Brückenschläge zwischen Epochen und Kulturen
Er ist einer der schillerndsten und scharfsinnigsten Intellektuellen: der Philosoph und Schriftsteller Peter Sloterdijk. In "Ausgewählte Übertreibungen" gewährt er Einblicke in seine Gedanken, die dem gängigen Diskurs meist zuwider laufen. So hält er etwa die Unter- und nicht die Überforderung der Menschen für problematisch.
Das Gespräch ist die Urform der Philosophie, der Ausbruch aus den monologischen Wahrheiten (der Götter und anderer angemaßter Gesetzgeber). Und damit auch die Öffnung gegenüber Impulsen, Anregungen, Vorstellungen und Möglichkeiten, die als ungehörig, unzugehörig, fremd oder gar feindlich draußen vorgehalten werden - wenn sie nicht gleich tabuisiert werden. Nicht zufällig wohl werden Kinder vor übertriebener Neu-Gier gewarnt.
Sloterdijk ist so ein kindliches Gemüt, zunächst unterschiedslos neugierig auf alles er spricht von einer "kindlichen Furcht vor Langeweile". Und ohne Scheu bekennt er im einleitenden Gespräch mit dem Herausgeber, die Triebfeder seiner Arbeit "würde weniger ein Motiv als eine innere Verfassung offen legen".
"Ich erlebe schon das Zwiegespräch als Polylog, das heißt als Gespräch mit vielen." So entstehen jene oft atemberaubenden Brückenschläge nicht nur zwischen scheinbar völlig unterschiedlichen Themenbereichen, sondern zwischen Epochen und Kulturen. Oft entdeckt Sloterdijk gemeinsame oder ähnliche Strukturen, und er beschränkt sich dabei grundsätzlich nie auf die approbierten Begriffe oder Methoden, ja nicht einmal die respektablen Themenbereiche; er wildert überall und ruft damit nicht selten akademisches Stirnrunzeln hervor.
Beliebtes Beispiel: Seine Zeit im Ashram des Bagwhan nennt er einen "Bruch mit der Hintergrundkultur" und fordert diesen gleichsam als methodologisches Prinzip und Erkenntnisvoraussetzung.
Schon das ist eine Ausweitung der akademischen Kampfzone. Denn Sloterdijk ist kein Problemlöser, er ist ein Problemfinder - und das am liebsten in den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des herrschenden Diskurses. So nennt er zum Beispiel nicht, wie die Kollegen und das Feuilleton, Überlastung und Überforderung das Problem der Menschen heute, sondern im Gegenteil, ihre Unterforderung.
Immer wieder greift er in die öffentlichen Diskussionen ein, aber meist mit einer Art kultureller Grundsatzanalyse. Das ist konsequent, wenn man glaubt, die Fehler lägen im System, in akzeptierten ideologischen Gemeinplätzen. Wertvorstellungen seien eben wandelbare Kulturprodukte. Wenn Menschen die Entfremdung wählen, "darf man sie nicht zur Befreiung zwingen", glaubt er beispielsweise.
Das würden Entwicklungspsychologen wohl anders sehen, zumal der Ausdruck "zwingen" nicht weit von seiner missverstandenen These der Züchtung liegt. Schließlich ist jede Erziehung oder Bildung ein Domestizieren und Ausrichten, also Zwang.
Eine Anthologie ist keine Monographie, naturgemäß fehlt der vorliegenden Auswahl ein verbindendes Thema. Es wäre am ehesten in einer - implizit anempfohlenen Denkweise zu orten, einer methodischen Einstellung, die durch sein "Arbeitsgebiet ... am Schnittpunkt von Kunst und Philosophie" gegeben sei.
Sloterdijks kritischer Grundimpuls jedenfalls ist die Abwehr jeglicher Fremdbestimmung des Denkens. Die soziale Welt ist ihm "eine vielfach gebrochene Landschaft von Obsessionen", die er aufbrechen oder zumindest transparent machen will. Das soll jene "Ausweitung des Sicht- und Operationsfeldes" ermöglichen, die aus dem Aufklärungsimpuls eine konkrete Optionsvielfalt für handlungsmündige "Lebensunternehmer" macht.
