50. Todestag von Bruce Lee

Bye, bye Bruce!

Bruce Lee in einer Kampfkunstpose.
Wirkte bereits als Kind in Filmen mit: Bruce Lee. © picture alliance / Everett Collection
20.07.2023
Vor 50 Jahren starb Kampfsport-Legende und Schauspieler Bruce Lee. Mit seinen Filmen löste er einen internationalen Kung-Fu-Boom aus. Und für manchen wurde er zum großen Vorbild.
Ein später Abend in den 1980er-Jahren. Auf dem Bildschirm des tragbaren Schwarz-Weiß-Fernsehers in meinem Kinderzimmer fliegen die Fäuste. RTL bringt einen Film mit Kung-Fu-Star Bruce Lee. Der Ton ist leise gestellt, und ich klebe förmlich am Schirm mit den verrauschten Bildern. Dass ich jetzt noch fernsehe, würde meine Mutter nicht gutheißen.
Der ernste, drahtige Kampfsportler wischt sich wütend Blut vom Mund, sein „Nunchaku“ wirbelt durch die Luft. Bruce Lee vermöbelt jeden Schuft, der es wagt, sich ihm in den Weg zu stellen. Ich sitze im flackernden Licht des sonst stockdunklen Zimmers und kann mich dem Schauspiel unmöglich entziehen. Mutter, die Sorgen um meine Augengesundheit, die neue Schule, all das ist unendlich weit weg.

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Schmerzen gehörten dazu

Bald darauf hing ein Sandsack von der Kellerdecke in unserem neuen Haus. Meinen „Nunchaku“ fertigte ich selbst aus einem zersägten Besenstil und einer Stahlkette. Beim Üben schlug ich mir damit oft auf die Finger. Doch Schmerzen gehörten eben dazu, wenn man Bruce Lee nacheiferte.
Meine Eltern hatten sich damals frisch getrennt. Nun lebten mein kleiner Bruder, ich, Mutter und ihr neuer Mann in einer fremden Stadt. In der Schule waren wir Jungs "die Neuen", also Außenseiter. Geld besaßen wir auch keines. Und mein Vater fehlte.
"Das Leben ist nicht fair", war damals das Grundgefühl. Vielleicht war Bruce Lee einfach das Vorbild, das ich suchte und brauchte: Ein Mann, der unbesiegbar schien, einer, der einstecken konnte.
Bruce Lee erlangte seinen Weltruhm als Schauspieler. Zudem betrieb der 1940 in San Francisco geborene Sohn eines Chinesen und einer Deutsch-Chinesin mehrere Kung-Fu-Schulen in den USA. Begonnen hatte er mit der Kampfkunst im Alter von 13 Jahren in China. Es heißt, er habe eisern trainiert.

Sein Kampfschrei war bemerkenswert

Meine Ambitionen ließen auch nicht zu wünschen übrig. Bald wechselte ich vom Keller in ein Judo-Dojo und von dort in eine Karate-Schule. Mein kleiner Bruder kam mit und fand sein Vorbild in unserem Karate-Lehrer. Er nahm die Liegestütze, die Katas (eine Übung) und das Kumite (Wettkampf) vom ersten Tag an ernster als ich. Sein Kampfschrei war bemerkenswert.
Mit Anfang zwanzig verlor ich mein Interesse am Kampfsport vollkommen. Es sollten fast zehn Jahre vergehen, ehe ich mich wieder dafür zu interessieren begann. Wieder gab Bruce Lee den Ausschlag. Ich fand mich also eines Abends in einer Kung-Fu-Schule wieder.
Die Schule lag in einem schlecht belüfteten Keller in einem Berliner Hinterhof, Unterricht gab ein Mann von beachtlicher Statur, Möbelpacker von Beruf. Gelehrt wurde Wing Tsun. Ich hatte von diesem Kung-Fu-Stil kurz zuvor gehört, es hieß, Bruce Lee habe ihn gelernt und daraus seinen eigenen Stil, das Jeet Kune Do, entwickelt.

Ein allem überlegenes System

Die Schule gehörte damals einer internationalen Kung-Fu-Organisation an, der IWTA. Warum ich das erwähne? Der Gründer der IWTA, Meister Leung Ting, hatte den Stil von Großmeister Yip Man gelernt, und das war wiederum jener Mann, der schon Bruce Lee das Zuschlagen beigebracht hatte. Es muss 1953 oder 1954 gewesen sein, als der Meister ihn unter seine Fittiche nahm.
Man muss sich Bruce Lees Lehrer, den Kung-Fu-Kämpfer Yip Man, als einen richtigen Knochenmann vorstellen. Er war kahl, klein und dürr. Auf Fotos wirkt er regelrecht klapprig.
Der Legende nach war der Meister aus Foshan aber so gut wie unbesiegbar. Beworben wurde Wing Tsun als ein allem überlegenes System und die beste Selbstverteidigung. Die Übungen sahen wirklich ungewöhnlich aus, fast gar nicht nach Kampftraining. Es hätte einen stutzig machen können.
In den kommenden Jahren wurde mir in nicht enden wollenden Belehrungen erklärt, dass das „weiche“ Wing Tsun nach physikalischen Prinzipien funktioniere. Ich übte darauf hin, wie man sich am Handgelenk „die Kraft des Gegners borgte“ und „gegen ihn wendete“. Wirklich gekämpft wurde nie.
Ich kam nur Schritt für Schritt dahinter. Mein Bruder, der als wettkampferprobter Karate- und Brazilian-Jiu-Jitsu-Kämpfer vor zur Schau gestellten Selbstbewusstsein strotzte, besiegte mich beim Sparring mit links. Anders kann man es nicht sagen. Bei einem freundschaftlichen Kampf mit einem Hobbyboxer machte ich keine ganz so schlechte Figur. Aber der Mann versicherte mir, er trainiere kaum.
Die teuren Seminare, zu denen man sich ständig verpflichtet fühlte, um dem Geheimnis Yip Mans und Bruce Lees wieder ein kleines Stück näher zu kommen, lagen mir zunehmend schwer im Magen. Nach fünf Jahren gewissenhaften Trainings war Schluss. Ich sagte meinem Lehrer „Bye-bye“.

Prügel von Brad Pitt

Eine Zeit lang war mir meine Leichtgläubigkeit in diese „überlegene Kampfkunst“ ein wenig peinlich. Doch das ist lange her.
2019 reiste ich nach Japan. Auf dem Flug sah ich mir den Film „Once Upon A Time … in Hollywood“ von Regisseur Quentin Tarantino an. Es gibt darin eine schmerzvolle Szene: Ein großspuriger Bruce-Lee-Wiedergänger bezieht zu Recht Prügel von Brad Pitt. Inzwischen kann ich über die Persiflage lachen.

tmk
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