"Unser Volk ist gespalten"
Wie erlebt ein ukrainischer Mittelständler die politischen Ereignisse in seinem Land? Die E-Mails, die Slavik Fomenko, an einen Redakteur von Deutschlandradio Kultur schreibt, machen die Angst vorm Auseinanderbrechen des eigenen Landes spürbar.
Drei Jahre habe ich mit Slavik ein Zimmer im Studentenwohnheim geteilt. Das war in den 70ern, wir haben Physik studiert in Odessa, die Perle am Schwarzen Meer. Slavik hat dann in den 90ern nach der Perestroika - eine Näherei für Berufsbekleidung in Nikolajew aufgebaut, rund hundert Kilometer nordöstlich von Odessa. Seine Firma hatte vor der Finanzkrise, also Mitte der 90er, fast 150 Mitarbeiter. Jetzt sind es nur noch 25, die Insolvenz droht.
Wir schreiben uns regelmäßig, früher Briefe, jetzt Mails, in letzter Zeit öfter.
"Grüß dich, mein teurer Freund! Es ist schwer verständlich, ob nun Russland oder die EU an den Fäden zieht: Jeder handelt nur zu seinem eigenen Vorteil. Und unser Volk ist gespalten: Es gibt keine Ruhe. Klar ich verstehe, nach 20 Jahren Unabhängigkeit hätte man drüber nachdenken können, wohin die Reise gehen soll. Hat aber nicht geklappt. Es ist wie ein Boxkampf, in der einen Ecke Europa und die USA, in der anderen Russland.
Jeder kämpft nach seinen Regeln und der Preis für den Gewinner ist die Ukraine. Was wir auch tun werden, es wird ein langer und schwieriger Weg sein, die ersten Ergebnisse gibt es vielleicht in 20 oder 30 Jahren. Und was heißt das für mich? Lange werde ich auf der Stelle treten, kann meine Pläne nicht verwirklichen. Andererseits, es war noch niemals leicht. Wir beide haben Gott sei Dank noch keinen Krieg erlebt. Und so soll es auch in Zukunft sein. Ich umarme dich, Fuchs."
Fuchs ist sein Spitzname, den hab ich ihm während des Studiums verpasst. Danach hatten wir uns dann lange aus den Augen verloren. Slavik war als Elektronikspezialist im Fernen Osten, sparte sein Geld für später, für die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion.
Nun könnte auch sein Land, die Ukraine, zerfallen, befürchtet mein Freund am 3. Dezember.
Nun könnte auch sein Land, die Ukraine, zerfallen, befürchtet mein Freund am 3. Dezember.
"Ich weiß, so wie heute darf man in unserem Land nicht weiter leben, aber wie man das in die richtige Richtung verändert, kann ich auch nicht sagen. In den langen Jahren der Sowjetunion wuchs eine große Masse von Menschen mit einem bestimmten Bewusstsein heran. Diese Leute muss man überleben, im physischen Sinne: Man muss mit ihnen leben und sterben. Vielleicht gelingt es ja unseren Enkeln oder Urenkeln, andere Beziehungen zwischen den Menschen zu schaffen.
Doch ich befürchte, dass innerhalb eines Jahres die Ukraine sich in mindestens zwei unabhängige Länder aufgeteilt hat. Und meine Region wird unter dem Einfluss Moskaus sein. Hier im Süden sind die meisten dafür. Das schmerzt mich heftig. Es gibt viele Fragen nach dem 'Warum', aber keine Antworten."
Slavik wirkt auf mich angespannt . Sein Sohn wohnt mit Frau und Kleinkind in Kiew. Besorgt verfolgt er die andauernden Demonstrationen, schreibt am 11. Dezember:
"Nach all dem wird sich im Lande bestimmt etwas verändern, ich hoffe zum Guten. Die Mächtigen haben wohl verstanden, dass sie mit den Menschen so nicht weiter umgehen können. Aber der größte Teil der Leute, der auch wählen geht, lebt im Osten, dort sind Industrie, Bergbau und die Fabriken. Dort ist man einhundertprozentig für Janukowitsch.
Furcht vor Ereignissen wie einst in Jugoslawien
Die Westukraine hat sich 1939 angegliedert und wurde gleich unter die Fuchtel Stalins genommen. Dort wird die Freiheit mit der Muttermilch eingeflößt. Die Südukraine, wo ich lebe, ist auch mehrheitlich für Janukowitsch, sogar unser Odessa! In der Hauptstadt haben die Leute eine höhere Bildung, Kiew ist der Generator der Freiheit, unterstützt durch die Westukraine.
Ich weiß, dass die Europäische Union viele Probleme hat, aber es werden noch mehr, wenn die Ukraine sich wie Jugoslawien aufspaltet, das wird nicht friedlich abgehen. Ich hoffe, alles wird gut. Morgen feiert mein Enkel in Kiew seinen zweiten Geburtstag. Ich fahr hin und schau mir alles an."
5 Tage später – am 16. Dezember kommt eine aufgewühlte Mail.
"Hallo Achim, ich hab noch nie in meinem Leben Barrikaden gesehen, toll. Zum Maidan kamen tausende um zu helfen, mit Geld, Lebensmittel, Kleidung. Alles ist sehr gut organisiert, nirgends Dreck oder Müll. Und die Leute! Mit offenen Augen und klarem Blick. Sie wollen morgen nicht mehr so leben wie heute. Keiner erwartet sehr viel und nichts sofort. Und sie wissen auch, dass es nicht leicht wird. Man ist nicht für Europa oder gegen Russland, die Menschen protestieren gegen dieses Sklavenleben. Sie haben genug davon, was im Lande los ist.
Klar, Russland spielt auf seiner Geige und die europäische Union auf der ihrigen. Die Oppositionsführer sind zerstritten, die Staatsmacht ist aufgeschreckt. Ich denke, uns stehen sehr schwierige Zeiten bevor. Das Land ist einfach im Arsch. Morgen schon könnte es schon kein Geld mehr geben, der Staat wird täglich ärmer. Hast du die Fotos bekommen? Es gibt noch viel zu erzählen, vielleicht bei unserem nächsten Treffen."
Gestern Abend hab ich Slavik eine SMS geschickt: Putin kupil Ukrainu, Putin hat die Ukraine gekauft. Bin gespannt auf seine Antwort.