Majors und Indielabel bangen gemeinsam
Nur wenige britische Künstler haben sich offen für den Brexit ausgesprochen. Man kann nur erahnen, was der Austritt aus der EU für die britische Musikindustrie bedeuten würde - doch die Szenarien sind düster.
"Ich liebe die EU, ja ich liebe die EU. Du hast mich befreit von Pies und Kartoffelbrei, Du hat meine Menschenrechte geschützt. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, I liebe die EU."
So singt Gruff Rhys von den Super Fury Animals und liefert einen der wenigen musikalischen Beiträge zur aktuellen Debatte.
Aber auch einige große Namen der britischen Musikszene haben sich zu Wort gemeldet. Brian Eno zum Beispiel, Jarvis Cocker, Billy Bragg oder Bob Geldof. Ihre Meinung ist eindeutig: Großbritannien muss in der EU bleiben. Die Londoner Musikjournalistin Laura Snapes hat die unterschiedlichsten Vertreter der britischen Musikindustrie befragt, was sie denn glauben, würde sich mit dem Austritt ändern.
"Was passieren könnte, ist, dass wir Visa brauchen, wenn wir in andere europäische Länder reisen wollen. Und schon jetzt ist es so, wenn britische Musiker in der Schweiz oder in Norwegen Konzerte geben, brauchen sie ein Carnet für ihr Equipment, eine genaue Liste, welches Geräte sie mitführen. Damit soll verhindert werden, dass die Sachen im Ausland verkauft werden und man somit Steuern hinterzieht. Jemand hat mir erzählt, so ein Carnet kostet bis zu 2000 Pfund und ist immer nur ein Jahr gültig. Und wenn sich auch nur ein Teil am Equipment ändert, braucht man gleich ein neues. Das könnte gerade kleinen Bands das Genick brechen."
Sorge vor viel mehr Bürokratie
Eine Band wie Coldplay oder eine Musikerin wie Adele hat natürlich keine Probleme, sich Carnets oder Visa-Gebühren leisten zu können, aber die möglichen bürokratischen Veränderungen könnten auch ihnen das Leben schwer machen, denn die Zeit, die es brauchen würde, um entsprechende Visa und Dokumente auszustellen, könnte es sehr, sehr schwer machen, an aufeinanderfolgenden Tagen in verschiedenen Ländern zu spielen ist. Und dabei wäre es egal, ob man eine kleine, unbekannte Band ist ein Weltstar.
"Außerdem feiern wir gerade eine Art Wiederauferstehung der Schallplatte in Großbritannien. Viele Platten, die hier verkauft werden, werden in Deutschland und Tschechien produziert. Wenn wir nach dem Austritt aus der EU Platten importieren, könnten Steuern anfallen, die es jetzt nicht gibt. Also würde der Verkaufspreis von Platten steigen. Gleichzeitig würde die Gewinnspanne von Plattenhändlern sinken. Ich hab mit dem Besizter eines kleinen Plattenladens gesprochen und er meinte, die kleinste Preiserhöhung wäre schmerzhaft für sein Geschäft."
Die größten Sorgen machen sich Vertreter der Musikindustrie beim Thema Urheberrecht und geistiges Eigentum. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Umfrage der BPI, der Verband der britischen Musikindustrie. Über 300 Musikgesellschaften sind in diesem Verband vereint, darunter große Majorlabel genauso wie kleine Indielabel. Die meisten Mitglieder sind der Meinung, dass sie zusammen mit anderen Partnern aus der EU mehr erreichen können, wenn es um Urheberrechte geht, als wenn Großbritannien allein Verträge aushandelt. Gennaro Castaldo ist der Sprecher der BPI. Er sieht auch Musikpiraterie als ein großes Problem.
"Musiker und Konsumenten reagieren sehr sensibel auf Preisänderungen. Vor allem in Sachen Streaming. Es ist jetzt schon so, dass viele Menschen Musik im Netz kostenlos hören. Wenn Musikdienste jetzt noch teurer werden würden, würde das doch nur noch mehr Menschen dazu bringen kostenlos Musik zu streamen. Das ist natürlich etwas, was die Plattenlabel auf gar keinen wollen. Denn je weniger Gewinn Label machen, um so weniger Geld können sie in ihre Künstler investieren oder auch neue Künstler aufbauen, nicht nur in Großbritannien, sondern weltweit."
Es wäre "ein Desaster"
Die Debatte um das EU-Referendum bringt aber auch Menschen aus dem Musikgeschäft zusammen, die sonst kaum an einem Tisch sitzen. David Joseph, der Chef von Universal in Großbritannien und Martin Mills von der Beggars Group, die einige der wichtigsten Indielabels vereint, haben kurz vor dem Referendum einen gemeinsamen Brief veröffentlicht, in dem sie alle Briten auffordern, für den Verbleib in der EU zu stimmen. Sie bezeichneten es als wirtschaftliches, politisches, soziales und kulturelles Desaster, sollte man sich für den Austritt entscheiden, und befürchten die Isolation Großbritanniens vom restlichen Europa. Bei der Umfrage des britischen Musikverbandes stimmten 68 Prozent der Beteiligten für den Verbleib in der EU. Das Ergebnis spiegelt die Meinung der meisten Künstler und Kreativen wider.
"Ein Musiker, der sich dagegen ausgesprochen hat, dass wir in der EU bleiben, ist Yannis Philippakis, der Sänger der Band Foals. Eine seiner größten Sorgen ist die Zahl der Immigranten. Ich glaube, er ist Halb-Grieche, und ein Teil seiner Familie lebt in Griechenland. Er hat sehr kritisiert, wie die EU mit Griechenland umgegangen ist. Aber er ist einer von ganz wenigen Musikern, die sich öffentlich geäußert haben und das auch noch ohne einen Bezug zu Musik. Das hat mich wirklich überrascht."
Die Musikjournalistin Laura Snapes beschreibt Großbritanniens Haltung, was die Musikindustrie betrifft, als arrogant. Man glaube, man würde alles allein schaffen, sagt sie, und befürchtet, dass die ausbleibenden Fördermittel der EU, die unter anderem junge Bands und kleinere Spielorte unterstützen, vor allem die alternative Musikszene schädigen würde. Jedes vierte Album, das im vergangenen Jahr in Europa verkauft wurde, kam laut BPI von britischen Musikern. Für den Sprecher des britischen Musikverbandes Gennaro Castaldo wäre ein Ausstritt aus der EU ein enormer Rückschritt für die Musikindustrie des Landes.
"Britische Künstler sind sehr erfolgreich in Europa. Es hat lange gedauert und viel Geld gekostet, bis wir dahin gekommen sind. Mitglied der EU zu sein, hat dabei natürlich geholfen, sowohl aus kultureller aber auch aus wirtschaftlicher Sicht. Natürlich wäre es nicht das Ende der Welt, und ich bin sicher, britische Künstler würden nach wie vor eine große Rolle in Europa spielen, aber es würde alles schwieriger machen für britische Musiker in Europa und auch weltweit."