Brennpunktschulen in Berlin

Wenn Bildungspolitik das Richtige versucht - und scheitert

07:11 Minuten
Eine Klasse beim Schulunterricht, die Tische stehen in Zweierreihen, im Hintergrund der Lehrer vor der Tafel, im Vordergrund ein Mädchen mit Kopftuch, das sich meldet.
Die Berliner Bildungsverwaltung definiert eine Brennpunktschule als Schule, bei denen 80 Prozent oder mehr der Schüler und Schülerinnen lernmittelbefreit sind. © Imago stock&people, Gerhard Leber
Von Claudia van Laak |
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Der Berliner Senat will Brennpunktschulen stärker fördern. Aber das Programm, das unter anderem Lehrern eine Zulage verspricht, schafft neue Probleme. Zu wenig Schulen würden gefördert, heißt es. Und: Die Qualität der Schulen sei weiter zu schlecht.
Die Otto-Hahn-Schule in Berlin-Neukölln. Als erstes fällt auf: Am Eingang steht ein Wachmann, lässt sich von jedem den Schülerausweis zeigen.
"Ich bin im Sicherheitsdienst tätig, mache die Türkontrolle. Weil fremde Schüler versuchen, sich Zutritt zu verschaffen, eben auch Erwachsene, die hier nichts zu suchen haben. Und damit keine Unstimmigkeiten entstehen, bin ick hier."
Für fast alle der 775 Schülerinnen und Schüler ist Deutsch nicht die Muttersprache. Drei Viertel der Kinder müssen kein Geld für ihre Schulbücher zahlen, weil ihre Eltern arm sind.
Die Zahl der Jugendlichen, die hier keinen Schulabschluss schaffen, ist dramatisch hoch - sie liegt bei 30 Prozent. Die Lehrer brauchen mehr Unterstützung, haben die Reporterin eingeladen, um über ihre Probleme zu sprechen. Doch sie wird wieder nach Hause geschickt, die Interviews kommen nicht zustande. Das Kollegium hat Angst, die Otto-Hahn-Schule könnte in einem schlechten Licht dargestellt werden.
Sicherheitsleute kontrollieren die Schülerausweise von Schülern der Otto-Hahn-Schule in Berlin-Neukölln.
Sicherheitsleute kontrollieren seit 2007 die Schülerausweise von Schülern der Otto-Hahn-Schule in Berlin-Neukölln.© dpa picture alliance/ Rainer Jensen
Dabei ließe sich am Beispiel der Otto-Hahn-Schule gut erklären, was eine Brennpunktschule braucht, sagt der Vorsitzende der Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Tom Erdmann:
"Wir brauchen einen besseren Personalschlüssel. Lehrer sollen weniger unterrichten. Wir fordern, dass wenigstens zwei Stunden weniger an Brennpunktschulen unterrichtet werden muss. Wir brauchen mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Und natürlich müssen auch Sekretärinnen und Hausmeister mehr entlastet werden. So eine Schule hat einen höheren Verwaltungsaufwand, muss sich mehr mit Jugendämtern auseinandersetzen."

Berliner Senat: Entlastung durch mehr Geld

Die Berliner Senatsbildungsverwaltung hat zwei Programme aufgelegt, um diesen so genannten Brennpunktschulen zu helfen. Zum einen erhalten sie zusätzlich bis zu 100.000 Euro im Jahr - sie können eigenverantwortlich über dieses Geld entscheiden - das sogenannte Bonusprogramm.
Zum zweiten profitieren die Pädagoginnen und Pädagogen von einer Zulage: sie erhalten monatlich 300 Euro mehr Gehalt. Dafür hat sich Maja Lasic eingesetzt. Die SPD-Politikerin ist bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus:
"Der Grundgedanke dahinter war, wir gehen davon aus, dass eine Lehrkraft oder eine Erzieherin, eben sämtliches pädagogisches Personal an einer Schule in schwieriger Lage mehr Arbeit leistet. Also uns geht es darum, für das Mehr an Arbeit mehr Geld zu geben. Und daher ist das per se ein Erfolg, also an allen Schulen, an denen wir das jetzt hingekriegt haben."
Das große Problem dabei: Wann ist eine Schule eigentlich eine Brennpunktschule? Für die Berliner Bildungsverwaltung ist der Anteil der armen Eltern entscheidend. Doch nicht an allen Schulen, die zusätzliche Finanzmittel erhalten, bekommen auch die Lehrer mehr Geld. Für die 300-Euro-Lehrer-Zulage gilt: Nur Schulen, an denen acht von zehn Kindern aus armen Familien kommen, profitieren davon.
"Man hat bei jeder Quote, die man einführt, Schulen, die direkt unter der Quote liegen. Und da sage ich auch ehrlicherweise: Bei der jetzigen Einführung ist es so, dass es Schulen gibt, die direkt unter der Quote sind, und die meiner Ansicht nach sehr wohl diese Zulage bekommen sollten. Das macht die Zulage nicht weniger richtig. Nur sie hat noch nicht genug Geld."

