Ein Ventil für den ganzen Mist
06:12 Minuten
Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch Galgenhumor und auf den verstehen sich die Briten im Brexit-Drama vorzüglich. Von trockenem Humor bis Verunglimpfung ist alles dabei. Wobei ein politisches Lager sich durch den besseren Witz auszeichnet.
Soll ich bleiben oder gehen? Den Klassiker von The Clash hat ein twitternder Spaßvogel auf der Insel zum Soundtrack des nervenzehrenden Brexit-Gerangels gekürt. Der drohende Ausstieg der Briten aus der EU bietet viel Stoff für Memes. Das Foto einer Weltkarte, die das einstige Empire in dunklem rot zeigt, ist mit diesem Kommentar viral gegangen:
"Nur Briten können die halbe Welt kolonialisieren und dann die EU verlassen – weil sie keine Immigranten mögen."
Der britische Humor ist speziell. Und Memes nicht zum Vorlesen gemacht. Einen gewissen Witz hat es aber schon, wenn unter dem Bild eines verschwitzen Engländers steht:
"Natürlich klauen Ausländer deinen Job. Aber wenn sie das ohne Kontakte, ohne Geld und ohne Sprachkenntnisse tun, dann bist du wahrscheinlich einfach nur unfähig."
Witze als Frustabbau
Trocken nennen die Briten ihren Humor, den Helden wie Monty Python in die Welt getragen haben. Seit es das Internet gibt, macht das ganze Volk mit.
"Wichtig für unseren Humor sind Sarkasmus und Untertreibung. Wir nehmen uns auch oft selber auf die Schippe. Gern machen wir Witze über für uns wichtige Themen wie Höflichkeit, Klassenzugehörigkeit und Status. Außerdem beschweren sich Briten gern. Humor ist ein Ventil für all den Mist, der im Leben passiert."
…meint Tim Moots von der Kommunikationsagentur WeAreFlint in London. Britische Memes unterscheidet sich nicht von der aus anderen Ländern, findet Moots. Allerdings passe die Meme-Kultur irgendwie ganz gut zum britischen Humor.
"Aus der Kochbuchserie Harter Brexit: 100 wohlschmeckende Rezepte mit Gras"
…steht auf dem Foto eines Buchcovers mit einem Grasbüschel darauf. Thomas, die Lokomotive, schaut traurig hinter einem halb zugemauerten Portal des Eurotunnels hervor. Und die Queen winkt über der Überschrift: Europäer – das war’s: Mother Fuckers. Die Inselpresse pflegt seit jeher die hohe Kunst des Wortspiels – gern in Kombination mit einem Foto – als frühe Form des Meme.
Mit dem Brexit-Referendum kam die Witze-Kachel
"Also ich denke schon: Humor in diesen Momenten, wo man nicht erwartet, dass es Humor gibt. Wo das richtig hilft im Alltag. Ich merk das auch bei dieser Brexit-Situation. Das ist ein bisschen pervers."
…erklärt Kate Connolly, Deutschland-Korrespondentin der englischen Zeitung "The Guardian". Gleich nach dem verhängnisvollen Referendum gingen Brexit-Memes in Umlauf. Seitdem helfen sie bei der Verarbeitung des kollektiven Traumas einer leichtfertig verschenkten europäischen Zukunft – durch das Konsumieren und Produzieren von kleinen lustigen Kunstwerken – eine Art Galgenhumor.
"Goodbye. Goodbye. Goodbye. Goodbye. Goodbye. Goodbye. Goodbye."
…rufen Dick und Doof im Netz – in endlos geloopten .gif-Schleifen.
"Musik Zurück in die Zukunft:"
Und der exzentrische Doc Brown aus Zurück in die Zukunft sagt in einem Foto:
"Marty, ich bin gerade aus dem Jahr 2044 zurückgekommen. Die arbeiten immer noch am Brexit."
In den letzten fetten Jahren schien Popkultur aus dem Königreich nicht ganz so relevant. Vielleicht ändert sich das gerade: Erst wenn die Briten leiden, werden sie so richtig kreativ – könnte ein These lauten. Denn wenn die Lage so richtig verfahren ist, machen die Briten erst mal einen guten Joke. Allerdings wird nicht mehr gemeinsam über dieselben Memes gelacht wie früher, findet der Schriftsteller Joel Morris:
"Der Brexit zerrt die politischen und sozialen Risse überall im Land ans Tageslicht. Er spaltet auch den Humor. Man kann sich nur an eine gleichgesinnte Zuhörerschaft wenden, sonst wird nicht gelacht. Das macht mich traurig."
Bei der Produktion von Memes hatte bislang die europafreundliche Remain-Fraktion die Nase vorn:
"Die Gegner des Brexit finden durch Memes und Hashtags zueinander. Im Gegensatz zu den Brexit-Freunden sind sie vielmehr vereint über das Internet."
…erklärt Tim Moots aus London. Passend zum Brexit zirkuliert auch ein Foto von zwei Verwirrten im Netz, die sich scheinbar unterhalten:
"Wann ist Brexit? – Am 31.Oktober. – In welchem Jahr? - Jedes Jahr."
Witzemachen über Mandatsträger hat Tradition
Den Brexitgegnern liefert ja auch Premierminister Boris Johnson permanent Steilvorlagen für gekonnte Memes. Bereits 1792 wurde erstmals ein Mächtiger in Großbritannien düpiert: Eine Karikatur zeigt König Georg den Dritten auf dem – Klo.
"Wir hatten früher mit Theresa May eine Premierministerin, die sich nicht für Popkultur interessierte. Und jetzt? Regiert ein Premierminister, der selber Meme-tauglich ist: Boris Johnson ist ein Meme auf zwei Beinen. Sein neues Kommunikationsteam in der Regierung setzt übrigens auch verstärkt auf Meme."
Genauso wie die im Netz ins Hintertreffen geratene offizielle Brexit-Kampagne VoteLeave. Die hatte jüngst ein Bild der Kanzlerin veröffentlicht, über dem stand: Wie haben doch nicht zwei Weltkriege gewonnen, nur um uns von einer Krautfresserin herumschubsen zu lassen.
Der Aufschrei war groß – rassistisch und in keinster Weise subtil. Meme-Machen will eben gelernt sein – ganz besonders in Großbritannien.