Briefe eines NS-Gegners

Vorgestellt von Florin Felix Weyh |
Josef Furtmeier hielt Kontakt zur Widerstandsgruppe "Weiße Rose" und entging 1943 nur knapp der Hinrichtung. Trotz Verhaftung und Zensur machte er aus der Verachtung, die er für das Nazi-Regime empfand, kein Geheimnis. In seinen Briefen aus den Jahren 1938 bis 1947 kommentierte Furtmeier - nicht ohne Hohn und Spott - das Zeitgeschehen.
"Ich werde (…) nachher meinen selbstgezogenen Tabak rauchen, der so grauenvoll ist, dass ich mir schon überlegte, ob ich ihn nicht zum Erweise meines verschiedentlich angezweifelten Patriotismusses der deutschen Heeresleitung anbieten soll. Rauchen die Grenadiere bei Westwind dieses schaudervolle Kraut, so retirieren die Bolschewisten sicher bis hinter Stalingrad. Die Elastizität der deutschen Front wäre dann neu erwiesen, denn elastisch ist ein Ding bekanntlich dann, wenn es sich nicht nur nach rückwärts sondern auch nach vorwärts biegen lässt. "

Der dies im Herbst 1943 schreibt, sollte eigentlich vorsichtiger sein. Ein halbes Jahr zuvor ist er um Haaresbreite dem Galgen entronnen, als ihn die Gestapo festsetzte - wohl ahnend, dass es sich beim knorrigen, aus politischen Gründen suspendierten Justizbeamten Josef Furtmeier nicht nur um einen landestypischen Grantler handelt, sondern um einen hasserfüllten Nazigegner, der Verbindungen zur "Weißen Rose" besitzt. Doch der Nachweis bleibt aus, und so kommt Furtmeier nach drei Wochen wieder in Freiheit, aus der er – unbekümmert wie zuvor – Briefe an seinen Freund Rudolf Rossmann in der Schweiz schickt. Der Österreicher, im Ersten Weltkrieg Frontkamerad Furtmeiers, hat es nach dem Anschluss 1938 ins neutrale Ausland geschafft, wo er nun Ansprechpartner in all jenen Dingen ist, die man in Deutschland nicht mehr sagen darf. Und der alles überwachende Zensor? Lächerlich! Vielmehr: ein Angsthase.

"Dass die Zensur den letzten Brief, den ich schrieb, offenbar verstümmelte, wundert mich sehr. Diese unbegreifliche Angst vor vollkommen harmlosen Sätzen ist geradezu komisch. Ich pflege doch in meinen Briefen nicht das Mindeste über die inneren Verhältnisse Deutschlands zu schreiben, über die man in der Schweiz sicher so gut informiert ist, dass unsereiner wirklich nichts Neues mitteilen könnte. Bekanntlich suchen Etymologen, Philosophen und Ethnologen immer nach einer genügenden Definition des Deutschen. Man möchte beinahe vorschlagen: Deutsch sein heißt ständig vor irgendetwas Angst haben! "

Wer ist dieser Mann, der aller Autoritäten spottet und in den hinterlassenen Dokumenten der Geschwister Scholl als "der Philosoph" firmiert? Kein Akademiker, sondern ein Mann des Volkes, mit Gymnasialbildung, doch ohne Abitur. Geboren 1887 im bayrischen Moosburg, absolviert er eine Ausbildung bei der Justiz, die ihm über die Wirren verschiedener Staatsformen hinweg ein Refugium für seine eigentlichen Neigungen bietet: dem Bücherstudium. Auch nach seiner von den Nazis verfügten Zwangspensionierung frisst er alles in sich hinein, dessen er habhaft werden kann:
"Mein Gott, wie komme ich dazu, ein Lehrbuch der organischen Chemie durchzuarbeiten, wie ich es jüngst getan habe – eine Materie, die mich an sich wirklich nichts angeht. "

