Brücke nach Brasilien
Wer mit der katholischen Organisation Avicres als freiwilliger Helfer nach Brasilien geht, muss den Aufenthalt dort selbst finanzieren. Von den Kandidaten wird erwartet, dass sie ohne Vorurteile in das Leben der "Ärmsten der Armen" eintauchen, sagt der Gründer der Entsendeorganisation, Johannes Niggemeier.
Stephan Karkowsky: "Wildwärts" heißt der Freiwilligendienst des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 10.000 Helfer hat das BMZ die vergangenen drei Jahre ins Ausland geschickt. Der Politologe und Ethnologe Wolfgang Gieler kritisierte diese Freiwilligen in Teil eins unserer Gesprächsreihe als Karrieristen und Selbstverwirklicher, die unfähig seien, die ihnen anvertraute Verantwortung vor Ort zu tragen. In einem zweiten Gespräch dann widersprach Jürgen Wilhelm, Vorstand der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit:
Jürgen Wilhelm: Freiwillige sind natürlich keine Fachkräfte und Entwicklungshelfer, sie sind erwachsene Menschen, und ich sage es mal ein bisschen salopp: Wissen Sie, wenn sich junge, ausgebildete Menschen mit einer guten Schulausbildung im Alter von 20, 21 Jahren mit gesellschaftlicher Verantwortung erwachsen genug sind, um sich am Hindukusch für die Interessen Deutschlands gegebenenfalls totschießen zu lassen, dann können sie auch in Entwicklungsländern gute Arbeit leisten – und das tun sie.
Karkowsky: Heute nun lernen wir den Paderborner Religionspädagogen Johannes Niggemeier kennen. Er ist Gründer und Vorsitzender einer weiteren Entsendeorganisation, und zwar der Brasilieninitiative Avicres. Und Avicres nimmt für sich in Anspruch, ein alternatives Konzept von Freiwilligendiensten anzubieten. Guten Tag, Herr Niggemeier!
Johannes Niggemeier: Guten Tag!
Karkowsky: Avicres sendet Freiwillige nur an einen einzigen Ort, nämlich nach Nova Igaçu, ein Vorort von Rio de Janeiro mit einer der weltweit höchsten Kriminalitätsraten. Was machen nun Ihre Freiwilligen vor Ort, wie helfen Sie den Menschen dort?
Niggemeier: Sie sind mittendrin in der Arbeit mit sogenannten Straßenkindern, mit Kindern aus ganz ärmsten Verhältnissen, mit Obdachlosen, mit Kranken, und mittendrin sind sie einfach, eine Person mehr, die Zeit, Zuwendung, Zärtlichkeit geben kann, also das, was die Leute brauchen. In diesem Sinne helfen sie schon.
Karkowsky: Und Geld und Essen und Arbeitsprojekte?
Niggemeier: Unsere Freiwilligen helfen nicht mit Geld den Leuten. Unsere Freiwilligen helfen materiell gesehen den Ärmsten der Armen überhaupt nicht. Sie sind eine Person mehr mitten mit denen zusammen, die Zeit hat, die Zärtlichkeit und Zuwendung, Zuneigung den Kindern und Jugendlichen geben kann, auch den Obdachlosen, denen gerade das fehlt.
Karkowsky: Sie zahlen den Freiwilligen ganz bewusst kein Taschengeld. Wie finanzieren die denn ihr Leben vor Ort? Mit ihrem Ersparten?
Niggemeier: Also, wir halten es auch für wichtig, dass sie sich dieses Jahr dieser Erfahrung auch selbst erarbeiten müssen, selbst erarbeiten müssen, das heißt, sie sorgen auf alle mögliche Art und Weise, durch Arbeit vorher, durch Sparen …, - durch Sponsorenringe sorgen sie auf alle möglichen Arten dafür, dass sie das selbst erwirtschaften können, dieses eine Jahr. Und wenn es dann nicht so klappt, dann helfen die Mitglieder der deutschen Acivres dann auch noch.
