Brüder mit Gefühlswallungen
Helmut Krausser folgt in seinem historischen Roman zwei Brüdern durch die Irrungen und Wirrungen der Weltkriegsjahre. Stationen des Geschehens sind Pariser Exil, spanischer Bürgerkrieg und Berliner Prostituiertenmilieu. Zunächst einmal ist man als Leser überaus beeindruckt von der Weite dieses literarischen Unternehmens.
Der 1964 geborene und nicht eben für mangelndes Selbstbewusstsein oder auch nur intellektuelle Skrupulosität bekannte Schriftsteller Helmut Krausser holt mit seinem Buch "Nicht ganz schlechte Menschen" aus zu einem großen historischen Roman. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs lässt er seine Protagonisten, das Zwillingspaar Max und Karl Loewe, auf die Welt kommen. Gezeugt wird es am 1. August 1914, dem Tag der deutschen Mobilmachung, und zwar wie der furiose erste Satz des Buches eigens vermerkt, "motiviert vor allem durch patriotisch-erhabene Gefühlswallungen – auch weniger hochgestochene Beweggründe spielten eine gewisse Rolle".
Ein Brüderpaar, hin und her geworfen zwischen erhabenen Gefühlen und niederen Beweggründen, damit ist das Grundmotiv angeschlagen. Helmut Krausser folgt den beiden Brüdern durch die politischen Wirren der Zeit und die Irrungen des damaligen Zeitgeistes. Der eine Bruder kokettiert eine Zeitlang mit dem aufkommenden Nationalsozialismus, der andere mit dem Kommunismus. Im Jahr 1935 gehen sie dann aber doch zusammen ins Pariser Exil, schlagen sich in der Szene der Exilanten durch – wobei die berühmten Schriftsteller Alfred Döblin und Joseph Roth Cameo-Auftritte haben – und machen Ausflüge aufs französische Land sowie in den spanischen Bürgerkrieg.
Für das "weniger Hochgestochene" sorgen die Verbindung mit einer Berliner Prostituierten, die das Brüderpaar im Schlepptau hat, sowie amouröse Eskapaden und manche eher operettenhaften Abenteuer in der Pariser Schwulenszene. Und kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs lässt Krausser schließlich seine beiden Protagonisten sterben, genau so wie vieles in ihrem Leben sein musste, sinnlos und zufällig: beim Einsturz der Zuschauertribüne bei einem Pferderennen.
So ambitioniert dieser Handlungsrahmen angelegt hat – leider scheint sein Autor Helmut Krausser bald die Lust daran verloren zu haben, ihn sprachlich und konzeptionell so durchzuarbeiten, dass daraus ein überzeugender historischer Roman entstehen könnte. Eher in Art einer Chronik werden die Stationen des Geschehens abgehakt. Trotz eines Umfangs von fast 600 Seiten wirkt das Buch atemlos. Außerdem fallen immer wieder unmotivierte sprachliche Flapsigkeiten unangenehm auf.
Dabei enthält das Buch großartige Episoden oder vielleicht eher: beeindruckende Möglichkeiten für großartige Episoden. Die Auseinandersetzung innerhalb der Linken im spanischen Bürgerkrieg lässt Krausser in der Erschießung bürgerlicher Gefangener durch anarchistische Kämpfer auf einem rupublikanischen Gefängnisschiff kulminieren. Und wie schwer es war, sich im Pariser Exil eine Existenz aufzubauen, das vermag Krausser sehr deutlich zu machen. "Nicht ganz schlechte Menschen" ist ganz gewiss kein rundum gelungener Roman – aber eine beeindruckende Materialsammlung, das ist das Buch auf jeden Fall. Man wünschte sich, der Autor würde sich gleich noch einmal hinsetzen und den Roman ein zweites Mal aufschreiben – und zwar jetzt richtig.
Besprochen von Dirk Knipphals
Helmut Krausser: "Nicht ganz schlechte Menschen"
Dumont Verlag, Köln 2012
571 Seiten, 22,90 Euro
Mehr zu Helmut Krausser unter dradio:
Kritik 2011-03-10 - Dem Falschen auf der Spur
Helmut Krausser: "Die letzten schönen Tage", DuMont Verlag, Köln 2011, 223 Seiten
Ein Brüderpaar, hin und her geworfen zwischen erhabenen Gefühlen und niederen Beweggründen, damit ist das Grundmotiv angeschlagen. Helmut Krausser folgt den beiden Brüdern durch die politischen Wirren der Zeit und die Irrungen des damaligen Zeitgeistes. Der eine Bruder kokettiert eine Zeitlang mit dem aufkommenden Nationalsozialismus, der andere mit dem Kommunismus. Im Jahr 1935 gehen sie dann aber doch zusammen ins Pariser Exil, schlagen sich in der Szene der Exilanten durch – wobei die berühmten Schriftsteller Alfred Döblin und Joseph Roth Cameo-Auftritte haben – und machen Ausflüge aufs französische Land sowie in den spanischen Bürgerkrieg.
Für das "weniger Hochgestochene" sorgen die Verbindung mit einer Berliner Prostituierten, die das Brüderpaar im Schlepptau hat, sowie amouröse Eskapaden und manche eher operettenhaften Abenteuer in der Pariser Schwulenszene. Und kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs lässt Krausser schließlich seine beiden Protagonisten sterben, genau so wie vieles in ihrem Leben sein musste, sinnlos und zufällig: beim Einsturz der Zuschauertribüne bei einem Pferderennen.
So ambitioniert dieser Handlungsrahmen angelegt hat – leider scheint sein Autor Helmut Krausser bald die Lust daran verloren zu haben, ihn sprachlich und konzeptionell so durchzuarbeiten, dass daraus ein überzeugender historischer Roman entstehen könnte. Eher in Art einer Chronik werden die Stationen des Geschehens abgehakt. Trotz eines Umfangs von fast 600 Seiten wirkt das Buch atemlos. Außerdem fallen immer wieder unmotivierte sprachliche Flapsigkeiten unangenehm auf.
Dabei enthält das Buch großartige Episoden oder vielleicht eher: beeindruckende Möglichkeiten für großartige Episoden. Die Auseinandersetzung innerhalb der Linken im spanischen Bürgerkrieg lässt Krausser in der Erschießung bürgerlicher Gefangener durch anarchistische Kämpfer auf einem rupublikanischen Gefängnisschiff kulminieren. Und wie schwer es war, sich im Pariser Exil eine Existenz aufzubauen, das vermag Krausser sehr deutlich zu machen. "Nicht ganz schlechte Menschen" ist ganz gewiss kein rundum gelungener Roman – aber eine beeindruckende Materialsammlung, das ist das Buch auf jeden Fall. Man wünschte sich, der Autor würde sich gleich noch einmal hinsetzen und den Roman ein zweites Mal aufschreiben – und zwar jetzt richtig.
Besprochen von Dirk Knipphals
Helmut Krausser: "Nicht ganz schlechte Menschen"
Dumont Verlag, Köln 2012
571 Seiten, 22,90 Euro
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