Heinrich Heine, die Stadt und eine Verwandlung
Am 20. März 2016 endet die Leipziger Buchmesse, am 20. März 1821, also vor 195 Jahren, trifft Heinrich Heine in Berlin ein. Drei Mal wird er sich in Preußens Metropole aufhalten. Vor allem der erste Aufenthalt wird ihn prägen.
Vorspiel – Die Annäherung
"Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passiret,
dem bricht das Herz entzwey."
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passiret,
dem bricht das Herz entzwey."
Der Jüngling dort weiß noch nichts von diesen Zeilen. Das Blatt Papier ist noch weiß und er ist just in diesem Moment in Berlin angekommen.
Wir schreiben das Jahr 1821, notieren den 20. März. Unser aufstrebender Dichter zählt gerade mal 23 Lenze. Eine leidige Duellaffäre hat ihn aus Göttingen verschlagen. Ihn, den Außenseiter.
"Was liegt mir dran ob die Gallerie pfeift oder klatscht? Auch das Parterre mag zischen. Ich lache."
Das Studium der Juristerei will er hier fortführen. Aber er ist von genusssüchtiger Art. Und Berlin ist verführerisch.
Die Großstadt wird ihn zu nehmen wissen ... und er sie. Der Studiosus ist wortgewandt und lebensverliebt, von aufsaugender und leidenschaftlicher Natur, kurzum: er ist jung und Berlin ein interessantes Pflaster.
Da, er verschwindet in der Menge. Keine Angst, wir werden ihn wieder treffen. Er hat viel romantische Tinte im Gepäck. Und Berlin? Es wird ihm die Feder spitzen.
"… in jener Zeit meiner jugendlichen Uebermüthen, in jener Zeit als die Flamme der Wahrheit mich mehr erhitzte als erleuchtete."
Kapitel 1 – Der Zwiespalt
"Ja, Freund, hier unter den Linden
Kannst du dein Herz erbaun,
Hier kannst du beysammen finden
Die allerschönsten Fraun."
Kannst du dein Herz erbaun,
Hier kannst du beysammen finden
Die allerschönsten Fraun."
Unser erhitzter Poet "wird poetisch" - im Hörsaal. Er hat sich am 04. April an der Berliner Universität immatrikulieren lassen und besucht Vorlesungen bei Hegel, Raumer und Savigny. Doch sein Blick schweift immer wieder aus dem Fenster,
"und da kann man schräg über das Opernhaus bemerken."
Dort zieht es ihn hin. Er sitzt auf "glühenden Kohlen". Seine Augen saugen begierig das "pitoreske Schauspiel" (9) der flanierenden Gesellschaft der Straße auf.
"… und der Musensohn sollte draus bleiben?"
Heine sucht die Öffentlichkeit, er will öffentlich wirken. Er wird auf Bällen gesichtet, besucht eifrig Theater und Konzerte, nimmt in Literarischen Salons Platz, kennt die bekannten Cafés und Restaurants, bewegt sich in den Zirkeln der Stadt. Heine saugt auf und gibt ab.
Ach so, den "allerschönsten Fraun" haucht er noch ein "Welch' schöner Schwanenhals!" nach.
Kapitel 2 – Der Einlass
Ende April, erst. Der junge Poet aus dem Rheinland hat bei Gubitz angeklopft, er begehrt literarischen Einlass.
"Ich bin Ihnen völlig unbekannt, will aber durch Sie bekannt werden."
Gubitz, Friedrich Wilhelm, ist Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift "Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Haus" und Heine Verfasser der "Poetischen Ausstellungen". Gubitz weist ihn nicht ab, blättert in den romantiksüchtigen Phantasien auf Liebe und Tod.
"Ich kam von meiner Herrin Haus,
Und wandelt` in Wahnsinn und Mitternachtgraus.
Und als ich am Kirchhof vorüber gehn will,
Da winken die Gräber ernst und still."
Und wandelt` in Wahnsinn und Mitternachtgraus.
Und als ich am Kirchhof vorüber gehn will,
Da winken die Gräber ernst und still."
Romantisches Gepäck eines jungen Rheinländers. Gubitz beanstandet einige "zu zügellose Stellen", Heine ändert sie willig und gekonnt. Er braucht die Öffentlichkeit und Gubitz wird sein Zensor. Heine wird es später "gubitzen" nennen.
"Gubitz redigirt … mit einem Eifer und einer Gewissenhaftigkeit, die oft an Aengstlichkeit gränzt."
