Spiele als UNESCO-Kulturerbe

Fünf Gründe, warum Sie mehr spielen sollten!

Hände halten Karten in der Hand, im Hintergrund ist ein Tisch mit einem Spielbrett und Figuren.
Mit dem Brettspiel „Weimar: Der Kampf um die Demokratie“ kann man Politik und Geschichte spielerisch erleben © picture alliance / dpa / Fabian Strauch
Gedanken von Nicola Balkenhol und Tobias Pastoors |
Das Spielen von Brettspielen ist seit März von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Damit ist offiziell, was Spielerinnen und Spielern längst klar war: Spielen macht nicht nur Spaß – es schafft Mehrwert für unsere Gesellschaft.
Deutschland ist ein Spieleland. Insbesondere wenn es um Spiele geht, die mit Brettern, Figuren, Würfeln, Karten und teils vielen Seiten Regelwerk gespielt werden.
In den 1970er-Jahren begann dieser Aufschwung, brachte erst den Preis „Spiel des Jahres“ hervor, in den 90ern dann „Catan“, das gerade den 30. Geburtstag gefeiert hat. Von deutschen Wohnzimmern aus eroberten die German Games im „Siedler-von-Catan“-Stil die Welt.
Mit deutscher Ernsthaftigkeit wurden Brettspiele vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund als immaterielles Kulturerbe der UNESCO vorgeschlagen. Wenn nicht in Deutschland, wo sonst sollte das gelingen? Und ja, es gelang! Die UNESCO begründet das so:

„Brettspiele spielen ist eine generationsübergreifende Praxis, bei der Menschen in verschiedenen sozialen Kontexten gemeinsam spielen, um Gemeinschaft zu fördern und Wissen weiterzugeben.“ 

UNESCO

Beim genauen Lesen der vollständigen Begründung der UNESCO lassen sich fünf Gründe extrahieren, die hoffentlich auch Sie überzeugen, mehr zu spielen:

Spielen bildet

Die UNESCO betont, was man beim Spielen alles lernen kann: „Die Brettspielkultur vermittelt spezifisches Wissen und Fertigkeiten, insbesondere in der Anwendung und Erklärung von Spielregeln sowie in der Gestaltung von Spielen.“ Verlieren und soziales Miteinander lernen, über Taktik und Strategie grübeln und die Wirkmechanismen des Spiels erfassen. Und sich dabei natürlich an die Regeln halten, auch das will gelernt sein.
Ein aktuelles Beispiel aus dem Brettspiel-Kosmos: „Weimar – Der Kampf um die Demokratie“. Der Hintergrund ist historisch, die Aktualität viel diskutiert. Das Erlebnis ist das, was bei Brettspielen ein immer wichtigeres Element ist: immersiv. Aus einer sehr direkten Perspektive erfahren die Spielerinnen und Spieler die politische Situation in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
In „Weimar“ spielt man politische Parteien der Weimarer Republik ab dem Jahr 1918. Alle Parteien verfolgen dabei das Ziel, dass die Nationalsozialisten nicht an die Macht kommen. Dazu müssen sie kooperieren und Aktionen miteinander abstimmen, während sie gleichzeitig gegeneinander arbeiten, um möglichst allein zu gewinnen. Ein paar Runden Weimar – Spieldauer drei bis sechs Stunden – können eine neue Perspektive auf die schwierigen Abwägungen eröffnen, mit denen Politikerinnen und Politiker sich rumschlagen mussten und müssen.
„Weimar“ ist ein Autorenspiel. Matthias Cramer heißt er, und er hat schon viele Spiele erdacht. Für „Weimar“ brauchte er seine Erfahrung und Fähigkeit, gute Spielemechanismen zu erfinden oder aufeinander abzustimmen, und musste beides ergänzen um die tiefe Einarbeitung ins historische Thema. Ohne Spieleautorinnen und -autoren solchen Kalibers hätten es Brettspiele nicht zum immateriellen Kulturerbe gebracht.
In Deutschland gab es übrigens die ersten Autoren, die ihr Geld ausschließlich mit dem Entwickeln von Spielen verdienten. Wolfgang Kramer (mehrfacher Preisträger von Spiel des Jahres, zum Beispiel „Heimlich und Co“, „El Grande“) und „Catan“-Erfinder Klaus Teuber gehören dazu. Und mit der Spiele-Autoren-Zunft SAZ hat sich schon Anfang der 1990er-Jahre der heute weltweit größte Interessenverband gegründet, der sich unter anderem für faire Verträge zwischen Autoren und Spieleverlagen stark macht.

