"NATO-Ostflanke stärken"
Der polnische Präsident Bronisław Komorowski hat angesichts des russischen Vorgehens in der Ukraine vor einer Appeasement-Politik gegenüber Moskau gewarnt. Komorowski sagte im Deutschlandradio Kultur, der russische Präsident müsse davon abgehalten werden, neue politische Einflusssphären zu bilden. Nach der Krim gehe es jetzt um weitere Gebiete der Ukraine. Man müsse sich fragen, wo das ende. Komorowski betonte, eine Politik des Nachgebens führe zu nichts.
Deutschlandradio: Mit Margarete Wohlan – heute zu Gast beim polnischen Präsidenten Bronisław Komorowski im Präsidentenpalast Belvedere in Warschau. Dzien dobry, guten Tag, Herr Präsident.
Bronislaw Komorowski: Dzien dobry, guten Tag.
Deutschlandradio: Vor unserem Gespräch einige Informationen zu Ihrer Person. Bronisław Komorowski erfährt in seinem Leben oft, dass Freiheit etwas ist, wofür man kämpfen muss. Und wer in so einem Kampf unterliegt, für den können die Folgen fatal sein.
Seine Familie muss die litauische Heimat verlassen, als die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg die baltischen Staaten übernimmt. Sie zieht in den neuen Westen Polens. Komorowski, geboren 1952 im niederschlesischen Obernigk, kämpft schon als junger Mann gegen das kommunistische Regime und ist dann in der Gewerkschaft Solidarność aktiv.
Als Dissident im Untergrund gerät er mehrmals kurz in Haft. 1981Kriegsrecht in Polen: Komorowski sitzt mehrere Monate im Internierungslager. Von 2000 bis 2001 ist er Verteidigungsminister und 2007 drei Jahre lang Parlamentspräsident.
6. August 2010: Komorowski wird Präsident – und ist nach Lech Wałęsa und Lech Kaczyński der dritte polnische Staatspräsident, der aus der Solidarność-Bewegung stammt. Mit seiner ausgleichend-unspektakulären Art schafft er es seitdem, der beliebteste Politiker seines Landes zu sein. Auch nutzt er sein Amt stets dafür, sich für die Unabhängigkeit Polens einzusetzen.
Herr Präsident, das deutsch-polnische Verhältnis liegt Ihnen am Herzen: Anfang August die Eröffnung der Ausstellung "Warschauer Aufstand" in Berlin, gemeinsam mit Joachim Gauck. Am 1. September werden Sie zusammen mit ihm auf der Westerplatte an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren erinnern und am 10. September eine Rede im Deutschen Bundestag zum selben Thema halten.
Die polnischen Medien sprechen vom historischen Ereignis. Kann man sagen: Die deutsch-polnischen Beziehungen waren noch nie so gut wie heute?
Komorowski: Ja, das kann man, weil auch die Deutschen noch nie so demokratisch waren, wie heute und so offen, was die polnischen Angelegenheiten betrifft. Und bei den Polen ist es genauso: Wir sind erst seit 25 Jahren frei und demokratisch - und die Pflege dieser Freiheit ist gut angelegt, wenn wir sie mit den guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Deutschland festigen und damit auch die europäische Integration fördern.
Ich freue mich sehr darüber! Es ist nach wie vor eine große Herausforderung und gleichzeitig auch eine Quelle großer Befriedigung - gerade für uns, die Solidarnosc-Generation! Denn sie hat sich für die Versöhnung mit den Nachbarn eingesetzt und gegen negative Stereotypen angekämpft, die aus der Geschichte stammen. Und man sieht in allen Untersuchungen, dass Polen es in den letzten 25 Jahren geschafft hat, mit fast allen Nachbarn gute Beziehungen aufzubauen - aber die besten zweifellos mit den Deutschen.
Deutschlandradio: Das Thema Freiheit, so mein Eindruck, ist Thema beider Präsidenten - für Joachim Gauck und auch für Sie, Herr Komorowski. Ist das etwas, was Sie beide, die Präsidenten von Deutschland und Polen, verbindet?