Am 7. Mai 1821 erscheint das erste der fünf Gedichte der "Poetischen Ausstellungen" im "Gesellschafter". Der junge Mann, der "bekannt werden" will, tritt als Zeitungs-Poet hervor. Und Gubitz wird den selbstbewussten Gefühlswortfinder literarisch beraten und ihm wichtige Verbindungen knüpfen.
Kapitel 3 – Die Salons
"Wir erkennen das poetische Wild schon am Geruch."
Heine hat sein "Talent auf Streife geschickt", im Mai 1821 überreicht er persönlich seinen "Steckbrief" in den Literarischen Salons. Die "ästhetische Theegesellschaft" der Elise von Hohenhausen ruft ihn, den Byron-Übersetzer, zum "deutschen Byron" aus.
" … (die) belletristische(n) Damen … (die) ihre poetischen Ziegenböckchen, die … den Theetisch umhüpften, als Universalgenies priesen"
"Wir erkennen das poetische Wild schon am Geruch." WIR – er bindet sich und Rahel in ein Wort. Sie nimmt er sich zu seiner Patronin. Für sie würde er ein Hundehalsband tragen, mit der Aufschrift
"J´appartiens à Madame Varnhagen"
"Ich gehöre Frau Varnhagen" - In Rahels und Varnhagens Salon trifft er Alexander von Humboldt, Schleiermacher, Chamisso, Foqué und Hegel.
Die Luft in Rahels Salon ist romantisch geschwängert, der Geist aufklärerisch. Die führenden Köpfe der Gesellschaft und der Literatur im Gespräch – ein Parkett der Vernunft.
Die 50-Jährige mahnt ihn, den jungen Sterngreifer, "wesentlich (zu) werden", "Wahrheitsboden" zu gewinnen. Trotz aller Spannungen - der Salon der Rahel und Varnhagens bleibt
"mein Vaterland"
Kapitel 4 – Der Dichter, die Bücher
"Mir träumte einst von wildem Minneglüh`n,
Von hübschen Locken, Myrten und Resede,
Von süßen Lippen und von bittrer Rede,
Von düst`rer Lieder düster`n Melodien."
Von hübschen Locken, Myrten und Resede,
Von süßen Lippen und von bittrer Rede,
Von düst`rer Lieder düster`n Melodien."
Nun hält er es in der Hand, das erste Buch. Gebundene LiebesLeidPoeterey. Dezember 1821.
"Gedichte von H. Heine, Maurersche Buchhandlung."
Heine schickt Werbebriefe mit Widmungsexemplaren in alle Himmelsrichtungen, an Goethe und einflussreiche Rezensenten, bittet um würdigende Worte.
Noch ist er ein poetisierender Student, doch übers Jahr wird er schon zum studierenden Dichter. Im April 1823 das zweite Buch, diesmal bei Dümmler in Berlin verlegt.
Noch ist er ein poetisierender Student, doch übers Jahr wird er schon zum studierenden Dichter. Im April 1823 das zweite Buch, diesmal bei Dümmler in Berlin verlegt.
"Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo"
Wieder rührt Heine die Werbetrommel - der Absatz geht schleppend und er mag nicht Dachstuben-Poet sein. Er ist es auch nicht mehr. Der Nebel im "Gefühlslazarethe" lichtet sich; die Feder kommt launiger daher, der Gedanke wird klarer. Er ist Beteiligter und Beobachter. Ein neuer Ton zieht ein – der Witz, die Ironie.
"Sie saßen und tranken am Theetisch,
Und sprachen von Liebe viel.
Die Herren die waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl."
Und sprachen von Liebe viel.
Die Herren die waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl."
Kapitel 5 – Briefe aus Berlin
"An Notizen fehlt es nicht, und es ist nur die Aufgabe: Was soll ich nicht schreiben?"
26. Januar 1822. Er ist jetzt ein dreiviertel Jahr in Berlin, adressiert den ersten seiner "Briefe aus Berlin". Literarische Briefe aus Berlin sind in Mode gekommen.
"d.h., was weiß das Publikum schon längst, was ist demselben ganz gleichgültig, und was darf es nicht wissen?"
Nun, er schubst den Leser des "Rheinisch-Westfälischen Anzeiger" in das Großstadtleben – mal als Stadtführer und mal als Plaudertasche, mal als Kritiker und mal als Informant. Gekonnt arrangierte Notizzettel, Heine spielt mit dem Zeitgeist und den Umständen. Und mit sich selbst: schwärmt von der Maskerade im Opernhaus … und versagt sich nicht die Pointe,
"wo ein alle Ansprüche verhüllender Domino die schönste Gleichheit hervorbringt, und wo die schönste Freyheit herrscht – Maskenfreyheit."