Karkowsky: Und kein Taschengeld ist nicht die einzige Hürde für diesen Dienst – Ihre Freiwilligen müssen sich zuvor ein ganzes Jahr lang in Seminaren vorbereiten. Was sind das für Seminare?
Niggemeier: Wir, das bedeutet, die deutsche Partnerorganisation Avicres, hat eine eigene Vorbereitungsgruppe für diese Freiwilligen, die macht während eines Jahres mehrere Wochenenden mit diesen Kandidaten, die sich für uns beworben haben. Das ist die eine Sache.
Dann, das Zweite ist, dass diese Partnerorganisation selbst Bildungswochenenden hat. Daran müssen die auch teilnehmen, das ist verpflichtend. Und drittens: Während dieses Jahres der intensiven Vorbereitung müssen sie teilnehmen an einem Seminar einer Organisation der AGEH, Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe, das ist die Organisation "fid", die intensive, pädagogisch-psychologische, soziale Vorbereitungsseminare macht mit vielen Leuten aus verschiedenen Organisationen.
Das ist unsere intensive Vorbereitung. Und in diesem Jahr sortieren sich die Leute schon selbst aus, wir nehmen immer nur maximal vier von oft viel mehr Kandidatinnen und Kandidaten.
Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den Gründer und Chef der Brasilieninitiative Avicres, Johannes Niggemeier. Herr Niggemeier, die vorhergehenden Gespräche unserer Reihe haben auch Fragen aufgeworfen zur Motivation von Freiwilligen, ins Ausland zu gehen. Welche Motivation erkennen Sie denn bei Ihren Bewerbern?
Niggemeier: Sie wollen sich selbst auf die Spur kommen. Nach Ausbildung mit Ende Abitur oder Ausbildung mit Lehrabschluss, dann wollen sie sich selbst auf die Spur kommen, sie wollen sich auch selbst beweisen, ob sie so was hinkriegen, auf den eigenen Füßen stehend so eine Arbeit machen, auch losgelöst von der Herkunftsfamilie oder von dem Kreis, in dem sie sich ja auch sicher, auch wohlgefühlt haben. Das ist einmal eine Motivation – schaffe ich das?
Das Zweite, dass sie neugierig sind auf andere Kulturen, ganz andere Menschen, ganz andere Lebensart. Diese andere Motivation, die natürlich auch irgendwo mit dabei ist, haben wir eben schon angesprochen: Helfen. Ich finde das ja auch nicht schlimm, wenn das gut verstanden ist, dass es das auch gibt, aber da sorgen wir auch in der Vorbereitung dafür, dass dieses Helfen nicht zum krankhaften Helfersyndrom wird und die Leute dann nach drüben zu uns kommen.
Karkowsky: Das klingt ja wie eine Kritik an den anderen Freiwilligendiensten, wo das Helfen ja normalerweise im Mittelpunkt steht. Was gefällt Ihnen nicht an dieser Philosophie des Helfens?
Niggemeier: Ich meine ja: Dieses Helfen im Helfersyndrom, das teilt die Welt, das teilt die Kulturen ja wieder in unten und oben ein. Also von oben kommen welche, die glauben, sie könnten entwickeln, sie könnten den anderen helfen. Und es wird dabei nicht deutlich, dass diese, die dahingehen, selber auch lernen müssen und viel lernen, und ihnen wird geholfen sehr viel. Also dieses Aufteilen in oben und unten oder in diese beiden Welten, das kann's nicht sein.
Karkowsky: Hören wir noch mal, was der Vorstand der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Jürgen Wilhelm uns gesagt hat zur Vorbereitung seiner Teilnehmer:
Jürgen Wilhelm: Da kann man in drei Wochen schon ganz schön viel lernen. Ich sage: Das sind ja erwachsene Menschen – es sind junge Menschen, aber sie sind erwachsen. Wir brauchen ja nichts pädagogisch nachzuholen, die haben einen Reifungsprozess hinter sich. Es geht jetzt darum, die Spezifika ihnen zu vermitteln, und da kann man in relativ kurzer Zeit schon sehr viel erreichen. Außerdem begleiten wir sie natürlich während dieses Aufenthalts im Entwicklungsland. Wir haben also ein ganzes Netzwerk dort eingebaut, wir lassen die jungen Menschen nicht alleine.