Komorowski: Ja, ich denke ja - ich bin mir sicher! Wir haben ja auch ähnliche Erfahrungen gemacht: Präsident Gauck hat auch im kommunistischen, unfreien System gelebt - genauso wie ich. Und wir haben ähnliche Erfahrungen im Kampf gegen das System gemacht. Es war nicht einfach, aber am Ende von Erfolg gekrönt! Und deshalb ist für uns beide auch die Freiheit so wertvoll! 25 Jahre Freiheit in Polen und auch in den ostdeutschen Bundesländern - das bedeutet nicht nur reine Freude, sondern auch Verantwortung. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass wir beide viele Sachen ähnlich sehen und uns beiden die deutsch-polnischen Beziehungen am Herzen liegen.
Deutschlandradio: Herr Präsident, könnte die Ukraine-Krise diese gute Nachbarschaftsbeziehung empfindlich stören? Immerhin sehen polnische Publizisten in der Ukraine-Krise eine zunehmende Spaltung zwischen Warschau und Berlin. Was sagen Sie dazu? Vielleicht sieht es ja Herr Gauck anders als Kanzlerin Merkel?!
Freiheit ist universell und darf nicht vor Lemberg aufhören
Komorowski: Ich verstehe, dass Politiker der Öffentlichkeit Ansichten vermitteln, die diese hören will. Aber Politiker sind auch dafür da, in die ihrer Meinung nach richtige Richtung zu führen - und der Bevölkerung zu erklären, wie und warum.
Wenn man erklärt, dass Freiheit wertvoll und unabdingbar ist, dann muss dies universell gelten - und nicht vor Lemberg aufhören. So etwas geht gar nicht! Man muss dafür sorgen, dass die Werte, die uns wichtig sind: Demokratie, freie Marktwirtschaft, Freiheit, Menschenrechte - dass sie nicht nur innerhalb unserer Gemeinschaft respektiert werden, sondern auch jenseits davon, vor allem, wenn ein Volk das auch will!
Die Ukrainer haben dafür auf dem Majdan gekämpft und ihr Leben verloren. Sie nahmen sich das Recht, ihren Weg gen Westen zu gehen, denn sie wissen, was es heißt, nach Osten zu gehen. Das muss man respektieren, wertschätzen und sie dabei unterstützen. Wir Polen haben noch andere - unsere - Gründe, die Ukraine zu unterstützen: die gleichen historischen Erfahrungen. Sie besagen: Wenn wir uns nicht mit dem Westen verbünden, dann kommt der Osten und wird seine Interessen geltend machen! Wir haben heute zwei konkurrierende Visionen in Europa die einer europäischen Integration innerhalb der EU, die wir alle wollen: Polen, Deutsche, Franzosen und Italiener. Und dann gibt es noch die konkurrierende Vision einer eurasischen Union, über die Präsident Putin schon immer, ohne Versteck zu spielen, gesprochen hat. Und heute realisiert er das in der Ukraine! Das ist die Vision einer Welt, die uns nicht entspricht - wir sind der westlichen Idee verbunden.
Deutschlandradio: Vielleicht besteht der Unterschied nicht darin, dass der Westen innerhalb der Europäischen Union gegen solche Werte ist, sondern darin, dass man sie anders erreichen will. Durch Diplomatie, durch Gespräche mit Herrn Putin und nicht durch militärisches Eingreifen?
Komorowski: Nur hat das militärische Eingreifen schon stattgefunden. Russland hat in der Ukraine eine Invasion durchgeführt. Das ist eine Tatsache, die durch die Politik von Präsident Putin geschaffen wurde. Und Europa und die westliche Welt stehen nun vor der Frage: Wie darauf effektiv reagieren?
Es geht darum, ob wir das Russland von Präsident Putin davon abhalten können, neue politische Einflusssphären zu bilden. Denn Einflusssphären bedeuten die Wiedererrichtung des russischen Imperiums. Das hat einst bis zur Oder gereicht, bis zur Elbe und es gab sogar Pläne, es bis zu den Pyrenäen auszudehnen. Also wie können wir effektiv verhindern, dass Aggression stattfindet, Völkerrecht gebrochen wird und Menschenrechte mit Füßen getreten werden?
