Charmian Brinson und William Kaczynski: "Fleeing from the Führer. Exil und Internierung in Briefen"
Aus dem Englischen von Caterina Andreae
Verlag Philipp von Zabern, 2017
224 Seiten, mit 164 farb. Abb., 39,95 Euro
Vom Flüchtling zum Lagerinsassen
Viele jüdische Flüchtlinge wurden während des Zweiten Weltkrieges in Ländern wie Großbritannien als "feindliche Ausländer" angesehen und interniert. Der Brite William Kaczynski hat Karten und Briefe dieser Menschen gesammelt, die jetzt in "Fleeing from the Führer" zu sehen sind.
Wohl eher zufällig erinnert der Titel "Fleeing from the Führer" an den wunderbaren Song "Springtime for Hitler" aus Mel Brooks’ preisgekröntem Musical "The Producers". Darin sucht ein abgetakelter jüdischer Theaterproduzent aus New York nach dem schlechtesten Stück aller Zeiten, um einen sicheren Flop zu landen. Er wird fündig bei einem untergetauchten Nazi. Jüdischer Humor vom Feinsten.
Als Farce erschien vielen Deutschen auch der Beginn des sogenannten Dritten Reichs. Was dann kam, war pures Entsetzen. Und so verfolgt "Fleeing from the Führer" von Charmian Brinson und William Kaczynski trotz seines schmissigen Titels keine satirischen Absichten. Im Gegenteil. Das Buch widmet sich dem tragischen Schicksal vor allem jüdischer Exilanten in Großbritannien.
Ausgangspunkt dafür ist eine ungewöhnliche Sammlung: Postalische Dokumente aus der Zeit zwischen 1938 und 1950, zusammengetragen von dem Briten William Kaczynski, der 1936 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in Berlin geboren wurde.
"Sechs Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kam ich von Berlin nach Großbritannien, und etwas später - zusammen mit meiner Mutter - in ein Internierungslager auf Isle of Man, wo wir 10 Monate bleiben mussten."
Als Farce erschien vielen Deutschen auch der Beginn des sogenannten Dritten Reichs. Was dann kam, war pures Entsetzen. Und so verfolgt "Fleeing from the Führer" von Charmian Brinson und William Kaczynski trotz seines schmissigen Titels keine satirischen Absichten. Im Gegenteil. Das Buch widmet sich dem tragischen Schicksal vor allem jüdischer Exilanten in Großbritannien.
Ausgangspunkt dafür ist eine ungewöhnliche Sammlung: Postalische Dokumente aus der Zeit zwischen 1938 und 1950, zusammengetragen von dem Briten William Kaczynski, der 1936 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in Berlin geboren wurde.
"Sechs Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kam ich von Berlin nach Großbritannien, und etwas später - zusammen mit meiner Mutter - in ein Internierungslager auf Isle of Man, wo wir 10 Monate bleiben mussten."
Frauen und Männer wurden voneinander getrennt
"Enemy Aliens", "feindliche Ausländer" wurden diese Flüchtlinge nach Ausbruch des Krieges in Großbritannien genannt, und die britische Regierung internierte sie in verschiedensten Lagern, wobei sie nicht nur Familien, sondern überhaupt Frauen und Männer voneinander trennte. Auf diese Weise wollte man sich Klarheit verschaffen, wer tatsächlich ein Flüchtling war oder sich nur als solcher ausgab.
"Eines Tages entdeckte ich einen Brief, den mein Cousin aus einem Internierungslager in Kanada meiner Mutter auf Isle of Man geschrieben hatte. Ich war schockiert, dass er in ein so fernes Lager gebracht worden war. Und da begann ich, Briefe aus Internierungslagern zu sammeln."
Aus diesem jugendlichen Eifer entwickelte sich eine lebenslange Leidenschaft. Als dann in den Nuller-Jahren dieses Jahrhunderts Mitarbeiter der berühmten British Library auf Kaczynski und seine Sammlung aufmerksam wurden, entstand in Zusammenarbeit mit Charmian Brinson, einer Londoner Professorin für deutsche Exilforschung, dieses bewegende Buch:
150 Dokumente aus Kaczynskis Sammlung wurden hier auf hochwertigem Papier hervorragend abgedruckt und kenntnisreich kommentiert – Briefe, Postkarten, offizielle Mitteilungen, geheime Botschaften, vor allem aber Kuverts. Mit ihnen beginnt für den Leser und Betrachter eine sehr traurige Weltreise. Sie führt zu den Internierungslagern, die das Britische Empire in seinem riesigem Kolonialreich hatte errichten lassen. Darunter nach, Mauritius, Zypern, Jamaika, Palästina, Shanghai, Kenia, Uganda, Süd-Rhodesien. Manche von ihnen pendelten monatelang zwischen Ländern und Kontinenten hin und her und nicht immer war der oder die Empfängerin noch auffindbar.
