden. Wenn es nach ihm ginge, würde die ganze Neubaustrecke unter der Erde liegen, um auch alle Nachbargemeinden zu verschonen.
Doch weiter nördlich rund um Rosenheim sind die Böden weich, außerdem kostet ein Tunnel mindestens das Dreifache einer Bahnstrecke an der Oberfläche. Und so werden manche Gemeinden wohl die Schneise über ihre Wiesen und eine Schallschutzwand am Ortsrand ertragen müssen.

Weniger Widerstand durch geänderte Varianten?

Nach Ostern will die Bahn ihre favorisierte Variante vorstellen. Ob dann immer noch Bürgerinitiativen aus dem halben Landkreis dagegen protestieren, wenn die meisten dann wohl nicht mehr direkt betroffen sind?
Bürgermeister Hajo Gruber glaubt: nein.
"Also, ich bin mir sogar fast sicher, denn wir haben ja schon wesentlich mehr Planungsvarianten gehabt. Und die Gemeinden, die jetzt das Glück haben, dass sie nicht mehr belastet sind von einer potenziellen Planungsvariante, da ist der Protest ja mehr oder weniger eingeschlafen."
Was wird, wenn die Strecke doch nicht um Stephanskirchen und den Mühlweiher geplant wird?
Thomas Riedrich von der Bürgerinitiative meint:
"Dann kann man natürlich überlegen: Okay, der Widerstand, der hier auf der Ostseite ist, bricht dann in sich zusammen, weil keine Notwendigkeit mehr besteht. Das beobachten wir im Moment noch nicht. Unser Ziel ist es, uns nicht auseinanderdividieren zu lassen durch Bahn oder Politik."
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