Hier geht es nicht nur um politische Interessen, sondern darum, was aus Europa wird: Ob es ein Europa der Kosaken wird oder ein demokratisches. Außerdem glaube ich nicht, dass die These mit der Spaltung West und Ost innerhalb der EU stimmt. Schweden zum Beispiel hat sich sehr entschieden positioniert, indem es Putin sehr scharf aufgefordert hat, die Intervention zu stoppen. Ich glaube nicht, dass es eine Teilung zwischen den Staaten gibt, sondern dass es innerhalb der Staaten unterschiedliche Strömungen gibt.
Deutschlandradio: Was würden Sie sich wünschen, um Putin aufzuhalten?
Komorowski: Ich finde, dass vor allem die Deutschen, aber auch die Polen, besondere Verantwortung dafür tragen, Lehren aus der Geschichte in Erinnerung zu rufen. In den 30er-Jahren fehlte dem damaligen Europa der Mut, den Revisionismus und die Gewaltanwendung Deutschlands zu stoppen, es galt die Appeasement-Politik, das Nachgeben gegenüber Hitler.
Darum müssen wir uns jetzt klarmachen, dass eine Politik des Nachgebens zu nichts führt. Sie ermutigt nur zu noch mehr Forderungen, so wie wir das jetzt erleben: Erst wurde die Krim gefordert, jetzt geht es schon um weitere Gebiete der Ukraine. Und alle fragen sich, wo das endet. Ich denke, dass die Sanktionen leider gerechtfertigt und notwendig sind, notwendig ist aber auch die Stärkung des NATO-Bündnisses. Und so wie sich die Lage entwickelt, geht es hier vor allem um die Ostflanke der NATO. Denn hier liegt die Gefahr, hier besteht das Potential für Aggression. Und wir wissen aus dem Leben des Einzelnen wie der Staaten, dass die Schwäche potenzieller Opfer zur Aggression ermutigen kann. Umgekehrt schreckt Stärke eine aggressive Politik ab. Darum bin ich für Stärke.
Putin will das sowjetische Imperium wieder aufbauen - in Europa
Deutschlandradio: Das heißt: mehr Waffen, mehr Soldaten?
Komorowski: Das heißt, mehr Sicherheit bedeutet immer höhere Ausgaben für die Modernisierung der Streitkräfte. Erinnern wir uns: Der Zusammenbruch der Sowjetunion, der Polen die Freiheit und Deutschland die Einheit gebracht hat, der war eine Folge des verlorenen Rüstungswettlaufs, des verlorenen Wettlaufs um wirtschaftliche Entwicklung. Daran zerbrach das Imperium. Heute sagt Präsident Putin ganz offen – wer das hören will, kann es hören, wer nicht, der nicht – Putin sagt, dass er das Imperium wieder aufbauen will. Ich hoffe, dass genügend Deutsche sich daran erinnern, was das bedeutet hat: ein sowjetisches Imperium in Europa.
Deutschlandradio: Deutschlandradio Kultur mit der Sendung "Tacheles" – heute zu Gast beim polnischen Präsidenten Bronisław Komorowski im Präsidentenpalast Belvedere in Warschau. Herr Präsident, das Treffen der Präsidenten Putin und Poroschenko am vergangenen Dienstag in Minsk - was war das? Ein Spiel von Putin? Denn in Deutschland hatte man tatsächlich die Hoffnung, das seien erste Schritte, um zu einer Annäherung zwischen Ukraine und Russland zu kommen?
Komorowski: Ich war nicht dabei. Und ich war skeptisch, was den Erfolg des Gesprächs betraf. Ich habe damit keine größeren Hoffnungen verknüpft. Wissen Sie, wir kennen die Sitten und Gebräuche Im Osten ganz gut, denn wir wussten, dass die Entscheidungen gefallen waren, während die Gespräche noch liefen. Die russische Armee sollte ganz offen die ukrainische Grenze überqueren - was sie jetzt gemacht hat. Also war das kein Treffen des Good Wills, sondern eines, um irgendwelche medialen Kampagnen zu führen, damit der Eindruck erweckt wird, dass man auf der Schlichtungsebene noch was bewirken will.