Karkowsky: Wie geht es Ihnen, wenn Sie das hören? Sind drei Monate Vorbereitung für Freiwillige bei der GIZ etwas, wo Sie sagen: Das kann niemals hinhauen, da kommt nichts bei rum?
Niggemeier: Also, ich will die anderen nicht beurteilen und vergleichen, aber für uns wäre das unmöglich. In drei Monaten können wir das, was uns vorschwebt – ein ganz anderes Verhaltensmuster als oft so mitgebracht wird – nicht hinbekommen. Das geht nicht in dieser kurzen Zeit, das ist einfach unmöglich. Und man merkt dann später auch: Wenn da nicht intensiv vorbereitet würde oder worden ist, dann spüren wir plötzlich, wie die sogenannten – wenn ich das aufgreifen darf – reifen Leute und so plötzlich zurückfallen in Muster von kindlichem Verhalten, kindischem Verhalten, wenn die nicht intensiv genug vorbereitet sind.
Karkowsky: Haben Sie ein Beispiel?
Niggemeier: Ja, es kommt dann vor, dass sie sehr stark glauben, dass sie den anderen was beibringen müssten oder sie das Heft in die Hand nehmen müssten in den Heimen, in den Straßenkinderheimen, oder dass sie sich Geld besorgen, zum Beispiel aus Deutschland, und den Angestellten dann was zustecken. Also das sind Dinge, die zum Verhalten gehören, und das kann nicht in so kurzer Zeit ausgemerzt oder ausgebügelt werden.
Begleitung, was da angesprochen worden ist von Herrn Wilhelm, ist schon sehr wichtig, das wird hier dann auch deutlich, auch Begleitung im Lande selbst. Und diese Freiwilligen, die kommen alle in Familien. Diese Familien sind wirklich für dieses eine Jahr das Mittendrin für unsere Freiwilligen. In diesen Familien machen unsere Freiwilligen alles mit - im Unterschied zu Wohngemeinschaften von Deutschen oder im Unterschied, wenn die Freiwilligen in anderen Organisationen in der Arbeit selbst oder mit der Gruppe, mit der Gruppe der Verantwortlichen zusammenleben müssen oder sollen. Also diese Familien spüren, dass da so was wirklich passiert wie ein Austausch zwischen verschiedenen Kulturen und zwischen Menschen, die natürlich auch in ganz verschiedener Mentalität denken.
Karkowsky: Austausch ist ein gutes Stichwort: Unsere beiden bisherigen Gesprächspartner waren sich einig darin, dass ein Austausch nicht einseitig stattfinden dürfe, das heißt, nicht nur junge Deutsche nach Brasilien schicken, sondern bitte auch junge Brasilianer nach Deutschland holen. Unternimmt Avicres in dieser Hinsicht auch etwas?
Niggemeier: Für uns ist das wichtig. Augenblicklich bin ich gerade für drei Wochen mit drei Brasilianerinnen und Brasilianern auch hier. Also dieser Austausch ist wichtig, aber ich kann auch sagen: Das zwingt auch zu ganz intensiver Vorbereitung, weil es nicht passieren darf, dass mit der Mentalität – oh, wir reisen jetzt ins Paradies oder so – das Ganze missbraucht wird, und die kriegen dann hier einen solchen Schock, weil sie auch merken, dass das Paradies gar nicht existiert hier bei uns als Paradies.
Also das ist eine schwierige Sache, und wer ein bisschen bewusster ist und die Welt auch von drüben ja wahrgenommen hat schon, der strebt auch nicht so selbst danach, jetzt möglichst schnell immer nach Deutschland zu kommen. Aber krankhafte Deutschlandsehnsucht gibt es auch, da müssen wir auch gut gegen arbeiten. Aber Austausch ist wichtig.