Was dabei insgesamt herauskommt, kann keiner Obrigkeit gefallen, weder der weltlichen, noch der geistlichen. Furtmeier ist ein autonomer Denker, mit manchmal querulantischen Zügen, doch immer messerscharf in der Beobachtung und zielsicher im Urteil. Zum Beispiel, was die katholische Kirche angeht, jene gute Macht, die der bösen der Nazis so viel entgegensetzen könnte, aber so gar nichts tut. Furtmeier, durchaus gläubiger Christ mit einem Talent für starke Bilder …

"Immer mehr scheint es mir als ob das Leben der Jagdhund Gottes sei der uns so lange jagt, bis wir seiner müde werden, unsere Ziele als Illusion erkennen und froh sind, einst in Gott unsere Ruhe zu finden. "

… kann den Unterwerfungsgesten Roms und der in den Gemeinden täglich praktizierten Anpassung an die Nazis nichts abgewinnen. Im September 1938 notiert er nach dem Kirchgang:

"Inzwischen wird [die Kirche] als Gegenstück zum Kino betrachtet. Man sieht am Schluss des Sonntagsgottesdienstes Leute mit Parteiabzeichen herausspazieren. Die Leute haben ganz recht. So ein liturgischer Gottesdienst mit Musik ist ganz unterhaltlich. Es kostet keinen Eintritt. Warum soll das staatsgefährlich sein? Das Evangelium vom Reiche Gottes wird ja nicht verkündet und die lateinischen Sprüche versteht Niemand. Vielleicht wird sie bald synchronisiert. "

Das sind private Texte, Briefe an einen Freund, nie zur Veröffentlichung bestimmt. Gerade deshalb ist ihre Lektüre so aufregend. In ihr spiegelt sich eine längst untergegangene, private Schreibkultur, deren Mut in bedrängten Zeiten Bewunderung hervorrufen muss. Der Ton ist unverstellt und ändert sich auch nicht mit dem Wechsel der Autoritäten nach 1945. Für kurze – aber nur sehr kurze – Zeit ist Josef Furtmeier ein begehrter Mann. Als öffentlich bestallter Ankläger wirkt er bei Münchner Entnazifizierungsprozessen mit. Doch da kommt ihm schon wieder die Galle hoch:

"Es ist alles vergessen: Die Kriegserklärungen, der Überfall auf die Nachbarstaaten, die Gestapo, die Vergasungen, die KZ-Lager, die Ghettos, die Verschleppungen. Dieses deutsche Volk, dieses dümmste aller Völker, die je existierten und existieren werden, fängt an seine verminderten Fettrationen gegen Auschwitz aufzurechnen. Dass die Lebensmittel, die in Deutschland in den Jahren 1940-1944 ausgegeben wurden, in der ganzen Welt zusammengestohlen waren, dass man, um sie verteilen zu können, Holland, Griechenland, Polen nicht auf den Hunger- sondern auf den Aussterbe-Etat setzte, weiß niemand mehr. "

Josef Furtmeier blieb zeitlebens unverheiratet und kinderlos. Doch die Tochter seines Freundes hob die Briefe auf und leitete sie dem jungen Kieler Historiker Sönke Zankel zu, als sie von dessen Beschäftigung mit der "Weißen Rose" erfuhr. Zankel erkannte den singulären Wert des Fundes und veranlasste die Publikation außerhalb seiner Dissertation. Das ist verdienstvoll, denn Furtmeier, der als Eigenbrötler menschlich sicher schwierig gewesen ist, verbindet als Autor Mut zur Wahrheit mit der – für Nordlichter eher verblüffenden – bayrischen Vorliebe fürs Valentineske: Nichts ist so schlimm, als dass man nicht eine grimmig-komische Wendung dafür finden könnte:

"Die heutigen Deutschen, vor allem die jungen Leute, sind Falltüren ins Nichts. Fülle eine Zigarrenschachtel mit Hosenknöpfen und schüttle sie zwei Stunden lang, dann hast Du ein deutsches Gespräch von heute. "

Sönke Zankel, Christine Hikel (Hg.): Ein Weggefährte der Geschwister Scholl
Die Briefe des Josef Furtmeier 1938–1947
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2005