Deutschlandradio: Herr Präsident, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat erklärt, dass die jüngste Eskalation seitens Russlands schärfere Sanktionen nach sich ziehen wird. Glauben Sie, dass das wirkt - oder sollte man damit jetzt aufhören?
Komorowski: Es kommt auf die Sanktionen an! Ich bin sicher, dass die USA auf Sanktionen setzen werden - und diese werden bestimmt schmerzlich für die russische Seite sein. Europa - das wird immer wieder deutlich - geht den USA hinterher. Es wäre wünschenswert, wenn sie mutiger und eigenständiger wäre was die Sanktionspolitik betrifft. Nicht indem sie nörgelt, sondern indem sie die Führung übernimmt. Der ukrainisch-russische Krieg ist näher an Europa als an den Vereinigten Staaten! Also hätte Europa mehr Gründe, so scharf und eindeutig wie nur möglich gegen die russische Aggression vorzugehen. Die Alternative zu schärferen Sanktionen ist eine Politik der Ratlosigkeit.
Deutschlandradio: Die ukrainisch-polnischen Beziehungen sind ja nicht völlig unbelastet – ein Stichwort nur: Massaker ukrainischer Nationalisten an der polnischen Bevölkerung 1943. Spielt das keine Rolle, wenn es um Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber Russland geht?
Wir wollen, dass die Ukraine frei, demokratisch und Teil des Westens ist
Komorowski: Wissen Sie, in unserer polnischen Geschichte haben uns sowohl die Deutschen als auch die Russen und die Ukrainer ermordet. Und auch wir sind manchmal nicht zimperlich in der Reaktion gewesen.
Komorowski: Wissen Sie, in unserer polnischen Geschichte haben uns sowohl die Deutschen als auch die Russen und die Ukrainer ermordet. Und auch wir sind manchmal nicht zimperlich in der Reaktion gewesen.
Unsere Beziehungen zu Litauen waren auch sehr schlecht - meine Familie kommt ja von dort, wie Sie am Anfang erwähnt haben, wo es auch sehr heftig zur Sache ging. Aber das ist kein Grund, immer nur an diese Konflikte und Verbrechen zu erinnern. Wir haben uns gerade in den Beziehungen zu den Deutschen sehr bemüht, einander näher zu kommen. Das Gleiche passiert mit der Ukraine und mit Russland. Bei der Ukraine zum Beispiel vergessen wir nicht, wie viel polnisches Blut durch die Ukrainer dort geflossen ist. Aber wir gehen trotz oder gerade wegen der schwierigen Historie aufeinander zu. Der Schmerz von damals ist zwar da, aber er überlagert nicht die heutigen Beziehungen.
Wir wollen, dass die Ukraine frei, demokratisch und Teil des Westens ist. Denn nur unter diesen Bedingungen - das ist meine feste Überzeugung - kann eine wirkliche Versöhnung erfolgen, ähnlich wie die Versöhnung zwischen den Franzosen und den Deutschen. Ähnlich sehe ich es bei der Annäherung zwischen Polen und Russland.
Es gibt keine Familie in Polen, die nicht jemanden durch die Deutschen verloren hat. Auch meine Familie. Genauso wenig gibt es weder in Polen noch in den anderen osteuropäischen Staaten eine Familie, die nicht durch die Russen ein Mitglied verlor - wenn nicht durch die physische Auslöschung, dann durch die Verschickung nach Sibirien. Das betrifft eine gigantische Zahl von Polen. Aber ich arbeite auch an der Versöhnung mit Russland.
Hier, wo wir beide miteinander reden, besuchte mich - zum ersten Mal in der polnischen Geschichte - der Patriarch von Moskau und Russland Kyrill. Er war gekommen um auszuloten, wie sich die Kirchen beider Länder annähern können - so wie sich die deutschen und polnischen Kirchen angenähert haben. All das darf man nicht vergessen, auch wenn die russische Politik heute diesen Prozess gestoppt hat.
Ich finde es sehr schade. Aber eins ist doch klar: man kann sich nur versöhnen, wenn es von beiden Seiten aufrichtig gewollt wird. Das haben die Deutschen getan -sich mutig der Wahrheit und ihrer Verantwortung gestellt. Und das ist der Grund für die guten deutsch-polnischen Beziehungen. Mit Russland gibt es da Probleme. Es will sich nicht wirklich der Wahrheit stellen - verweist auf Stalin, das sei nicht gleichzusetzen mit Russland usw. Wir wollen uns mit Russland aussöhnen, denn wir sehen, dass dies mit der Ukraine passiert und sich genauso schön gestaltet wie mit Deutschland.