Die "hiesige galante Zensur" schreibt mit, drei Punkte im Text stehen für gestrichene Stellen. Heine lässt sie stehen und anderes nicht aus: die Arretierung polnischer Studenten, die Zensur gegen Brockhaus, die Konfiszierung von E.T.A. Hoffmanns "Meister Floh". Und vor der Börse – der Zensor macht keinen Strich! - bleibt er nur kurz stehen, denn:
"Dort schachern die Bekenner des alten und des neuen Testaments. (…) Habsucht in jeder Muskel."
Seine erste journalistische Arbeit kommt zeitkritisch und witzig daher. Nachgeborene werden von der Geburt des modernen Feuilletons reden. Aber noch verteilt er nur heinische Nasenstüber, bald werden Kopfnüsse folgen.
Kapitel 6 – Die Abwehr
Der Heine ist auf dem Weg … Ja, wohin? Er verschickt jetzt nicht mehr Briefe aus Berlin. Punkt, Schluss, Aus.
"In meinem 3ten Brief aus Berlin ist auf unverzeihliche Weise geschnitten worden. Schulz schreibt es sey die Censur gewesen."
Das Talent hat Tabus gebrochen und ist in die Schranken verwiesen worden. Die Angriffe auf seine Person machen ihm zu schaffen. Und in tonangebenden Kreisen wird antisemitische Stimmung intoniert.
"Ich lebe jetzt in einer ganz besondern Stimmung … (…) Alles Deutsche wirkt auf mich wie ein Brechpulver."
Der so Verbitterte tritt dem "Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden" bei. Er bindet sich das erste und letzte Mal.
"… meine Anhänglichkeit an das Judenwesen hat seine Wurzel bloß in einer tiefen Antipathie gegen das Christenthum ..."
Und nun auch noch die heftigen Reaktionen auf seinen Reise-Bericht "Über Polen". Sie treffen sein Ehrgefühl. Er, der empfindsame, erfährt, was es heißt, als Dichter Partei zu sein.
Die Artikelserie Januar 1823 im "Gesellschafter" - von Gubitz und der Zensur ohnehin schon gereinigt - beschreibt die tiefe Armut polnischer Bauern.
Heines Gefühl für Gerechtigkeit entdeckt eine soziale Dimension. Er leidet unter den Angriffen; seine Ironie schützt ihn noch nicht.
Kapitel 7 - Das Deutsch-Sein
"H. Heine"
So steht es auf seinen beiden Büchern, so unterschreibt er seine Briefe. H. Heine - er ist noch Harry und auch schon Heinrich. Es häutet sich, ein schmerzhafter Vorgang.
Noch im ersten "Briefe aus Berlin" zupft er die deutsch-romantische Lyra.
Noch im ersten "Briefe aus Berlin" zupft er die deutsch-romantische Lyra.
"Ich höre noch immer, wie die alten Eichenwälder mich umrauschen, wie jedes Blatt mir zuflüstert: Hier wohnten die alten Sachsen, die am spätesten Glauben und Germanenthum einbüßten. Ich höre noch immer, wie ein uralter Stein mir zuruft: Wandrer, steh, hier hat Armin den Varus geschlagen!"
Den Sieg des Armin beschwört er auch im Jüdischen Verein, seine Augen glänzen dabei. Er ist erregbar, wenn es um Deutschland geht, von dem er viel erwartet und verlangt. Doch die deutsche Wirklichkeit ist eine andere, der Eichenwälder-Rausch weicht dem Übelkeits-Gefühl.
"Alles, was deutsch ist, ist mir zuwider … (…) Die deutsche Sprache zerreist meine Ohre. (…) Sogar das Schreiben dieses Billets wird mir sauer, weil die deutschen Schriftzüge schmerzhaft auf meine Nerven wirken."
Und fährt fort in französischer Sprache. Die ersten deutschen Worte dann stoßen Erregung und Ermattung heraus.
"O Christian, wüstest du wie meine Seele nach Frieden lechzt, und wie sie doch täglich mehr u mehr zerrissen wird!"
Leidet er an Deutschland? Das auch, weil er es liebt. Und er hasst das Mittelmaß und die Deutschtümelei, die unter Rührei-Poeten und National-Hustern als Folge der Romantik grassiert.