Karkowsky: In Teil drei unserer Gesprächsreihe zu Freiwilligendiensten im Ausland hörten Sie heute den Gründer und Chef der Brasilieninitiative Avicres, Johannes Niggemeier. Herr Niggemeier, danke für das Gespräch!
Niggemeier: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jürgen Wilhelm: Freiwillige sind natürlich keine Fachkräfte und Entwicklungshelfer, sie sind erwachsene Menschen, und ich sage es mal ein bisschen salopp: Wissen Sie, wenn sich junge, ausgebildete Menschen mit einer guten Schulausbildung im Alter von 20, 21 Jahren mit gesellschaftlicher Verantwortung erwachsen genug sind, um sich am Hindukusch für die Interessen Deutschlands gegebenenfalls totschießen zu lassen, dann können sie auch in Entwicklungsländern gute Arbeit leisten – und das tun sie.
Karkowsky: Heute nun lernen wir den Paderborner Religionspädagogen Johannes Niggemeier kennen. Er ist Gründer und Vorsitzender einer weiteren Entsendeorganisation, und zwar der Brasilieninitiative Avicres. Und Avicres nimmt für sich in Anspruch, ein alternatives Konzept von Freiwilligendiensten anzubieten. Guten Tag, Herr Niggemeier!
Johannes Niggemeier: Guten Tag!
Karkowsky: Avicres sendet Freiwillige nur an einen einzigen Ort, nämlich nach Nova Igaçu, ein Vorort von Rio de Janeiro mit einer der weltweit höchsten Kriminalitätsraten. Was machen nun Ihre Freiwilligen vor Ort, wie helfen Sie den Menschen dort?
Niggemeier: Sie sind mittendrin in der Arbeit mit sogenannten Straßenkindern, mit Kindern aus ganz ärmsten Verhältnissen, mit Obdachlosen, mit Kranken, und mittendrin sind sie einfach, eine Person mehr, die Zeit, Zuwendung, Zärtlichkeit geben kann, also das, was die Leute brauchen. In diesem Sinne helfen sie schon.
Karkowsky: Und Geld und Essen und Arbeitsprojekte?
Niggemeier: Unsere Freiwilligen helfen nicht mit Geld den Leuten. Unsere Freiwilligen helfen materiell gesehen den Ärmsten der Armen überhaupt nicht. Sie sind eine Person mehr mitten mit denen zusammen, die Zeit hat, die Zärtlichkeit und Zuwendung, Zuneigung den Kindern und Jugendlichen geben kann, auch den Obdachlosen, denen gerade das fehlt.
Karkowsky: Sie zahlen den Freiwilligen ganz bewusst kein Taschengeld. Wie finanzieren die denn ihr Leben vor Ort? Mit ihrem Ersparten?
Niggemeier: Also, wir halten es auch für wichtig, dass sie sich dieses Jahr dieser Erfahrung auch selbst erarbeiten müssen, selbst erarbeiten müssen, das heißt, sie sorgen auf alle mögliche Art und Weise, durch Arbeit vorher, durch Sparen …, - durch Sponsorenringe sorgen sie auf alle möglichen Arten dafür, dass sie das selbst erwirtschaften können, dieses eine Jahr. Und wenn es dann nicht so klappt, dann helfen die Mitglieder der deutschen Acivres dann auch noch.
Karkowsky: Und kein Taschengeld ist nicht die einzige Hürde für diesen Dienst – Ihre Freiwilligen müssen sich zuvor ein ganzes Jahr lang in Seminaren vorbereiten. Was sind das für Seminare?
Niggemeier: Wir, das bedeutet, die deutsche Partnerorganisation Avicres, hat eine eigene Vorbereitungsgruppe für diese Freiwilligen, die macht während eines Jahres mehrere Wochenenden mit diesen Kandidaten, die sich für uns beworben haben. Das ist die eine Sache.
