Die USA als Land ohne Grauzone
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Bret Easton Ellis ist wieder da. In seinem autobiografischen Werk "Weiß" rechnet er mit der gesellschaftlichen Linken der USA ab und mit angeblichen Sprechverboten. Leider erliegt er dabei zu sehr der Versuchung, die Gegenseite zu provozieren.
Es beginnt ganz harmlos. Bret Easton Ellis erzählt aus seiner Kindheit im Kalifornien der 1970er: Helikoptereltern gab es damals nicht. Kinder konnten tun und lassen was sie wollten. Und der Junge, der später einer der erfolgreichsten Autoren der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur werden sollte, härtete sich mit Horrofilmen ab.
Wer weiterliest, merkt aber schnell: Bret Easton Ellis' "Weiß" ist eins dieser Bücher, die man am liebsten gar nicht anfassen würde, weil man das Gefühl hat, dass eine Besprechung nur im Shitstorm enden kann. Womit wir direkt beim Thema wären.
Ellis, der mit "American Psycho" Anfang der 1990er zum Kultautor wurde, schaut auf die Vereinigten Staaten und beschreibt in seinem neuen autobiografischen Werk nicht nur eine gespaltenen Gesellschaft. Er wettert vor allem gegen eine Linke, die seit der Wahl Donald Trumps "immer durchdreht und abhebt", gegen eine Kultur, die "in eine von der Linken initiierte autoritäre Phase eingetreten" ist und gegen Menschen, die anderen ständig den Mund verbieten: "Es gibt in unserer Gesellschaft das zunehmende Problem, dass Menschen zwei einander widersprechende Gedanken im Kopf nicht mehr ertragen können."
Ellis beschimpft Millenials als "Weicheier"
Die Sozialen Medien sind eine Falle, die das "Individuum stillegen". Millenials sind Weicheier, die keine Gegenmeinung zulassen. Und Identitätspolitik ist das Schlimmste, was der Kunst je passiert ist, so Ellis. Das Thema treibt den Autor schon länger um. Seit 2015 spricht er in seinem Podcast mit Gästen "über den Widerstreit zwischen Ideologie und Ästhetik in Kunst und Kultur." Und Ellis lässt in "Weiß" keinen Zweifel daran, das Ideologie seiner Meinung nach gewinnt. Mal klug, mal trotzig belegt er den Trend mit Fallbeispielen und Anekdoten.
Nun ist Ellis nicht der erste, der sich dem Phänomen widmet. Was der schwule, weiße Autor in "Weiß" kritisiert, beschrieb der afro-amerikanische US-Journalist Wesley Morris 2018 bereits in der New York Times. In seinem Essay "The Morality Wars: Should art be a battleground for social justice?" beklagt der Kunstkritiker der Zeitung, es gehe nicht mehr darum, ob Kunst gut, sondern ob sie moralisch korrekt sei.
Morris‘ und Ellis' Analysen sind Inside Jobs. Beide greifen vor allem ihre eigene Kohorte an. Wenn Ellis genüsslich auf die wohlhabenden Eliten an Ost- und Westküste oder die "schwule Gemeinde in der Unterhaltungsindustrie" losgeht, dann deswegen, weil er selbst dazu gehört.
"Weiß" ist wütend und stellenweise denkfaul
Als enttäuschter Links-Liberaler setzt sich Ellis bewusst zwischen die Stühle und wünscht sich, dass "alle mal ihre Erwachsenenkleider anziehen", an der Bar einen Drink zusammen nehmen und sich richtig miteinander unterhalten. Allerdings lässt Ellis nicht nur die stilistische Finesse, sondern auch die Klarheit vermissen, mit der NYT-Autor Morris die "culture wars" der vergangenen Jahre nachzeichnet.
"Weiß" ist persönlicher, wütender und stellenweise denkfaul. Dem Privileg, als weißer Mann durchs Leben zu gehen, begegnet Ellis mit einem Schulterzucken. Die Social-Media Besessenheit von Millennials und deren Wunsch, zu gefallen, schiebt er auf deren ökonomische Situation. Und immer wieder bezeichnet Ellis die Gegenseite als "Weicheier" und "Idioten".
Damit siegt Ellis' Lust an der Provokation über den Wunsch, ganz erwachsen Frieden zu stiften. Der Aufruf zum Dialog verkommt zur Pose. Millenials - wenn es sie denn gibt - werden das Buch hassen und ältere Semester wahrscheinlich zustimmend nicken. Aber wenn beide das Buch lesen, könnte "Weiß" immerhin als Gesprächsgrundlage dienen.