Britisch-ghanaische Autorin Sharon Dodua Otoo

Eine Antirassismus-Aktivistin liest in Klagenfurt

Die britisch-ghanaische Autorin Sharon Dodua Otoo
Die britisch-ghanaische Autorin Sharon Dodua Otoo © ORF/Ralf Steinberger
Von Tobias Wenzel |
Sharon Dodua Otoo gehört zu den 14 Kandidaten, die in diesem Jahr zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb nach Klagenfurt eingeladen wurden. Die Autorin und Aktivistin engagiert sich in Vereinen und als Autorin gegen Diskriminierung, insbesondere von Frauen und Schwarzen.
Eine Woche vor ihrem Auftritt in Klagenfurt spaziert Sharon Dodua Otoo, eine herzliche und nachdenklich wirkende Frau Mitte vierzig, durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg, erwähnt aber den Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb mit keinem Wort.
"Ich bin sehr, sehr enttäuscht."
Erst seit wenigen Stunden ist der Austritt Großbritanniens aus der EU beschlossen. Und die britisch-ghanaische Schriftstellerin steht noch unter Schock. Hinzu kommt der ohnehin schon emotional aufgeladene Weg, den Otoo in ihrer Wahlheimat Berlin geht, vom Moritz- zum Oranienplatz.
"Moritzplatz hat eine Bedeutung für mich, weil mein ältester Sohn hier gelebt hat. Eine Zeit lang. Und ich war sehr oft hier, aber habe ihn nicht so oft gesehen, aber habe sehr oft an ihn gedacht, immer als ich zum Oranienplatz gekommen bin."

Unterstützung des Protests von Geflüchteten

Es ist der heißeste Tag des Jahres. Schatten spenden nur die Bäume am Oranienplatz. 2012 bis 2014 betrieben hier Flüchtlinge, unterstützt unter anderem von Sharon Dodua Otoo, ein Protestcamp aus Zelten, bis es sich im Streit auflöste.
"Damals ist eine Frau in einen Baum ‒ ich glaube: in diesen Baum hier ‒ hochgeklettert und hat fünf Tage und fünf Nächte da ausgeharrt und dafür demonstriert und sich dafür eingesetzt, dass es wenigstens ein Infopoint da bleibt. Und das hat die Sichtbarkeit der Bewegung noch eine Weile aufrechterhalten."
Sharon Dodua Otoo engagiert sich als Autorin, Verlagsmitarbeiterin und Mitglied in Vereinen gegen Diskriminierung von Menschen, insbesondere von Frauen und Schwarzen. Sie kämpft gegen den verletzenden Begriff "Neger". Auch für ihre vier Söhne.
"Meine Kinder erleben das. Die müssen eine Hausaufgabe machen. Das Wort taucht auf. Mein Kind versucht, sich dagegen zu wehren in der Klasse. Es wird nicht verstanden. Dann komme ich als Mutter. Und ich werde wahrgenommen als schwarze Frau. Deswegen bin ich betroffen. Und ich werde auch nicht ernst genommen. Und das Ganze hat ein Ausmaß, dass einfach so unwürdevoll ist."
Würde versucht sie auch mit Sprache wiederherzustellen. Das Adjektiv "schwarz" schreibt sie in Verbindung mit Menschen groß, das Wort "weiß" aber immer klein. Eine süße Rache für die jahrhundertelange Demütigung farbiger Menschen?
"Rache … Ich mag die Frage."

Scharfer Blick für versteckten Rassismus

Die 44-jährige Otoo ist gewitzt. Und sie hat einen sehr scharfen Blick für versteckten Rassismus. Zum Beispiel, wenn jemand "Mensch mit Migrationshintergrund" sage, aber meine: "jemand mit anderer Hautfarbe, der hier nicht hingehört".
"Dann sitze ich oft tatsächlich da und lächle, weil ich denke: Wow, so viel Arbeit zu tun! So viel Aufklärungsarbeit!"
"die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle…" lautet der Titel von Otoos zuerst auf Englisch erschienenem literarischen Debüt von 2012. Eine Novelle über eine schwarze Britin in Berlin und die schmerzhafte Trennung vom deutschen Vater ihrer Kinder. Den Schmerz setzt die experimentierfreudige Autorin hier und da auch grafisch um: mit einem unruhigen, geradezu explodierten Zeichensatz.
Fast seit sie denken kann, schreibt die gebürtige Londonerin.
"Ich hatte sehr viel Mitteilungsbedürfnis als Kind. Und ich habe zwei Geschwister und wir haben eine Zeit lang ein Zimmer geteilt. Und die hatten die Nase voll davon , dass ich immer Sachen erzählen wollte. Und irgendwann habe ich dann angefangen, einfach zu schreiben."
Wer Sharon Dodua Otoo und ihre Texte kennt, ahnt, dass sie in Klagenfurt etwas Ungewöhnliches wagt.
Zwei ihrer Kinder unterstützen sie vor Ort. Und ihre Eltern in Großbritannien sind einfach nur stolz.
"Ich habe oft in meiner Kindheit vermisst, dass meine Mutter sagt, dass sie stolz auf mich ist. Sie sagte immer: 'Das war gut. Aber probier es noch mal. Probier es weiter.' Und dieses Mal war sie so: 'Wow! Das ist echt gut. Ich bin sehr, sehr stolz.' Und das war schön."
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