Dann, das Zweite ist, dass diese Partnerorganisation selbst Bildungswochenenden hat. Daran müssen die auch teilnehmen, das ist verpflichtend. Und drittens: Während dieses Jahres der intensiven Vorbereitung müssen sie teilnehmen an einem Seminar einer Organisation der AGEH, Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe, das ist die Organisation "fid", die intensive, pädagogisch-psychologische, soziale Vorbereitungsseminare macht mit vielen Leuten aus verschiedenen Organisationen.
Das ist unsere intensive Vorbereitung. Und in diesem Jahr sortieren sich die Leute schon selbst aus, wir nehmen immer nur maximal vier von oft viel mehr Kandidatinnen und Kandidaten.
Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den Gründer und Chef der Brasilieninitiative Avicres, Johannes Niggemeier. Herr Niggemeier, die vorhergehenden Gespräche unserer Reihe haben auch Fragen aufgeworfen zur Motivation von Freiwilligen, ins Ausland zu gehen. Welche Motivation erkennen Sie denn bei Ihren Bewerbern?
Niggemeier: Sie wollen sich selbst auf die Spur kommen. Nach Ausbildung mit Ende Abitur oder Ausbildung mit Lehrabschluss, dann wollen sie sich selbst auf die Spur kommen, sie wollen sich auch selbst beweisen, ob sie so was hinkriegen, auf den eigenen Füßen stehend so eine Arbeit machen, auch losgelöst von der Herkunftsfamilie oder von dem Kreis, in dem sie sich ja auch sicher, auch wohlgefühlt haben. Das ist einmal eine Motivation – schaffe ich das?
Das Zweite, dass sie neugierig sind auf andere Kulturen, ganz andere Menschen, ganz andere Lebensart. Diese andere Motivation, die natürlich auch irgendwo mit dabei ist, haben wir eben schon angesprochen: Helfen. Ich finde das ja auch nicht schlimm, wenn das gut verstanden ist, dass es das auch gibt, aber da sorgen wir auch in der Vorbereitung dafür, dass dieses Helfen nicht zum krankhaften Helfersyndrom wird und die Leute dann nach drüben zu uns kommen.
Karkowsky: Das klingt ja wie eine Kritik an den anderen Freiwilligendiensten, wo das Helfen ja normalerweise im Mittelpunkt steht. Was gefällt Ihnen nicht an dieser Philosophie des Helfens?
Niggemeier: Ich meine ja: Dieses Helfen im Helfersyndrom, das teilt die Welt, das teilt die Kulturen ja wieder in unten und oben ein. Also von oben kommen welche, die glauben, sie könnten entwickeln, sie könnten den anderen helfen. Und es wird dabei nicht deutlich, dass diese, die dahingehen, selber auch lernen müssen und viel lernen, und ihnen wird geholfen sehr viel. Also dieses Aufteilen in oben und unten oder in diese beiden Welten, das kann's nicht sein.
Karkowsky: Hören wir noch mal, was der Vorstand der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Jürgen Wilhelm uns gesagt hat zur Vorbereitung seiner Teilnehmer:
Jürgen Wilhelm: Da kann man in drei Wochen schon ganz schön viel lernen. Ich sage: Das sind ja erwachsene Menschen – es sind junge Menschen, aber sie sind erwachsen. Wir brauchen ja nichts pädagogisch nachzuholen, die haben einen Reifungsprozess hinter sich. Es geht jetzt darum, die Spezifika ihnen zu vermitteln, und da kann man in relativ kurzer Zeit schon sehr viel erreichen. Außerdem begleiten wir sie natürlich während dieses Aufenthalts im Entwicklungsland. Wir haben also ein ganzes Netzwerk dort eingebaut, wir lassen die jungen Menschen nicht alleine.
