Brief an den Regisseur

"Lieber Woody, ist alles nur Fassade?"

Der Regisseur Woody Allen im Jahr 2009.
Der Regisseur Woody Allen im Jahr 2009. © STEPHANE DE SAKUTIN / AFP
Von Noemi Schneider |
Für die Autorin und Filmemacherin Noemi Schneider war Woody Allen der erste Mann, der auf der Kinoleinwand über alles mit ihr offen gesprochen hat. In einem Brief an den Regisseur stellt sie ihm kritische Fragen - doch ihre Verehrung bleibt.
Lieber Woody,
wenn ich ehrlich sein soll, mag ich Dich am liebsten, wenn Du Witze erzählst und über das Leben sinnierst.
"Kennen Sie den schon? Zwei uralte Damen sitzen in einem Hotel mit Vollpension. Die eine zur Anderen: 'Wissen Sie, ich finde das Essen hier einfach katastrophal.' Sagt die Andere: 'Ja, stimmt und diese winzigen Portionen.' Und wenn Sie mich fragen, so sehe ich im Wesentlichen das Leben. Es ist voller Einsamkeit, voller Elend, Trübsal und Kummer und doch ist das Ganze eigentlich viel zu schnell vorbei."
Ich liebe Deine Stimme, Deine deutsche Stimme, die dir Wolfgang Draeger mit ein paar Unterbrechungen seit fast 50 Jahren leiht. Denn Deine Stimme ist das Wichtigste, schließlich redest Du in Deinen Filmen ohne Punkt und Komma. Und damit warst Du der Erste, der erste Mann, der auf der Leinwand über alles, über wirklich alles, ganz offen mit "mir" geredet hat: Über Sex, über Ängste, über Beziehungsprobleme, über Neurosen, über Jazz, über Kunst, über Film, über Psychoanalyse, über Obsessionen und das zu einem Zeitpunkt, wo ich eigentlich viel zu jung für all das war.
Vielleicht habe ich damals aber auch etwas missverstanden, etwas was die meisten missverstehen, nämlich davon auszugehen, dass Du in Deinen Filmen tatsächlich etwas über Dich preisgibst, obwohl es in Wahrheit die ganze Zeit um uns geht. Woody Allen ist schließlich Dein Künstlername, demnach ist Woody Allen eine Kunstfigur?
Und wer bist dann Du? In Interviews betonst Du immer wieder, dass Du gerade nicht mit den Figuren aus deinen Filmen verwechselt werden willst und nur zufällig mit einem vererbten Sinn für Humor ausgestattet wurdest und eigentlich lieber Baselballspieler geworden wärst.
"Ja, und für mich ist noch ein anderer Witz von allergrößter Bedeutung. Er ist angeblich von Graucho Marx aber ich glaube, dass er ursprünglich auf Freuds 'Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten' zurückgeht. Er lautet so, wenn ich mich erinnere: 'Ich möchte nie einem Club angehören, der Leute wie mich als Mitglied aufnimmt.' Und das ist genau die Einstellung, die ich Frauen gegenüber habe, seit ich erwachsen bin."
Woody Allens Filme ohne Frauen?
Ach ja, die Frauen. Was wären Deine Filme ohne die Frauen? Romy Schneider, Diane Keaton, Meryl Streep, Angelica Huston, Julia Roberts, Scarlett Johansson, Cate Blanchett um nur einige zu nennen.
Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, Huren und Heilige, Studentinnen, Ehefrauen und Geliebte, die alle fast soviel reden wie Du.
Oder die Männer: Peter O'Toole, Sylvester Stallone, Humphrey Bogart, Leonardo di Caprio, Antonio Banderas, Owen Wilson, um nur einige zu nennen.
Es kommt mir so vor, als würde jeder namhafte Schauspieler nur darauf warten, einmal im Leben unter Deiner Regie zu spielen.
Seit 1965 drehst Du jedes Jahr mindestens einen Film, manchmal zwei, manchmal sogar drei. Das macht Dir so schnell keiner nach und deshalb darf man getrost von Deinem Genre sprechen, dem Woody-Allen-Film, der die Grenzen der Komödie seit "What's new Pussy Cat" immer wieder neu auslotet.
Schwarz weiß, in Farbe oder beides. Romantisch, satirisch, komisch oder tragisch. In New York, in Rom, in Barcelona, in Paris, in London. Heute, gestern oder morgen, in allen Zeiten gleichzeitig und immer auf der Höhe der Zeit.
Filme mit offensichtlichen oder versteckten musikalischen, literarischen, gesellschaftspolitischen oder filmgeschichtlichen Referenzen und einem ordentlichen Schuss Ironie.
Ist alles nur Fassade?
Allzu leicht übersieht der geneigte Zuschauer Deine ernsten Filme, wie Deine Bergmann-Hommage "Innenleben" aus dem Jahr 1978. Oder "Matchpoint", in dem Du 2005 mit meisterhafter Präzision Dostojewskis Schuld und Sühne sezierst wenn der skrupellose Tennislehrer Chris Wilton für den Aufstieg in die britische Upperclass über Leichen geht.
Lieber Woody, bist Du in Wahrheit ein Zyniker? Ist alles nur Fassade?
Im wahren Leben, wenn es das überhaupt gibt, sorgst Du leider immer wieder für fragwürdige Schlagzeilen. Deine Ex-Frau und Deine Adoptivtochter erheben schwere Vorwürfe gegen Dich, bewiesen ist nichts - aber es bleibt die Frage, die sich bei allen Künstlern stellt. Kann man die Kunst vom Leben trennen? Und was ist entscheidend?
Lieber Woody, Deine Filme haben mich aufgeklärt, zum Lachen gebracht, bestens unterhalten, nachdenklich gestimmt und manchmal sogar verstört. Und natürlich gibt es in der langen Liste bessere und schlechtere, das muss ich Dir gestehen, aber die Wahrheit ist, ich bin froh, dass Du kein Baseballspieler geworden bist.
"Ich fühle, dass ich gewinne je älter ich werde, ich werde sicher eher mal dieser männliche Yul Brunner-Typ als der vornehme Herr mit den grauen Schläfen und der roten Nelke."