Briefmarken und Reisestempel aus dem "Staat Palästina"

Von Matthias Bertsch |
Bei der 7. Berlin Biennale sind keine Kunstwerke im klassischen Sinn gefragt, sondern Statements der Ausgegrenzten und Unterdrückten. Da darf natürlich der Nahostkonflikt nicht fehlen, und hier sind es vor allem die Palästinenser, zu deren Gunsten die Ausstellung klar Position bezieht.
Mit neun Meter Länge ist er kaum zu übersehen: der "Key of Return", der im Hof der Kunstwerke liegt. Angefertigt in einem Flüchtlingslager bei Bethlehem, haben die Kuratoren der Biennale den "Schlüssel der Rückkehr" per Schiff nach Berlin bringen lassen – als politisches Statement, so Kuratorin Joanna Warsza:

"Diesen Schlüssel hierherzubringen ist für mich nicht nur eine Geste der Unterstützung für die Forderungen der Menschen im Westjordanland, sondern soll auch die Frage aufwerfen, welchen Raum der palästinensische Diskurs eigentlich in der deutschen Linken hat, und ob die palästinensischen Forderungen ausreichend vertreten sind."

Welches diese Forderungen sind, daran lassen die beteiligten Palästinenser keine Zweifel: das Recht auf Rückkehr nach Israel für jene rund 700.000 Flüchtlinge, die im Unabhängigkeitskrieg 1948 aus ihren Häusern geflohen sind oder vertrieben wurden und ihre Nachkommen. Zusammen über fünf Millionen Menschen. Der Schlüssel sei Teil der palästinensischen Erinnerungskultur, ließ die Palästinensische Diplomatische Mission im Vorfeld wissen, mit Zerstörung Israels habe dies nichts zu tun. Klaus Faber vom Koordinierungsrat deutscher Nichtregierungsorganisationen gegen Antisemitismus sieht das anders:

"Wenn man gelernt hat, das Wort Vernichtung, Zerstörung und andere entsprechend belastete Worte nicht verwendet und dafür von der Erinnerung an ein nationales Narrativ als das Grundrecht aller Völker, aller Gemeinschaften spricht und vom Aufbau eines arabisch beherrschten israelischen Gebiets, dann ändert das an der Aussage nichts, dass man das Regime so ändern will, dass es danach keinen jüdischen Staat mehr gibt."

Auch das Projekt "State of Palestine" von Khaled Jarrar stellt den jüdischen Staat in Frage. Jarrar hat palästinensische Briefmarken entworfen – sowie einen Stempel, den er bereits in rund 300 Reisepässe gestempelt hat und mit dem er die Gründung eines palästinensischen Staates vorwegnimmt. Ein Staat, in dem alle die gleichen Rechte haben sollen, betont Jarrar, deswegen sollten Juden auch keine Angst davor haben:

"Ich werde versuchen, sie zu überzeugen, dass wir in den besetzten Gebieten in Palästina zusammenleben müssen, aber es ist unser Land, das sie besetzt haben. Es wurde 1917 von den Engländern besetzt und 1948 von den Zionisten. Und wenn sie nicht mit uns in Frieden und Harmonie leben wollen: Was wollen sie dann? Was kann ich ihnen anbieten?"

Das Problem von "State of Palestine" sind seine unklaren Grenzen: Sind mit den zionistischen Besatzern die Siedler im Westjordanland gemeint oder doch alle jüdischen Israelis? Je nach Interpretation soll der gewünschte palästinensische Staat neben dem jüdischen existieren oder diesen ersetzen und das heißt: abschaffen.

Und schließlich ist in Sachen Israel auf der Berlinale noch das Jewish Rennaissance Movement in Poland vertreten, dessen zentrale Forderung die Rückkehr von 3,3 Millionen Juden nach Polen ist. Maya Zehden vom Vorstand der Deutsch-israelischen Gesellschaft in Berlin schüttelt den Kopf:

"Das ist eine Art von Transfer, die von einer Israeli ausgedacht wurde und die auch einige Israeli und Juden sicherlich unterstützen, was die Sache keineswegs besser macht. Ich halte das für eine absolute Verrennung in ein Thema. Mag sein, dass es Leute gut finden, wenn Juden zurückkehren aus Israel nach Polen, aber erstens würden die Polen sich darüber nicht besonders freuen, und ich habe ehrlich gesagt für so eine Art von Transfer-Idee keinerlei Verständnis."
Natürlich sei ihr Projekt eine Provokation, sagt Yael Bartana. Es gehe nicht darum, dass wirklich drei Millionen Juden nach Polen zurückkehrten:

"Es geht darum, sich eine andere Realität als die von heute vorzustellen, irgendwie den Status quo zu untergraben, die Geschichte und ihre Folgen neu zu denken und zu fragen, wer der Leidtragende dieser Geschichte ist."

