Britische Bräuche im Visier

Von Udo Pollmer · 25.01.2009
Das "Breakfast" in Großbritannien trieft vor Fett, es gibt gebratenen Speck, Eier und dubiose Würstchen. Und wenn überhaupt Marmelade, dann kommt die mit den bitteren Orangen auf den Tisch. Die Gründe dafür sind historischer Art.
Warum steht die englische Küche in einem so schlechten Ruf, während die französische Kochkunst so hochgelobt wird? Das hängt mit der Geschichte der beiden Länder zusammen. Die Franzosen verdanken ihren guten kulinarischen Ruf dem Wirken der "Madame Guillotine". Mit ihrer Hilfe entledigte sich das Volk während der französischen Revolution seiner Aristokratie, und deren Personal - darunter auch die Köche, die nichts anderes gelernt hatten und plötzlich plötzlich auf der Straße standen. Viele machten sich selbstständig und eröffneten ein Restaurant. Da es auch nach der Revolution genug wohlhabende Bürger gab, fanden sie ihr Auskommen.

Und da die französische Revolution sang- und klanglos am britischen Königshaus vorbeigegangen war, graust es ganz Europa vor der britischen Küche - oder wie? Nur knapp daneben. Denn die britische Küche stand noch im 19. Jahrhundert in einem vorzüglichen Ruf, weil viele Köche während der französischen Revolution nach England geflohen waren. Zudem verfügte Großbritannien dank seiner Kolonien über kulinarische Spezialitäten aus aller Welt. Das änderte sich aber mit dem Niedergang des Kolonialreiches. Dazu kamen die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges. Das Bürgertum konnte sich nur noch wenig Dienstpersonal leisten. Damit gingen die kulinarischen Ressourcen - sowohl die Ware wie auch das Know-how der Zubereitung - verloren. In dieses kulturelle Vakuum stießen dann die Zuwanderer aus den ehemaligen Kolonien.

In vielen Hotels bekommt man ein britisches "Breakfast" - gebratener Speck, Eier und dubiose Würstchen. Warum trieft dort das Frühstück vor Fett, während bei uns süßer Brotaufstrich üblich ist? Die süßen Aufstriche in Kontinentaleuropa hängen mit der stimmungsaufhellenden Wirkung des Zuckers zusammen. Nach dem Aufwachen ist der Serotoninspiegel bei den meisten Menschen eher niedrig. Um wieder bessere Laune zu bekommen, wird die Serotoninproduktion im Gehirn durch Marmelade, Schokocremes oder Honig forciert.

Bei dem nebeligen Klima bräuchten die Briten eigentlich eine Extraportion Zucker statt Fett.
Zur Stimmungsaufhellung gibt’s dort Tee. Das Koffein wirkt in Sachen Serotonin geradeso wie der Zucker. Dennoch war der Tee im Grunde eine Verlegenheitslösung. Denn die Briten waren ursprünglich Kaffeetrinker. Aber als die Kaffeeplantagen auf Ceylon vom Kaffeerost dahingerafft wurden, erwies sich der Anbau des Teestrauches als Glücksgriff. Da die Blätter des Teestrauches ebenfalls Koffein enthalten wie die Kaffeebohne erwies sich das Produkt als vollwertiger Ersatz.

Sie lenken schon wieder ab. Wozu das viele Fett? Das Fett hat einen historischen Grund. Die englische Arbeitszeit war früher ganz anders als heute. Ein zweites Frühstück oder Jause zum Zwecke der vormittäglichen Kräftigung gab es nicht. Den Arbeitern wurde lediglich eine kurze Mittagspause zugestanden. Wer den Arbeitstag durchhalten wollte, musste morgens möglichst viel Fett in sich hineinstopfen. Und wenn dieses Fett noch dazu in schwerverdaulichen Zubereitungen genossen wurde, hielt das vor. Die Angestellten im Büro waren nicht unbedingt besser dran als die Schwerarbeiter. Denn im Büro schufteten sie im "verkürzten Arbeitstag" - und der ohne jede Pause, also auch Mittagspause. Mit Marmeladenbrötchen und fettreduzierter Margarine wäre das britische Empire sang- und klanglos untergegangen.

Deshalb spielt dort Brot keine große Rolle? Doch schon, aber die werfen ihr Weißbrot in die Friteuse, damit es mehr Fett aufnimmt als beim Bestreichen. Außerdem gibt’s noch die Bangers, diese fettigen Würstchen. Auch da ist einiges an Brot drin - gerade so wie bei unserer Frikadelle. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, denn in das Hack für die Bangers kommt auch noch ein Ei.

Nicht alle Menschen mussten schuften. Was aß das Bürgertum zum Frühstück? Wer es sich leisten konnte, griff bei seinem Breakfast-Tee zu etwas Süßem, zum Beispiel zur beliebten Marmelade, der Orangenmarmelade - auf einer Scheibe Weißbrot.

Aber die ist doch zu allem Überfluss auch noch bitter. Richtig - aber auch ein guter Muntermacher. Denn für die Marmelade werden Bitterorangen samt Schale verwendet. In der Frucht und noch mehr in der Schale befindet sich ein interessanter Stoff namens Synephrin. Synephrin wirkt so wie das Nebennierenrindenhormon Noraderenalin. Es erhöht den Blutdruck. Die Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System führte schon zur Frage, ob Produkte mit Bitterorangen (Pomeranzen) überhaupt als Lebensmittel akzeptabel sind. Aber die Briten scheinen damit bis heute vorzüglich zu gedeihen.


Literatur:
Thoms U: Essen in der Arbeitswelt. Der Bürger im Staat 2002; 52: 238-242
Tanahill R: Food in History. Eyre Methuen, London 1973
Pollmer U, Niehaus M: Wer gesund isst, stirbt früher. BLV, München 2008
Flandrin JL, Montanari M: Histoire de l’alimentation. Laterza & Figli, Rome 1996
Nelson BC et al: Mass spectrometric determination of the predominant adrenergic protoalkaloids in bitter orange (Citrus aurantium). Journal of Agricultural and Food Chemistry 2007; 55: 9769-9775