"Peel, 26.12.40 - Natürlich träume ich oft von Dir, ich Nichtlügner, aber bedenke, wollte ich in 24 Zeilen auch noch Träume schildern!"
Auf den meisten Umschlägen: ein Stempel und der Vermerk, dass der Brief geöffnet und gelesen wurde. Im Zeitalter digitaler Total-Überwachung wirkt das fast anheimelnd fair.
"OPENED BY CENSOR 389. - OPENED BY EXAMINER 4369."
"Eines Tages entdeckte ich einen Brief, den mein Cousin aus einem Internierungslager in Kanada meiner Mutter auf Isle of Man geschrieben hatte. Ich war schockiert, dass er in ein so fernes Lager gebracht worden war. Und da begann ich, Briefe aus Internierungslagern zu sammeln."
Aus diesem jugendlichen Eifer entwickelte sich eine lebenslange Leidenschaft. Als dann in den Nuller-Jahren dieses Jahrhunderts Mitarbeiter der berühmten British Library auf Kaczynski und seine Sammlung aufmerksam wurden, entstand in Zusammenarbeit mit Charmian Brinson, einer Londoner Professorin für deutsche Exilforschung, dieses bewegende Buch:
150 Dokumente aus Kaczynskis Sammlung wurden hier auf hochwertigem Papier hervorragend abgedruckt und kenntnisreich kommentiert – Briefe, Postkarten, offizielle Mitteilungen, geheime Botschaften, vor allem aber Kuverts. Mit ihnen beginnt für den Leser und Betrachter eine sehr traurige Weltreise. Sie führt zu den Internierungslagern, die das Britische Empire in seinem riesigem Kolonialreich hatte errichten lassen. Darunter nach, Mauritius, Zypern, Jamaika, Palästina, Shanghai, Kenia, Uganda, Süd-Rhodesien. Manche von ihnen pendelten monatelang zwischen Ländern und Kontinenten hin und her und nicht immer war der oder die Empfängerin noch auffindbar.
"Peel, 26.12.40 - Natürlich träume ich oft von Dir, ich Nichtlügner, aber bedenke, wollte ich in 24 Zeilen auch noch Träume schildern!"
Auf den meisten Umschlägen: ein Stempel und der Vermerk, dass der Brief geöffnet und gelesen wurde. Im Zeitalter digitaler Total-Überwachung wirkt das fast anheimelnd fair.
"OPENED BY CENSOR 389. - OPENED BY EXAMINER 4369."
Außergewöhnliche Menschen, die halfen
Ein Kapitel des Buches widmet sich außergewöhnlichen Menschen. Einer von ihnen: der japanische Diplomat Chiune Sugihare, tätig am Konsulat in Kaunas, Litauen. Dorthin waren viele polnische Juden geflüchtet. Für sie stellte der Diplomat – entgegen seinen Anweisungen – japanische Transitvisa aus. Man spricht von 6.000.
"Sondereinreisegenehmigung
Fukui Verwaltungsbezirk
Transitvisum
(Nach Kanada: Grund für die Landung in Atsuga Hafen)
Erlaubnis erlischt nach 50 Tagen
24.7.1940"
Als eine von vielen Absurditäten brachte es der Krieg mit sich, dass Menschen, die über Kontinente geflüchtet waren und sich endlich in Sicherheit glaubten, erneut als Feinde betrachtet wurden. So auch in Japan: Nachdem sich das Land mit Deutschland verbündet hatte, wurden die dorthin Geflüchteten wieder ausgewiesen oder deportiert.
"Sondereinreisegenehmigung
Fukui Verwaltungsbezirk
Transitvisum
(Nach Kanada: Grund für die Landung in Atsuga Hafen)
Erlaubnis erlischt nach 50 Tagen
24.7.1940"
Als eine von vielen Absurditäten brachte es der Krieg mit sich, dass Menschen, die über Kontinente geflüchtet waren und sich endlich in Sicherheit glaubten, erneut als Feinde betrachtet wurden. So auch in Japan: Nachdem sich das Land mit Deutschland verbündet hatte, wurden die dorthin Geflüchteten wieder ausgewiesen oder deportiert.
