Optimismus ist Wut gewichen
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In drei Wochen wählt Großbritannien ein neues Parlament. Vor zwei Jahren hatten Grime-Musiker den Labour-Kandidaten Jeremy Corbyn unterstützt. Diesmal lautet die Parole von Rappern wie Stormzy und Slowthai schlicht: "Fck Boris".
In der Londoner U-Bahn. "The next station is Uxbridge where this train terminates. All change please."
Nächster Halt Uxbridge. Endstation. Dass Uxbridge auch die Endstation für den britischen Premierminister Boris Johnson wird, darauf hoffen die Aktivistinnen von "Fck Boris".
Das Frauenkollektiv hat zur Straßenparty in Johnsons Wahlkreis eingeladen. Das Ziel: Genug junge Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, um zum ersten Mal in der Geschichte Großbritanniens einem amtierenden Premierminister das Mandat zu entziehen. Der DJ auf dem offenen Dach ihres roten Doppeldeckerbusses weiß, wie man die 250 Teilnehmer erreicht. Mit dem Song "Vossi Bop" von Stormzy. Stormzys Nummer-1-Hit ist der Namensgeber für die Bewegung. Stormzy rapt: "Fuck the government. Fuck Boris". Jubel
Vor zwei Jahren hatte Johnson noch Vorsprung
2017 gewann Johnson seinen Wahlkreis mit 5000 Stimmen Vorsprung. Seitdem hat sich die Zusammensetzung der Wahlberechtigten stark verändert: 1500 Menschen sind gestorben, 3000 hingegen haben inzwischen das Wahlalter erreicht– und junge Menschen wählen eher Labour. Aber in Großbritannien, wo es kein Einwohnermeldeamt gibt, muss man sich erst registrieren, um überhaupt wählen zu können. Deshalb kann es eine große Wirkung haben, wenn Stars wie Stormzy mit ihrer Musik auf Politik aufmerksam machen, meint Soziologie-Dozentin und "Fck-Boris"-Unterstützerin Nabeela Talib.
"Stormzy ist sehr beliebt – seine Texte sind Teil unseres Alltags. Wenn er über Politik spricht, erreicht er damit junge Leute, die normalerweise keinen Bezug dazu haben."
Mit Kopf-Attrappe auf die Bühne
Stormzy ist nicht der einzige Rapper, der mit dem "Fck Boris"-Slogan Kritik am Premierminister äußert. Slowthai, der wie Stormzy aus einer Einwandererfamilie stammt und in einer Sozialwohnung aufwuchs, ging sogar noch weiter. Zu seinem Auftritt beim Mercury Prize, für den er mit seinem Debütalbum "Nothing Great About Britain" nominiert war, brachte er eine Attrappe von Boris Johnsons abgetrenntem Kopf mit auf die Bühne. Später musste er sich dafür entschuldigen.
Seinem Publikum spricht er trotz des Fehltritts aus der Seele: Das rief vor kurzem bei einem seiner Konzerte in London im Sprechchor "Fuck Boris", bis er auf die Bühne kam, erzählt Labour-Unterstützer Adam Elliott-Cooper.
Er war einer der Organisatoren der "Grime4Corbyn"-Kampagne zur Wahl 2017. Unter anderem Stormzy, aber auch Tracey, JME und Novelist warben damals für Corbyn. Die Webseite der Kampagne ist inzwischen offline und die Hoffnung scheint in Enttäuschung umgeschlagen zu sein: Corbyn habe die Unterstützung nicht richtig zu nutzen gewusst, meint etwa Tracey. Der Rapper Lethal Bizzle rief zwar kürzlich auf Twitter dazu auf, Labour zu wählen, hatte aber im Juli Zweifel an Corbyns Führungsqualitäten geäußert. Deshalb nun "Fck Boris" statt "Grime4Corbyn".
Nicht nur eine Musikrichtung
Elliott-Cooper sagt: "An dem Tag, als Johnson zum Premierminister gewählt wurde, gab es die erste Straßenparty unter dem Namen "Fck Boris". Seither ist daraus eine Bewegung geworden. Anstatt damit zu konkurrieren, haben wir uns entschlossen, das Kollektiv zu unterstützen – bei den Partys werden auch weiterhin Musikerinnen und Musiker dabei sein."
Außerdem sei es inzwischen zu kurz gefasst, die Bewegung auf eine Musikrichtung zu reduzieren."Leute hören heute viele verschiedene Genres: Drill und Afrobeats sind mittlerweile so beliebt wie Grime es vielleicht vor zwei Jahren war."
Dennoch spiegelt die Verlagerung von "für Corbyn" zu "gegen Boris" einen Stimmungswechsel wider. Der Optimismus ist der Wut gewichen, sagt Elliott-Cooper.
"Es wäre schwierig, heute die gleiche Begeisterung für Corbyn zu schüren wie damals – seine Ideen waren neu, heute kennt ihn jeder. Was aber neu ist, ist Johnson, der herablassend über Minderheiten spricht und die Privilegien verkörpert, die für die Ungleichheit in unserer Gesellschaft verantwortlich sind. Der Unmut darüber wird den Ton in diesem Wahlkampf bestimmen."
Unbedingt wählen gehen!
Was die Wut aber bezwecken soll – für wen die jungen Menschen also statt den Konservativen stimmen sollten –, darauf geben die Aktivistinnen unterschiedliche Antworten. Nur in einem sind sie sich einig: Unbedingt wählen gehen, sagt etwa Nadia Javed vom DIY Pop Punk-Trio The Tuts vor ihrem Auftritt auf der "Fck Boris"-Party in Uxbridge.
"Nach den ganzen leeren Versprechungen fragt man sich inzwischen wirklich, was Wählen überhaupt bringt. Aber selbst, wenn man taktisch wählt: Es ist der einzige Weg, um die Konservativen loszuwerden."