Karkowsky: Wie geht es Ihnen, wenn Sie das hören? Sind drei Monate Vorbereitung für Freiwillige bei der GIZ etwas, wo Sie sagen: Das kann niemals hinhauen, da kommt nichts bei rum?
Niggemeier: Also, ich will die anderen nicht beurteilen und vergleichen, aber für uns wäre das unmöglich. In drei Monaten können wir das, was uns vorschwebt – ein ganz anderes Verhaltensmuster als oft so mitgebracht wird – nicht hinbekommen. Das geht nicht in dieser kurzen Zeit, das ist einfach unmöglich. Und man merkt dann später auch: Wenn da nicht intensiv vorbereitet würde oder worden ist, dann spüren wir plötzlich, wie die sogenannten – wenn ich das aufgreifen darf – reifen Leute und so plötzlich zurückfallen in Muster von kindlichem Verhalten, kindischem Verhalten, wenn die nicht intensiv genug vorbereitet sind.
Karkowsky: Haben Sie ein Beispiel?
Niggemeier: Ja, es kommt dann vor, dass sie sehr stark glauben, dass sie den anderen was beibringen müssten oder sie das Heft in die Hand nehmen müssten in den Heimen, in den Straßenkinderheimen, oder dass sie sich Geld besorgen, zum Beispiel aus Deutschland, und den Angestellten dann was zustecken. Also das sind Dinge, die zum Verhalten gehören, und das kann nicht in so kurzer Zeit ausgemerzt oder ausgebügelt werden.
Begleitung, was da angesprochen worden ist von Herrn Wilhelm, ist schon sehr wichtig, das wird hier dann auch deutlich, auch Begleitung im Lande selbst. Und diese Freiwilligen, die kommen alle in Familien. Diese Familien sind wirklich für dieses eine Jahr das Mittendrin für unsere Freiwilligen. In diesen Familien machen unsere Freiwilligen alles mit - im Unterschied zu Wohngemeinschaften von Deutschen oder im Unterschied, wenn die Freiwilligen in anderen Organisationen in der Arbeit selbst oder mit der Gruppe, mit der Gruppe der Verantwortlichen zusammenleben müssen oder sollen. Also diese Familien spüren, dass da so was wirklich passiert wie ein Austausch zwischen verschiedenen Kulturen und zwischen Menschen, die natürlich auch in ganz verschiedener Mentalität denken.
Karkowsky: Austausch ist ein gutes Stichwort: Unsere beiden bisherigen Gesprächspartner waren sich einig darin, dass ein Austausch nicht einseitig stattfinden dürfe, das heißt, nicht nur junge Deutsche nach Brasilien schicken, sondern bitte auch junge Brasilianer nach Deutschland holen. Unternimmt Avicres in dieser Hinsicht auch etwas?
Niggemeier: Für uns ist das wichtig. Augenblicklich bin ich gerade für drei Wochen mit drei Brasilianerinnen und Brasilianern auch hier. Also dieser Austausch ist wichtig, aber ich kann auch sagen: Das zwingt auch zu ganz intensiver Vorbereitung, weil es nicht passieren darf, dass mit der Mentalität – oh, wir reisen jetzt ins Paradies oder so – das Ganze missbraucht wird, und die kriegen dann hier einen solchen Schock, weil sie auch merken, dass das Paradies gar nicht existiert hier bei uns als Paradies.
Also das ist eine schwierige Sache, und wer ein bisschen bewusster ist und die Welt auch von drüben ja wahrgenommen hat schon, der strebt auch nicht so selbst danach, jetzt möglichst schnell immer nach Deutschland zu kommen. Aber krankhafte Deutschlandsehnsucht gibt es auch, da müssen wir auch gut gegen arbeiten. Aber Austausch ist wichtig.
Karkowsky: In Teil drei unserer Gesprächsreihe zu Freiwilligendiensten im Ausland hörten Sie heute den Gründer und Chef der Brasilieninitiative Avicres, Johannes Niggemeier. Herr Niggemeier, danke für das Gespräch!
Niggemeier: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.