Weg von der Insel?
05:17 Minuten
Seit der EU-Erweiterung arbeiten etwa 800.000 Polen in Großbritannien, doch seit dem Brexit-Votum hat jeder Vierte schon über eine Rückkehr nachgedacht. Jakub hat die schon hinter sich. Ein Besuch in Bydgoszcz.
Jakub holt einige Tassen aus dem Küchen-Schrank, wirft routiniert Teebeutel hinein, schaltet den Wasserkocher an. Tea-Time in Polen. Ohne Milch. "Wenn Sie in Großbritannien ihrem Nachbarn einen schwarzen Tee pur anbieten, dann hält der sie garantiert für einen Freak", witzelt der 33-Jährige. Hier in Polen aber trinkt man Tee vor allem schwarz. Mit einem Spritzer Zitrone.
"Ich versuche mich an die neue Umgebung zu gewöhnen", sagt Jakub. "Es ist nicht so einfach und ich habe immer noch einige Gewohnheiten aus Großbritannien. Zum Beispiel frage ich die Leute auf der Straße: ‚Hallo, wie geht's? Die Leute gucken dann ein bisschen komisch. Dann merke ich, dass ich nicht länger in Großbritannien bin."
Jakub bittet ins Wohnzimmer. Nebenan spielt die vierjährige Tochter seiner Lebensgefährtin. Über einen riesigen Flachbildschirm flimmert tonlos eine polnische Koch-Show. Die Wände im Wohnzimmer sind noch kahl. Nur ein E-Piano steht an einer Wand. Seit vier Monaten lebt Jakub wieder in Polen.
Jakub bittet ins Wohnzimmer. Nebenan spielt die vierjährige Tochter seiner Lebensgefährtin. Über einen riesigen Flachbildschirm flimmert tonlos eine polnische Koch-Show. Die Wände im Wohnzimmer sind noch kahl. Nur ein E-Piano steht an einer Wand. Seit vier Monaten lebt Jakub wieder in Polen.
Verunsichert wegen des Brexits
"Ich glaube, die meisten Leute kommen zurück, weil sie sich Sorgen machen wegen des Brexits und was danach passiert", sagt er. "Und sie sehen, dass die Löhne, die man vielleicht vor zehn Jahren in Großbritannien erzielen konnte, jetzt wirklich nicht mehr steigen."
Die nicht endende Brexit-Debatte, der aufkeimende Nationalismus, die Unsicherheit - all das lässt viele Polen über die Rückkehr nachdenken, sagt Jakub. Im "Polish Express", der wichtigsten Zeitung für Polnischstämmige in Großbritannien, stimmen in Umfragen nur noch 65 Prozent für das Bleiben.
"Ich war Picker und Packer", sagt Jakub. "Ich habe für einen Paketdienst gearbeitet. Oder als Lagerarbeiter im Kühlraum, bei minus 20 Grad. Das war keine schöne Erfahrung, aber ich musste jeden Job machen, den ich kriegen konnte. Zum Schluss habe ich im Büro einer Transportfirma gearbeitet, ein Jahr lang. Ich habe den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen, telefoniert, die Papiere für die Fahrer fertig gemacht. Das war ziemlich gut.
Familiendrama ums Sorgerecht
Fünf Jahre arbeitet Jakub in Großbritannien, verdient am Ende umgerechnet 2000 Euro im Monat. Das reicht so gerade zum Leben. Aber auch nur, weil seine damalige Frau etwas dazu verdient: Ein Gehalt für Miete und Nebenkosten, eines für Lebensmittel und Kleidung, das war ihre Kalkulation. Dann verlässt ihn seine Frau, nimmt den neunjährigen Sohn mit. Mit der Beziehung geht auch die Kalkulation in die Brüche. Inzwischen ist Jakub geschieden. Er lebt in Polen. Sein Sohn in England.
"Und er wird mich in ein paar Jahren fragen: Warum hast du nicht um mich gekämpft? Warum wolltest du mich nicht sehen? Was werde ich dann sagen: Deine Mutter hat es nicht zugelassen? Ich kann nur die Anordnungen des Gerichts und meine Aussagen dazu aufbewahren. Damit er das später nachlesen kann."
Zwei Mal musste er in den letzten Monaten nach Großbritannien fliegen, weil das Familiengericht über das Umgangsrecht verhandelte. Noch gibt es kein Urteil. Aber einen Beschluss: Die nächste Anhörung läuft per Videokonferenz. Jakub wiegt den Kopf, nimmt noch einen Schluck Tee. Seine Erfahrungen beschreibt er in einem Onlineforum für polnische Rückkehrer.
Zwei Mal musste er in den letzten Monaten nach Großbritannien fliegen, weil das Familiengericht über das Umgangsrecht verhandelte. Noch gibt es kein Urteil. Aber einen Beschluss: Die nächste Anhörung läuft per Videokonferenz. Jakub wiegt den Kopf, nimmt noch einen Schluck Tee. Seine Erfahrungen beschreibt er in einem Onlineforum für polnische Rückkehrer.
Neuanfang in Polen
Jakub geht auf den Balkon, zündet sich eine Zigarette an. Inhaliert tief. Blickt auf die Hochhausblöcke gegenüber. Auf dem Feuerzeug prangt ein polnischer Adler. Umgerechnet elf Euro kostet eine Schachtel Zigaretten in England, rechnet er kopfschüttelnd vor. In Polen vier Euro. Auf dem Schwarzmarkt, unversteuert, die Hälfte. "Günstig war in Großbritannien eigentlich nur mein E-Piano", sagt er. Viel mehr hat er von der Insel nicht mitgebracht. "Ich spiele oft", sagt er. "My Way" von Frank Sinatra ist eines seiner Lieblingslieder. "Wenn ich singe, kann ich mich entspannen", erzählt Jakub, wirft die Zigarette in eine große Plastikflasche und geht zurück ins Wohnzimmer.
Es war ein schwerer Abschied. Und ein schwerer Neu-Anfang. 50 Bewerbungen hat er geschrieben, auf der Suche nach einem Job. "Bei jedem Einstellungsgespräch sage ich: 'Ich möchte einen Neuanfang. Ich habe einige Erfahrungen.' Vielleicht habe ich zu viele Jobs in meinem Lebenslauf, dass sie denken: 'Ich wechsle die Arbeit wie andere die Socken.'"
Dann aber klappte es bei ihm doch noch: Er hat einen Job als Kundenbetreuer bei einer Elektronik-Kette ergattert. Für umgerechnet 600 Euro netto im Monat. Seine Freundin verdient ungefähr dasselbe, als Verkäuferin in einer Boutique. Zusammen kommen sie in Polen so gerade über die Runden.