Im schönen Monat Dezember war’s,
die Tage wurden kälter,
da küßte mancher manchem den Ars –
wir Kumpels werden halt älter.
Christa Wolf und Franz Fühmann: "Monsieur - wir finden uns wieder"
© Aufbau
Briefwechsel zwei enttäuschter Sozialisten
06:23 Minuten
Christa Wolf, Franz Fühmann
Monsieur – wir finden uns wieder. Briefe 1968 - 1984Aufbau, Berlin 2022200 Seiten
24,00 Euro
Sie waren zwei herausragende Autoren, nicht nur in der DDR. Christa Wolf und Franz Fühmann grübelten und schwärmten miteinander in zahlreichen Briefen, die jetzt in einer Neuauflage erscheinen.
Sollen wir in der DDR bleiben oder weggehen, wie so viele andere? 1978, so erzählt Christa Wolf, hat Franz Fühmann ihren Dauerdialog über diese Frage so beantwortet: „Ärzte, Pfarrer und Schriftsteller sollen hierbleiben, solange sie können.“
"Die soll'n mich nicht unterkriegen"
1968 beginnt der Briefwechsel zwischen diesen beiden herausragenden Gestalten der deutschsprachigen Literatur. Gleich zu Beginn sind sie bei einem Thema, dass die beiden bis zu Fühmanns Tod immer wieder besprechen werden: die tiefgehende Enttäuschung vom Sozialismus.
1968 wurde sie ausgelöst vom Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag. Die beiden sind aber auch von Anfang an einig im Dagegenhalten, Christa Wolf schreibt in diesem Jahr an Franz Fühmann: „Allerdings kann man mit Wut was machen: Die soll'n mich nicht unterkriegen.“
Brennpunkt Biermann-Ausbürgerung
Wolf und Fühmann gehören zu den Erstunterzeichnern des Protests gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann im Jahr 1976. In dem Band ist Franz Fühmanns Protestschreiben an Willi Stoph abgedruckt, den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR. Das Buch enthält auch viele andere Briefe, die Fühmann und Wolf an hochrangige Kulturfunktionäre, Minister und an den Staatschef Erich Honecker geschrieben haben. In solchen Briefen haben sie sich für nicht publizierte, für verhaftete oder anderweitig schikanierte Kollegen eingesetzt.
1976 schickt Christa Wolf Fühmann ein sarkastisches Gedicht, eine wenig bekannte Tonlage bei ihr, eine Aktualisierung von Heinrich Heines „Wintermärchen“ in Anspielung auf den Opportunismus mancher Intellektueller in der Biermann-Debatte. Die zweite Strophe:
Zwei einander fiebrig Lesende
Zu den schönsten Seiten des Buches gehört, wie die beiden Schreibenden als Einander-Lesende sichtbar werden. Christa Wolf berichtet, wie sie an einem Tag, fiebrig vor Aufregung, Fühmanns Text über E.T.A. Hoffmann liest und ihm danach schreibt, sie hätte „das unheimliche, nicht aber schauerliche Gefühl, Du arbeitest mir zu, vielleicht, wir arbeiten uns gegenseitig zu“.
Fühmann antwortet: „Wir brauchen einander, und wahrscheinlich ist es der Sinn dieser heillosen Epoche, daß sie uns zueinander rückt.“
Ein bitterer und komischer Fühmann
Franz Fühmann hat 1983, ein Jahr vor seinem Tod, in seinem Testament von seinen „grausamen Schmerzen“ geschrieben: „Der bitterste ist der, gescheitert zu sein: In der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten.“ Der Schmerz und die Bitterkeit klingen durch diese Briefe.
" Verbündete, Gleichgesinnte", nennt Herausgeberin Angela Drescher die Freunde Christa Wolf und Franz Fühmann im Gespräch mit Shelly Kupferberg . Gemein seien ihnen der "tiefe Ernst, mit dem beide geschrieben haben", Sprachbewusstsein und Fabulierfreude – und der gemeinsame Widerpart, mit dem sich beide auseinandersetzen mussten.
Aber in diesem privaten Austausch ist auch ein Fühmann zu hören, der in seinen literarischen Texten, außer in denen für Kinder, ganz selten zu entdecken ist, ein komischer, überschwänglicher, makabrer, entnervter. Am 1. Januar 1981 auf einer Neujahrskarte an Christa und Gerhard Wolf: „Leute, das wird ein Jahr & Jahrzehnt – nun denn! Leute, wird das beschissen werden!“
Wolf vermisst den Freund
Wie sehr Christa Wolf ihren Freund Franz Fühmann vermisste, davon sprach sie in den Texten, die sie nach seinem Tod im Jahr 1984 geschrieben hat. In diesem Briefband ist ihre Trauerrede auf Fühmann enthalten und eine Rede zur Eröffnung der Franz-Fühmann-Schule im brandenburgischen Jeserig. In dieser Rede erzählt sie die schönste Geschichte von diesem Dichter, der oft so unbedingt, so ernst und selbstquälerisch wirkte, ein Blick auf seine andere Seite:
„Alle seine Freunde mit Kindern wissen davon zu erzählen, wie er für Stunden aus dem Kreis der Erwachsenen ins Kinderzimmer entschwinden und sich mit einem achtjährigen Mädchen oder einem fünfjährigen Jungen in profunde Gespräche verstricken konnte, zum Beispiel über Wesen und Natur der Hexen.“