Die "Wallenberg-Schutzpässe"
Durch Kaczynskis Briefe und Postkarten ist der Verlust von Geborgenheit und der Schmerz der Trennung fast körperlich nachzuempfinden. Mit besonderem Stolz erfüllt den Sammler der Besitz sogenannter "Wallenberg-Schutzpässe". Der schwedische Geschäftsmann Raoul Wallenberg war im Sommer 1944 im Auftrag des US-War Refugee Boards und der schwedischen Regierung in das von Deutschland besetzte Budapest mit dem Auftrag gereist, die Deportation ungarischer Juden nach Auschwitz "aufzuhalten".
In deutscher und schwedischer Sprache abgefasst, hatte Wallenberg diesen Pass selbst entworfen und zusammen mit Mitarbeitern in der schwedischen Gesandtschaft tausendfach verteilt. Sie identifizierten ihre Inhaber als schwedische Staatsbürger, die in Schweden die Repatriierung erwartete. Folgende Passage hatte Wallenberg unterstrichen:
"Bis Abreise steht der Obengenannte und seine Wohnung unter dem Schutz der Kgl. Schwedischen Gesandtschaft in Budapest."
Und darunter, in kleinerer Schrift:
"Gültigkeit: erlischt 14 Tage nach Einreise in Schweden."
Solche Details und geschichtlichen Informationen machen "Fleeing from the Führer" zu einem bewegenden und politisch aktuellen Buch – trotz einiger Schwächen, zu denen zu viele Vorworte und Danksagungen sowie die etwas nachlässige Übersetzung zählen. Kaczynskis Sammlung zeigt eindringlich, was es bedeutet, aus der eigenen Familie, der eigenen Heimat und Kultur herausgerissen zu werden. Ein Thema, das längst kein geschichtliches mehr ist: Seit Jahren fliehen wieder Menschen aus Kriegs- und Krisengebiete und suchen auch bei uns Zuflucht. Daher geht es um mehr als die Präsentation und Kommentierung postalischer Dokumente.
"Fleeing from the Führer" weist hin auf den Menschen neben uns. Es ist ein leiser, dringlicher Appell, Menschen in Not zu helfen. Wenn schon nicht aus Verantwortung oder Nächstenliebe, dann vielleicht aus der pragmatischen Erkenntnis heraus, wie schnell sich politische Konstellationen ändern und man plötzlich selbst auf die Hilfe anderer angewiesen sein könnte.
In deutscher und schwedischer Sprache abgefasst, hatte Wallenberg diesen Pass selbst entworfen und zusammen mit Mitarbeitern in der schwedischen Gesandtschaft tausendfach verteilt. Sie identifizierten ihre Inhaber als schwedische Staatsbürger, die in Schweden die Repatriierung erwartete. Folgende Passage hatte Wallenberg unterstrichen:
"Bis Abreise steht der Obengenannte und seine Wohnung unter dem Schutz der Kgl. Schwedischen Gesandtschaft in Budapest."
Und darunter, in kleinerer Schrift:
"Gültigkeit: erlischt 14 Tage nach Einreise in Schweden."
Solche Details und geschichtlichen Informationen machen "Fleeing from the Führer" zu einem bewegenden und politisch aktuellen Buch – trotz einiger Schwächen, zu denen zu viele Vorworte und Danksagungen sowie die etwas nachlässige Übersetzung zählen. Kaczynskis Sammlung zeigt eindringlich, was es bedeutet, aus der eigenen Familie, der eigenen Heimat und Kultur herausgerissen zu werden. Ein Thema, das längst kein geschichtliches mehr ist: Seit Jahren fliehen wieder Menschen aus Kriegs- und Krisengebiete und suchen auch bei uns Zuflucht. Daher geht es um mehr als die Präsentation und Kommentierung postalischer Dokumente.
"Fleeing from the Führer" weist hin auf den Menschen neben uns. Es ist ein leiser, dringlicher Appell, Menschen in Not zu helfen. Wenn schon nicht aus Verantwortung oder Nächstenliebe, dann vielleicht aus der pragmatischen Erkenntnis heraus, wie schnell sich politische Konstellationen ändern und man plötzlich selbst auf die Hilfe anderer angewiesen sein könnte.