Lehrer erhalten mehr Geld, Sozialarbeiter nicht

Darum müssen die Lehrerinnen und Lehrer der Otto-Hahn-Schule in Neukölln auf das Extrageld verzichten. Der Grund: Nur 75 und nicht 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler gelten als arm. Ungerecht finden dies die Lehrer, ein Großteil von ihnen hat deshalb die Versetzung beantragt. Hildegard Bentele, die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus, unterstützt diese Aktion:
"Das ist eine Rebellion gegen diese unsinnige Maßnahme, um einfach auch zu zeigen, dass es nicht sinnvoll ist. Es ist ja auch einfach absurd, weil es werden die Schulen bestraft, die sich bemühen, ihre Schülerschaft zu mischen, also die eigentlich einen ganz positiven Weg eingeschlagen haben, die aber immer noch viele Extra-Probleme zu lösen haben. Also es ist eine Rebellion gegen den Senat, dass das eine falsche Maßnahme war."
Und eine ungerechte dazu. Denn Hausmeister, Schulsekretärinnen und Sozialarbeiter profitieren nicht von der 300-Euro-Zulage. Die CDU fordert stattdessen mehr Geld direkt an die Brennpunktschulen zu geben.
"Wenn man noch zusätzliches Geld investieren möchte, dann bitte über dieses Bonusprogramm, weil eben, und das ist der große Wunsch der Schulen, sie selber darüber entscheiden, wie sie ihre Belastung reduzieren können."
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft dagegen begrüßt das höhere Gehalt, stört sich aber daran, dass Erzieherinnen und Erzieher es nicht erhalten. Sie werden stattdessen tariflich höhergestuft. Doch das sorgt nur für zusätzliche Probleme, sagt GEW-Chef Tom Erdmann:
"Es ist nicht erklärlich, dass Erzieherinnen und Erzieher nur ein paar Peanuts bekommen, während Lehrkräfte 300 Euro als Zulage obendrauf bekommen. Das spaltet das Kollegium und wird für Spannungen sorgen. Und der politische Wille, der dahintersteckt, wird völlig ad absurdum geführt. Also eine gute Idee wird absolut katastrophal umgesetzt."

Qualität von Brennpunktschulen zu niedrig

Es entsteht der Eindruck: Der Berliner Senat steckt Geld und Energie in die Förderung von Brennpunktschulen, verliert sich allerdings im bürokratischen Klein-Klein. Und - das Wichtigste - erzielt keine Ergebnisse. Dies bestätigt auch die vor kurzem veröffentlichte Studie des Wissenschaftszentrums Berlin. Danach ist die Qualität der Brennpunktschulen in der Hauptstadt messbar schlechter als die anderer Schulen. Es fällt mehr Unterricht aus, viele Schulstunden werden von nicht qualifizierten Kräften unterrichtet, außerdem arbeiten vergleichsweise viele Quereinsteiger an diesen Schulen. Marcel Helbig, Autor der Studie:
"Jetzt, wo dieser Lehrermangel entsteht, können sich Lehrkräfte eher als früher aussuchen, wo gehen sie hin. Und das Problem, das jetzt entsteht ist, dass die sogenannten Brennpunktschulen oder die sozial belasteten Schulen jetzt nicht die Schulen sind, wo die Lehrkräfte am liebsten hingehen würden, weil auch die Arbeit da objektiv schwieriger ist als an einer sozial privilegierten Schule."
Die Lösung wäre eine Steuerung von oben, sprich eine Zuweisung der Lehrkräfte durch die Bildungsverwaltung. Ein zweischneidiges Schwert, denn Lehrkräfte, die damit nicht einverstanden sind, könnten sich einfach wegbewerben - von einer Neuköllner Brennpunktschule an die Schule ihrer Wahl im Nachbarland Brandenburg. Dort würden sie mit Kusshand genommen und zusätzlich verbeamtet.
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