Unkraut oder Kulturpflanze?

Ein Lob der Brennnessel

08:19 Minuten
Brennnessel-Ernte: Brennnesseln werden in einem Korb gesammelt
Das Image der Brennnessel ist zu Unrecht so schlecht, meint der Naturtheoretiker Ludwig Fischer. © picture alliance / blickwinkel/Frank Hecker
Ludwig Fischer im Gespräch mit Katja Bigalke |
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Sie hat kein gutes Image: Wer will schon die Brennnessel im Garten haben? Der Naturtheoretiker Ludwig Fischer hält das für ein großes Missverständnis. Er hat ein Buch geschrieben, in dem er die Vorzüge der jahrhundertealten Kulturpflanze erklärt.
Die Kehrseite des Gartens ist das Unkraut: Ein besonderes Exemplar dieser Gattung ist die Brennnessel. Sie vermehrt sich wie verrückt und auch wer versucht, sie mit festen Gartenhandschuhen auszureißen, wird sie oft trotzdem nicht los.

Mensch und Garten profitieren

Das sollte man auch gar nicht wollen, meint Ludwig Fischer. Der Naturtheoretiker und Schriftsteller ist selbst Gärtner und hat ein Buch verfasst, in dem er die ungeliebte Brennnessel porträtiert: als jahrhundertealte Kulturpflanze, von der Mensch und Garten profitieren.
„Kein Garten ohne Nessel“, schreibt er darin und empfiehlt, für sie den richtigen Platz zu finden. Wenn sie unter einem Apfelbaum wachsen, steigern sie zum Beispiel die Ernte, erklärt er. Weil sie relativ viel Stickstoff im Boden brauchen, fühlten sie sich in der Nähe von menschlichen Behausungen wohl, sagt Ludwig Fischer, wenn es dort etwa einen Misthaufen oder sehr gut gedüngte Erde gibt. „Das mögen die Pflanzen, die Nesseln.“

Die Brennnessel ist ein Kraut, überhaupt gar kein Unkraut, sondern ein wunderbares Kraut, was in sehr, sehr vielen verschiedenen Verwendungen ganz nützlich ist für die Menschen.

Ludwig Fischer

So ist die Brennnessel traditionell eine Kulturpflanze. Es gebe viele Möglichkeiten, sie zu verwenden oder zu verarbeiten, erzählt der Kräuterexperte: als Lebensmittel, zur Gewinnung von Fasern, für äußerliche und innerliche medizinische Anwendungen und sogar als luststeigerndes Mittel.

Samen mit „bombiger“ Wirkung

„Man braucht keinen Ginseng mehr, diese wahnsinnig teure Immunstärkung“, die auch als Aphrodisiakum taugt, sagt Fischer. Er empfiehlt, jeden Morgen einen Esslöffel Brennnesselsamen ins Müsli zu tun, weil diese Samen „wahre Bomben sind“.
Aus den Fasern der Brennnessel einen hochwertigen Stoff zu machen sei allerdings aufwendig, weil sie sich schwerer aus dem Stängel lösen lassen als zum Beispiel bei Hanfpflanzen. „Guter Nesselstoff ist sehr weich und sehr feuchtigkeitsabsorbierend und wurde deswegen oft als Unterkleid genutzt“, beschreibt Fischer dessen Vorzüge.
Die moderne Fasernutzung gehe heute in eine ganz andere Richtung, sagt der Kräuterexperte. „Die Brennnesselfaser ist zäher und leichter als Glasfaser. Deswegen wird sie heute in Verbundstoffen verarbeitet.“
Aber auch eine Renaissance bei der Stoffherstellung sei durchaus denkbar, meint er, weil sie im Vergleich zur heute viel verwendeten Baumwolle Vorteile biete. „Sie ist ökologisch viel vernünftiger. Baumwolle ist ja eine entsetzliche Pflanze, die gigantische Wassermengen braucht. Die ganzen Anbau- und Erntebedingungen sind nun wirklich nicht förderlich.“
Die Brennnessel ist dagegen – wenn man will – ein sehr leicht nutzbares und fantastisches Kraut, ist Ludwig Fischer überzeugt.

Ludwig Fischer, Judith Schalansky (Hg.): „Brennnesseln - Ein Portrait“
Mit Illustration von Falk Nordmann
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2017
168 Seiten, 20,00 Euro

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