Deutschlandradio: Kiew fürchtet jedes Innehalten in diesem bewaffneten Konflikt mit den russischen Separatisten, weil es sofort zum Verlust der gewonnenen Positionen führen könnte. Dabei nimmt es Kollateralschäden in Kauf ...
Es ist das heilige Recht eines jeden sich zu verteidigen
Komorowski: ... welche Kollateralschäden?
Wissen Sie, wenn es in Polen eine Regierung geben würde, die - warum auch immer - aufhören würde, ihr Land zu verteidigen, dann hätte sie alle gegen sich. Man darf von niemandem erwarten, egal von wem, von keiner Regierung eines souveränen, unabhängigen Staates, dass sie bewusst auf die Verteidigung ihres eigenen Territoriums verzichten würde. Das darf man von keinem Volk verlangen, dass es resigniert und dem Aggressor nachgibt. Es ist das heilige Recht eines jeden, der überfallen wird, sich zu verteidigen.
Alle freien Staaten sind dafür verantwortlich, zu erkennen, wer der Aggressor ist und wer derjenige ist, der sich verteidigt - und den zu unterstützen, der sich verteidigt. Und nicht die Ratio desjenigen stärken, der der Aggressor ist, indem versucht wird, dessen Motive verstehen zu wollen, warum er so handeln musste, warum er morden musste.
Deutschlandradio: Nicht nur in Deutschland sagt man, dass die Wahrheit als erstes im Krieg auf der Strecke bleibt. Und dass man aus der Entfernung nicht wirklich erkennen kann, wer der Gute und wer der Böse ist. Wie würden Sie darauf antworten?
Komorowski: Ich finde, es genügt auf die Landkarte zu schauen. Man sieht, wo die Grenze zwischen Ukraine und Russland verläuft und wer die Grenze überschritten hat, wer Krieg führt auf dem Territorium des Nachbarlandes. Das ist sehr einfach.
Deutschlandradio: Die deutsche Regierung entscheidet erstmals, in ein Kriegsgebiet - den Irak - Waffen zu liefern. Das führt in Deutschland zu großen Diskussionen. Wie wird das in Polen wahrgenommen? Und welchen Einfluss könnte das aus Sicht der Polen für den Umgang mit Russland haben - auch was Sie sagten - die Ostgrenze der NATO stärken?
Komorowski: Wissen Sie, Polen war engagiert bei der Militäraktion im Irak, genauso wie in Afghanistan. Nur dass wir heute - auch angesichts der Erfahrungen, die wir aus der Aggression Russlands gegenüber der Ukraine haben - über die Sicherheit des eigenen Territoriums nachdenken sollten. Und über die eigene Verteidigungskraft. Wir streben in diese Richtung.
Natürlich gibt es viele schmerzhafte Probleme in der Welt, in Nordafrika, in vielen asiatischen Ländern, im Nahen Osten. Aber ich finde, es ist verständlich, dass ich in erster Linie versuche beziehungsweise die Aufmerksamkeit darauf lenke, in der eigenen Region aktiv zu sein. Es gibt eine Abstufung der Ziele - genauso wie es eine Abstufung der Gefahren gibt. Wir sind der absoluten Überzeugung, dass die internationale Gemeinschaft natürlich helfen soll in den Ländern des Nahen und des Fernen Ostens, in Nordafrika. Aber der Konflikt in der Ukraine wird von uns als vorrangig behandelt für die Sicherheit Europas.
Deutschlandradio: Das heißt, dass Sie von der deutschen Regierung erwarten würden, dass sie Waffen an Ihre Ostgrenze liefert?