Die Leidtragenden, daran lässt Bartana keinen Zweifel, seien die Palästinenser. Damit liegt die seit kurzem in Berlin lebende Israelin auf einer Linie mit dem, was auf der Biennale in Sachen "jüdischer Staat" Common Sense ist: Israel ist der Täter, die Palästinenser sind die Opfer.

Klaus Faber: "Es hat nicht die gleiche Qualität wie die Schlüsselpropaganda, aber es gehört doch mit in den Kontext, leider, und das andere sieht doch stark so aus, dass die Autoren kaum daran glauben können an die Realisierung eines Erfolges, und dass sie nur etwas real annehmen können, nämlich die Delegitimierung Israels, der Präsenz Israels im Nahen Osten als angeblich nicht dazugehöriger Bestandteil, als ob es da ein Kriterium der Zugehörigkeit gäbe, das so und so auszusehen hätte, und wo man danach sortieren könnte: Die einen gehören da rein und die anderen gehören da nicht rein."

Es geht Bartana mit ihrem Projekt allerdings nicht nur um den Nahen Osten, sondern auch um das Bild, das viele Israelis von Polen haben. Während Berlin bei jungen Israelis hoch im Kurs steht, wird Polen nach wie vor mit Antisemitismus verbunden. Genährt wird dieses Bild durch die regelmäßigen Fahrten israelischer Jugendgruppen nach Auschwitz und zu anderen Vernichtungslagern. Die Reisen, die meist vor der Armeezeit durchgeführt werden, sollen eine klare Botschaft vermitteln: Damals waren wir schwach, jetzt sind wir stark. Eine Sichtweise, die Bartana für sehr fragwürdig hält:

"Diese Trips der israelischen Teenager nach Polen sollten nicht nur zu den KZ sein und sich auf die dunkle Seite der Geschichte beschränken. Vielleicht können wir ein neues Polen finden, ich kenne polnische Jugendliche, die für ein ganz anderes Polen stehen, und mit denen könnten die jungen Israelis Kontakt haben, um das Trauma irgendwie zu überwinden."

Für die polnischen Kuratoren der Biennale scheint es derartige Traumata nicht zu geben. Sie stellen sich vorbehaltlos auf die Seite der Unterdrückten und Kolonialisierten, wie Hauptkurator Artur Zmijewski bei der Eröffnung der Schau mit Blick auf Bartanas Projekt deutlich machte:

"Das ist wirklich ein antizionistischer Ansatz. Ich weiß, in Deutschland hat man ein Problem damit. Das konnte man ja beim Skandal um Günter Grass sehen, der doch nur seine Kritik an der aktuellen Israelischen Regierung geäußert hat."

Joanna Warsza: "Wir sehen uns nicht als Kuratoren, die im Namen anderer sprechen und dadurch den Diskurs monopolisieren. Es ist ein Versuch, direkt Positionen zu zeigen und nicht nur eine Position. Yael Bartanas Position ist ja auch radikal – und übrigens gar nicht so weit vom Rückkehrrecht der Palästinenser entfernt. Wenn man diese Puzzleteile zusammenfügt, kann man sehen, dass die Biennale versucht die Frage zu stellen, wie Kunst Politik machen kann."

Keine Frage: Die Biennale macht Politik. Die Frage ist nur: Wie einseitig? Von verschiedenen Positionen ist zumindest beim Thema Nahostkonflikt nichts zu sehen. Das ist es auch, was bei Maya Zehden einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt:

"Mich hätte mal interessiert, wo ist denn eigentlich zum Beispiel die Kritik am radikalen Islam, wo ist denn die Kritik an der Christenverfolgung, wo ist denn eine echte, wirkliche Auseinandersetzung mit den Gruppen, die solche fortschrittlichen Projekte wie die Biennale gar nicht zulassen würden. Die machen doch eigentlich folgendes: Sie nehmen den linksorientierten Protest, der im Nahen Osten Israel ganz eindeutig Israel als den einzigen Schuldigen für alle Probleme, die es dort gibt, ausgemacht hat, und auf den wird weiterhin mit diesen Aktionen negativ Einfluss genommen. Und dann wird es tatsächlich so, dass man sagt: Immer auf die Juden."