Spielen funktioniert über Generationen hinweg auf Augenhöhe

In den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war Spielen oft noch ziemlich paternalistisch: Erwachsene setzten sich an den Tisch mit Kindern, um ihnen zu zeigen, „wie es geht“ oder die Kleinen gönnerhaft gewinnen zu lassen. Diese Zeiten sind vorbei.
Moderne Kinderspiele stellen oft Herausforderungen in den Mittelpunkt, die Kinder und Erwachsene ohne oder mit nur geringem Startvorteil bewältigen müssen. Dabei ist nicht ausgemacht, wer gewinnt. Ein Beispiel: „Zauberberg“, Kinderspiel des Jahres 2022, das Geschicklichkeit in den Vordergrund stellt. Bei Familienspielen für die etwas älteren Kinder und ihre erwachsenen Mitspieler gibt es schon lange Angebote fürs gemeinsame Tun auf Augenhöhe.
Das allererste „Spiel des Jahres“ von 1979, „Hase und Igel“, gehört schon dazu. Weil sich die Spielmechaniken, Materialien und Genres immer weiter ausdifferenzierten und es nach wie vor tun, wurden übrigens aus einem „Spiel des Jahres“-Preis drei, nämlich einer für Kinderspiele, einer für Familienspiele und einer für Vielspieler oder Expertinnen.

Spielen fördert Gemeinschaft

Auf der UNESCO-Webseite wird hervorgehoben, dass Spielen „in verschiedenen sozialen Kontexten wie Vereinen, Clubs, Cafés und Jugendzentren, aber auch in privaten Haushalten gepflegt wird“. Für Brettspiele ist man im Regelfall auf Mitspielerinnen und Mitspieler angewiesen.
Die Suche nach Mitspielenden hat schon Nachbarschaften zusammengebracht, Räume in öffentlichen Bibliotheken geöffnet, Ferientreffs über lange Wochenenden oder länger erblühen lassen. Überall gibt es Möglichkeiten, sich dazuzugesellen. Im Internet muss man nicht lange suchen, um in allen Gegenden Deutschlands Mitspieler zu finden.

Vor dem Regelwerk sind alle Spieler gleich

Die weltgrößte Publikums-Spielemesse in Essen funktioniert so, dass an hunderten Tischen tausende Menschen neue Spiele ausprobieren. Wer sich für ein Spiel interessiert, fragt schon am Tisch Sitzende, ob er mitspielen darf, setzt sich auf einen freien Platz (manchmal wegen des hohen Interesses mit längerem Warten verbunden), stellt sich kurz mit Vornamen vor, und bekommt in bislang unbekannter Runde erklärt, worum es geht.
Für ein paar Runden verfolgen die bislang einander Unbekannten die gleichen Ziele bei kooperativen Spielen oder versuchen die Besten zu werden in kompetitiven Runden. Gemeinsames Lachen und Schimpfen auf Pech inklusive. Anschließend bedanken sich alle meist freundlich, stehen auf und gehen ihrer Wege im Gefühl, Teil einer Gruppe Gleichgesinnter gewesen zu sein, die eine gute Zeit miteinander verbracht haben.
Soziale Herkunft, politische Meinung oder religiöse Überzeugung spielen meist keine Rolle, Gespräche drehen sich um Spielzüge und Regelfeinheiten. Im Jahr 2018 haben drei damalige Vorstandsmitglieder des Vereins „Spiel des Jahres“ die Initiative „Spielend für Toleranz“ angestoßen, um klar zu machen, dass Rassismus nicht mitspielen darf.

Spielen macht Spaß!

Spaß. Das Wort steht – huch – nirgendwo auf der UNESCO-Seite. Dabei ist das Genre Party- und Kommunikationsspiele breit in den Angeboten der Verlage vertreten. Moderne Klassiker fürs Spaßhaben aus diesem Genre sind „Just One“, Spiel des Jahres 2019, oder „Stille Post Extrem“, ein in die Schachtel gebrachtes Spiel, das viele aus „mündlicher Überlieferung“ kennen, die leicht angepasst wurde.
Aber nicht nur solche Spiele machen Spaß, sondern Spaß ist eigentlich Voraussetzung für gute Spiele. „Spaß haben“ kann sehr Unterschiedliches bedeuten: eine Aufgabe lösen (Rätselspiele), intellektuelle Herausforderungen meistern, erleben wie eine Strategie aufgeht, in Rollen schlüpfen – und dabei immer gemeinsam am Tisch zu sitzen. 
Fünf gute Gründe zu spielen. UNESCO-zertifiziert oder einfach: aus Spaß!
Mehr über das Spielen