"Meine Seele glüht zu sehr für die wahre Freyheit, als daß mich nicht der Unmuth ergreifen sollte, wenn ich unsere winzigen, breitschwatzenden Freyheitshelden in ihrer aschgrauen Armseligkeit betrachte …"
Kapitel 8 - Wieder Berlin
"Blamier mich nicht, mein schönes Kind,
Und grüß mich nicht unter den Linden;
Wenn wir nachher zu Hause sind,
Wird sich schon alles finden."
Und grüß mich nicht unter den Linden;
Wenn wir nachher zu Hause sind,
Wird sich schon alles finden."
Zweimal noch sehen wir ihn in Berlin. April 1824 - eine Stippvisite. Dem Staatsrat Schultz, der ihm vorwirft, sich früher durch seine "Ansichten verdächtig gemacht" zu haben, quittiert Heine:
"Mein Gott! Ich habe immer dieselben Ansichten wie die Regierung, ich habe gar keine!"
Er hat "wieder Sehnsucht nach gebildeten Menschen" und will nützliche Kontakte wegen seiner "künftigen Stellung" knüpfen. Gubitz hat rechtzeitig zu seiner Ankunft die "drey und dreyzig Gedichte im Gesellschafter" veröffentlicht.
" ... das Eigenthümlichste ... was ich bisher gegeben ..."
1829 sehen wir Heine wieder in Berlin. Es wird sein Abschiedsbesuch unter den Linden, bei Varnhagen, den Arnims und anderen - er weiß es nur noch nicht. Sein Versuch um eine Anstellung als Privatdozent an der Universität scheitert. Die Monate zwischen Februar und Juli zerrinnen, zwischenzeitlich nimmt er Quartier in Potsdam, sitzt über der "Italienischen Reise".
"… ich lebe hier wie Robinson auf seiner Insel – … Ich befinde mich in jeder Hinsicht schlecht. Bin ich krank? dumm? verliebt?"
Nachspiel – Heine
Als Heine am 20. März 1821 zum ersten Mal in Berlin eintrifft, steigt ein romantiksüchtiger Student aus der Kutsche. Nach nur zwei Jahren reist er ab als Student, Dichter und Journalist.
Er bewegt sich in drei Innungen, sie formen ihn: die Literarischen Salons, der Jüdische Verein, die Dichterkreise.
In Berlin tritt er poetisch in Erscheinung, veröffentlicht seine ersten beiden Bücher, wird politischer, sozialer.
Er kam als Romantiker und ging als Spötter. Berlin setzte der Rhein-Romantik ein Ende.
"Doch Lieder und Sterne und Blümelein,
Und Aeuglein und Mondglanz und Sonnenschein,
Wie sehr das Zeug auch gefällt,
So macht´s doch noch lang keine Welt."
Und Aeuglein und Mondglanz und Sonnenschein,
Wie sehr das Zeug auch gefällt,
So macht´s doch noch lang keine Welt."
Acht Jahre später – bei seinem dritten und letzten Aufenthalt in Preußens Hauptstadt - strebt er wieder zum Salon Varnhagens. Er ist nun ist Doktor der Jura, hat sich taufen lassen und ist berühmt - 1827 ist das "Buch der Lieder" erschienen.
"Das Buch der Lieder ist nichts als eine Gesamtausgabe meiner bekannten Gedichte."
Und Berlin? Wie findet er Berlin? Mal ist es ihm "prächtig", mal ein "großes Krähwinkel". So ist er nun mal … und so ist ja auch Berlin.
Da sitzt er also nun. Auf seinem Heine-Denkmal. Natürlich mit dem Rücken zur Humboldt-Universität. Sein Blick fällt auf ein Kastanienwäldchen. Die Bäume stehen exakt ausgerichtet in Reih und Glied. Dahinter … ein deutsches Museum.
Ach ja, es gibt da noch eine hübsche Anekdote. Wollen Sie die hören? Sie ist so schön ... zeitgemäß.
" … ich sah manchmal, wie er (Hegel – d.Verf.) sich ängstlich umschaute, aus Furcht, man verstände ihn. (...) Als ich einst unmutig war über das Wort: ``Alles, was ist, ist vernünftig'', lächelte er sonderbar und bemerkte: ``Es könnte auch heißen: Alles, was vernünftig ist, muß sein." Er sah sich hastig um, beruhigte sich aber bald, denn nur ... hatte das Wort gehört."