Brexit

Für ein "britisches Europa"

Flaggen der Europäischen Union und von Großbritannien
Flaggen der Europäischen Union und von Großbritannien © imago / Ralph Peters
Von Henning Hoff |
Sollte Großbritannien nicht die EU verlassen, wäre es Zeit für die "United States of Europe", allerdings im Sinne Winston Churchills als einem ebenso flexiblen wie schlagkräftigen, demokratisch legitimierten Gebilde aus Nationalstaaten, meint der Journalist Henning Hoff.
Bald ist es so weit. Bereits zum zweiten Mal nach 1975 werden die Briten darüber abstimmen, ob sie der Europäischen Union angehören wollen oder nicht. Kein anderes EU-Land hat sich bislang derart ausdauernd den Luxus dieser Frage erlaubt.
Es mag am nicht verwundenen Verlust des britischen Weltreichs liegen, dass man auf der Insel auch nach bald einem halben Jahrhundert EU-Zugehörigkeit immer noch mit dem Gedanken liebäugelt, man könne gewissermaßen die Anker lichten und sein Glück an anderen Gestaden suchen als denen des europäischen Kontinents.
Und es stimmt: Bei den Kampagnen für und wider eines "Brexit" geht es oft gar nicht um Europa, sondern um nationale Politik. Ginge es nur um die EU, stünde die britische Mehrheit. Denn die staatsrechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Argumente der "Brexiteers" zerbröseln in aller Regel bei nüchterner – man ist versucht zu sagen: britischer – Betrachtung.

Austritt Großbritanniens aus EU wäre Treppenwitz

So aber steht es Spitz auf Knopf. Die Gefahr, dass Großbritannien aus der EU taumelt, ist durchaus real und hierzulande unterschätzt. Es wäre eine Katastrophe nicht nur für die Briten, sondern auch für den Rest der Europäer – und ein zeitgeschichtlicher Treppenwitz: Die Briten kehrten Europa genau in dem Moment den Rücken, in dem die EU so "britisch" war wie nie.
Positiv gewendet: Würde sich Großbritannien für den Verbleib aussprechen, wäre das eine Chance – für die Briten und für die EU.
Denn gegen den krisengebeutelten Zustand der EU hilft keine euro-republikanische Utopie, wie sie Ulrike Guérot an dieser Stelle gefordert hat. Dagegen helfen nur Augenmaß und Pragmatismus. Die EU muss wieder stärker demonstrieren, wie sehr sie all ihren Bürgern nützt.
Dazu sollte man nicht die endgültige Einigung Europas herbeisehnen – oder wie Brexit-Befürworter sagen würden, "den Brüsseler Superstaat". Mit einem "britischen Europa à la carte", in dem nicht jedes Land bei jedem Integrationsschritt mitmachen muss, ließe sich viel schneller viel mehr erreichen.

Europäische Union wird nicht durch Zwang zusammengehalten

Die Kompromisse, die Cameron diesen Februar beim EU-Gipfel seinem Amtskollegen – letztlich mit viel deutscher Hilfe! – abgerungen hat, werden oft als politisches Theater abgetan. Dabei geben sie wichtige Fingerzeige. Zum Beispiel diesen: Eine "ever closer union", wie es in den Römischen Verträgen von 1957 heißt, gilt nicht für alle und alles. Auch ist der Euro nicht Europas alleinige Währung.
Will sagen: Nicht der erzwungene Marsch im Verband ist die Lösung, sondern ein ebenso flexibles wie effektives Gebilde, das Integration in unterschiedlichen Konstellationen und Geschwindigkeiten aushält – ja die Union gerade dadurch zusammenhält.

Churchill meinte schlagkräftiges, aber nationalstaatliches Europa

So ließe sich schlagkräftige Gemeinschaftspolitik machen - von einer Brüsseler EU-Kommission, die durchaus mit größerer demokratischer Legitimität ausgestattet werden könnte, und überwacht vom Europaparlament.
Aber eben in jenen großen, übergeordneten Bereichen, in denen dies sinnvoll ist – zum Beispiel beim Binnenmarkt, bei Migration, Sicherheit und Verteidigung oder der Außenpolitik – und von den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten mitgetragen wird. Anderes verbleibt besser auf nationaler Ebene – beziehungsweise wandert dahin zurück.
Das wären dann "United States of Europe", wie sie wohl Winston Churchill bei seiner berühmten Zürcher Rede kurz nach dem Zweiten Weltkriegs im Kopf hatte. Eine Union nämlich, in der Millionen Europäerinnen und Europäern "glücklich und frei, zufrieden und sicher" leben würden, auch wenn für sie ein "Mehr an Europa" nicht immer die richtige Antwort auf alle erdenklichen Probleme unserer Zeit wäre.
Sagen wir es ganz einfach: "Less is more".

Henning Hoff, studierte Zeitgeschichte in Köln und London, arbeitete nach der Promotion als freier Korrespondent in der britischen Hauptstadt. Seit 2011 ist er Editor-at-Large bei der Zeitschrift "Internationale Politik", die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird, und betreut zudem deren neues englischsprachiges Pendant Berlin Policy Journal. Er ist Mitgründer des Verlags WELTKIOSK.

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