Besprochen von Eike Gebhardt
Sloterdijk ist so ein kindliches Gemüt, zunächst unterschiedslos neugierig auf alles er spricht von einer "kindlichen Furcht vor Langeweile". Und ohne Scheu bekennt er im einleitenden Gespräch mit dem Herausgeber, die Triebfeder seiner Arbeit "würde weniger ein Motiv als eine innere Verfassung offen legen".
"Ich erlebe schon das Zwiegespräch als Polylog, das heißt als Gespräch mit vielen." So entstehen jene oft atemberaubenden Brückenschläge nicht nur zwischen scheinbar völlig unterschiedlichen Themenbereichen, sondern zwischen Epochen und Kulturen. Oft entdeckt Sloterdijk gemeinsame oder ähnliche Strukturen, und er beschränkt sich dabei grundsätzlich nie auf die approbierten Begriffe oder Methoden, ja nicht einmal die respektablen Themenbereiche; er wildert überall und ruft damit nicht selten akademisches Stirnrunzeln hervor.
Beliebtes Beispiel: Seine Zeit im Ashram des Bagwhan nennt er einen "Bruch mit der Hintergrundkultur" und fordert diesen gleichsam als methodologisches Prinzip und Erkenntnisvoraussetzung.
Schon das ist eine Ausweitung der akademischen Kampfzone. Denn Sloterdijk ist kein Problemlöser, er ist ein Problemfinder - und das am liebsten in den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des herrschenden Diskurses. So nennt er zum Beispiel nicht, wie die Kollegen und das Feuilleton, Überlastung und Überforderung das Problem der Menschen heute, sondern im Gegenteil, ihre Unterforderung.
Immer wieder greift er in die öffentlichen Diskussionen ein, aber meist mit einer Art kultureller Grundsatzanalyse. Das ist konsequent, wenn man glaubt, die Fehler lägen im System, in akzeptierten ideologischen Gemeinplätzen. Wertvorstellungen seien eben wandelbare Kulturprodukte. Wenn Menschen die Entfremdung wählen, "darf man sie nicht zur Befreiung zwingen", glaubt er beispielsweise.
Das würden Entwicklungspsychologen wohl anders sehen, zumal der Ausdruck "zwingen" nicht weit von seiner missverstandenen These der Züchtung liegt. Schließlich ist jede Erziehung oder Bildung ein Domestizieren und Ausrichten, also Zwang.
Eine Anthologie ist keine Monographie, naturgemäß fehlt der vorliegenden Auswahl ein verbindendes Thema. Es wäre am ehesten in einer - implizit anempfohlenen Denkweise zu orten, einer methodischen Einstellung, die durch sein "Arbeitsgebiet ... am Schnittpunkt von Kunst und Philosophie" gegeben sei.
Sloterdijks kritischer Grundimpuls jedenfalls ist die Abwehr jeglicher Fremdbestimmung des Denkens. Die soziale Welt ist ihm "eine vielfach gebrochene Landschaft von Obsessionen", die er aufbrechen oder zumindest transparent machen will. Das soll jene "Ausweitung des Sicht- und Operationsfeldes" ermöglichen, die aus dem Aufklärungsimpuls eine konkrete Optionsvielfalt für handlungsmündige "Lebensunternehmer" macht.
Besprochen von Eike Gebhardt
Peter Sloterdijk: Ausgewählte Übertreibungen. Gespräche und Interviews 1993-2012
Suhrkamp, Berlin, 2013
476 Seiten, 24,95 Euro
Suhrkamp, Berlin, 2013
476 Seiten, 24,95 Euro
Links auf dradio.de:
Zwischen Erkenntnisernst und genussvoller Albernheit - Buch der Woche - Peter Sloterdijk: "Zeilen und Tage. Notizen 2008-2011", Suhrkamp Berlin 2012, 639 Seiten
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