Komorowski: Nein, nein, ich lege der deutschen Regierung nicht nahe, was sie zu tun hat! Aber die europäische Politik sollte folgenden Fakt berücksichtigen: Wenn man sich mit den Problemen der Menschenrechte und der Sicherheit im Irak beschäftigt - was ich total verstehe und akzeptiere -, dann ist es irgendwie selbstverständlich, die größte Herausforderung in unserer eigenen Region zu sehen, und das ist der Ukraine-Konflikt. Das ist nicht die Frage, was wasche ich, Hände oder Füße! Doch wenn man die Hände nicht wäscht, dafür aber die Füße, dann bleiben doch immer irgendwelche Zweifel.
Deutschlandradio: Am 4. September wird der Nato-Gipfel in Newport stattfinden. Nato-Generalsekretär Rasmussen hat am Mittwoch im Interview der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" versprochen, das Bündnis lasse Mittelosteuropa nicht im Stich. Was bedeutet das für Sie? Und was müsste Brüssel machen, damit Putin versteht, hier geht es nicht weiter, sonst hast du ganz Europa gegen dich?!
Komorowski: Es ist gut daran zu erinnern, dass in Kürze dieser NATO-Gipfel stattfindet. Dort werden sehr wichtige Entscheidungen gefällt, die wie der Generalsekretär ja erklärt hat, die Ostflanken des Nato-Paktes betreffen werden. Für uns sind das sehr ernste, konkrete Entscheidungen. Da geht es nicht um wortreiche Erklärungen oder Deklarationen, sondern um reale Möglichkeiten der Unterstützung durch die Nato, wenn ihre östlichsten Mitglieder durch einen Aggressor angegriffen werden. Es geht darum, in der Lage zu sein, Notfallpläne auszuführen, es geht auch um die Infrastruktur der Nato. Sie ist heute im Westen der Elbe.
Da stellt sich die Frage, ob sich - wenn sich die Situation im Osten ändert - das nicht auf die Infrastruktur auswirken könnte und man diese verschiebt. Nur so kann Unterstützung möglich sein und gelingen. Also, wir erwarten eine Entscheidung, die die Verschiebung der NATO-Infrastruktur ostwärts genehmigt. Wir erwarten auch, dass bestätigt wird, in Polen Nato-Einheiten zu stationieren - so wie in anderen Ländern auch, wie zum Beispiel in den baltischen.
Damit wird deutlich, dass es keine Mitglieder zweiter Klasse im Nordatlantischen Bündnis gibt. In diesem Zusammenhang wird die Diskussion weitergehen, ob der Russland-Nato-Pakt gebrochen wurde oder nicht. Aus meiner Sicht wurde dieser Pakt mehrmals gebrochen und ist damit hinfällig durch die Entscheidungen Russlands. Denn in den Akten wurde vereinbart, dass es keine massiven Nato-Stationierungen von Streitkräften gibt, solange die sicherheitsrelevanten Fragen in unserer Region nicht berührt werden. Es gibt sie nun aber, die russische Armee ist auf dem Gebiet der Ukraine. Und das sollte sich in den Nato-Entscheidungen wiederspiegeln, indem die Nato zwischen dem, was wichtig ist und was nicht, unterscheidet.
Deutschlandradio: Eine Frage noch vor dem Hintergrund der Geschichte Ihrer eigener Familie: Das deutsch-polnische Verhältnis hat mit dem Kniefall von Willy Brandt 1970 in Warschau begonnen, sich zu verändern und sich seitdem extrem verbessert. Welche Chancen gibt es für die sehr belasteten Beziehungen zwischen Polen und Russland, auch mal dort anzukommen?
Komorowski: Wissen Sie, ich bin ein sehr optimistischer und hoffnungsfroher Mensch. Und ich glaube: Ja. Nur so kann es besser werden – und deshalb arbeite ich daran, dass es möglich wird. Ich habe hier Präsident Medwedew zu Gast gehabt – und Polen hat wie die ganze Welt gehofft, dass mit ihm der Kurs Richtung Modernisierung des Landes gehen wird. Heute ist dieser Kurs durch Präsident Putin gestoppt. Und daraus sollte man Schlüsse ziehen. Aber Geschichte ist zu einem gewissen Grad nicht vorhersehbar - deshalb sollte man auch in schwierigen Situationen so wie in der aktuellen dramatischen Situation weiter hoffen, weiter positive Szenarien bauen und auch versuchen, sie zu realisieren.