Die "hässliche" Krankheit
Über Brustkrebs zu sprechen, ist in ägyptischen Familien oft ein Tabu. Stattdessen ist von der "hässlichen" Krankheit die Rede. Mit "Pink Parties" und "Zumbathons" wollen Ärzte und ehemalige Patientinnen das ändern.
Sprung nach links, Sprung nach rechts. Arme hoch, Arme runter - begeistert machen die Mädchen und Frauen die Übungen nach, die zwei Zumba-Trainerinnen auf der Bühne vorturnen. Fitness-Workout im Takt der Musik, nur für Frauen, im großen Ballsaal eines Kairoer Hotels.
Gleich tausend Ägypterinnen auf einmal tanzen und trainieren. Das motiviert. Die Stimmung ist hervorragend.
"Super. Ich liebe Zumba! Ich liebe Tanzen!"
... schwärmt diese verschwitzte Frau auf dem Weg zu einem Stand mit Erfrischungsgetränken. Dort stehen auch Naguan und Nour, zwei Schwestern, Anfang und Mitte 20. Wie fast alle Teilnehmerinnen heute tragen sie weiße T-Shirts und rosa Leggings. Auch Naguan und Nour haben mittrainiert. Doch statt Schweiß wischen sie sich gerade Tränen aus dem Gesicht. Mitten im Trubel sind traurige Erinnerungen hochgekommen.
Naguan: "Unsere Mutter ist an Krebs gestorben. Wir sind hier, weil wir irgendetwas tun möchten, um den Kampf gegen den Krebs zu unterstützen."
Naguan stockt. Ihre Schwester Nour streicht ihr tröstend über den Rücken.
Nour: "Der Krebs wurde entdeckt, als er schon in fortgeschrittenem Stadium war. Es war zu spät. Die Ärzte konnten unsere Mutter nicht mehr retten. Die Leute sollen wissen, dass sie zur Früherkennung gehen müssen."
Kairos fröhliche Zumba-Party hat einen ersten Hintergrund. Eingeladen hat die ägyptische Brustkrebs-Stiftung. Ghada Mustafa ist die Direktorin der unabhängigen Organisation.
"Das ist eine unserer sogenannten Pink Partys. Pink ist überall auf der Welt die Farbe der Aufklärungskampagnen gegen Brustkrebs. Wir tragen auch immer rosa Schleifen. Der Zumbathon heute, ein sechsstündiger Zumba-Marathon, ist eine besondere Aktion. Wir wollen junge Mädchen und Frauen über Brustkrebs aufklären, aber auf lockere, unterhaltsame Weise. Die sollen ja gerne zu uns kommen. Sie informieren sich über Krebs-Vorsorge, haben Spaß und erklären sich gleichzeitig mit den erkrankten Frauen solidarisch."
Eine dieser erkrankten Frauen kommt zwischen zwei Trainingseinheiten auf die Bühne: Ghada Salah. Fröhlich winkt die 49-Jährige dem Publikum und sorgt erst mal für Lacher. Ghada hat sich passend zur Pink Party einen knallrosa-farbene Perücke angezogen. Auf offener Straße würde sie sich das nicht trauen, erzählt die Ägypterin später.
Ghada Salah: "Nein, ganz sicher nicht. (lacht) Aber als ich meine Chemo hatte und auf einmal alle Haare ausgefallen sind, da habe ich angefangen Tücher und auch Perücken zu tragen. So kam ich dazu."
Brustabtasten halten ungebildete Frauen für "sündig"
Vor zweieinhalb Jahren wurde bei Ghada Salah Brustkrebs festgestellt. Dass sie so offen über ihre Krankheit redet, ist in Ägypten nicht üblich.
Ghada Salah: "Das ist ein Tabu. Die Leute wollen nicht mal den Namen aussprechen."
"Haga uechscha", das "Hässliche" , so umbeschreiben die Ägypterinnen die Krankheit auf Arabisch. Der Begriff für "Brustkrebs" geht kaum jemandem über die Lippen. Über ihren Busen und eine mögliche Krankheit darin zu reden, ist den Frauen hierzulande hochnotpeinlich. Die Brust regelmäßig selbst abzutasten, halten Ägypterinnen aus den ärmeren sozialen Schichten sogar für "haram", so der islamische Begriff für "sündiges" Verhalten. Ghada Salah stammt zwar aus einer gut situierten, gebildeten Familie. Doch das Risiko an "Brustkrebs" erkranken zu können, hat auch sie ignoriert.
Ghada Salah: "Ich habe nicht das gemacht, was man eigentlich tun sollte. Ich war über 40. Da hätte ich regelmäßig zur Mammographie gehen sollen, aber das hab ich nicht getan. Der Brustkrebs wurde dann schon in fortgeschrittenem Stadium gefunden. Gott sei Dank hatte er noch nicht gestreut. Ich musste operiert werden, hatte danach eine Chemotherapie und Bestrahlung. Ich möchte andere Frauen vor diesen Dingen bewahren, deshalb habe ich angefangen, mich für die ägyptische Brustkrebsstiftung zu engagieren. Ich erzähle den Frauen einfach meine Geschichte."
Ähnlich wie in Europa ist inzwischen jede achte Ägypterin von Brustkrebs betroffen. Im vergangenen Jahr registrierten die ägyptischen Gesundheitsbehörden etwa 43.000 Neuerkrankungen. Doch zu den Todesfällen durch Brustkrebs existiert keine offizielle Statistik. Die Dunkelziffer ist zu hoch. Fest steht aber: Es sind die zu spät entdeckten Tumore und die damit verbundenenTabus, die vielen ägyptischen Frauen das Leben kosten.
Frauen-Sprechstunde im Kairoer Stadtviertel Agouza. In einer mit Müll verschmutzten, engen Gasse befindet sich gleich hinter einer Moschee ein improvisiertes medizinisches Zentrum: Ein Wartesaal, zwei Behandlungszimmer. Die Kairoer Fachärztin Dr. Hanan Gewefel untersucht hier einmal in der Woche ehrenamtlich Patientinnen mit Verdacht auf Brustkrebs. Eine ältere Frau in traditionellem langen Gewand steht unentschlossen im Behandlungsraum. Sie geniert sich.
Dialog Dr. Hanan und alte Frau:
"Bitte die Brust freimachen."
"Das geht nicht. Dann muss ich mich ja ganz ausziehen."
"Wir können dich zudecken."
"Naja, ihr seid ja wie meine Töchter..."
"Lass Dir Zeit..."
Mit vereinten Kräften helfen Ärztin und Helferin der 70-Jährigen auf den Behandlungstisch. Ein Röntgenbild von ihrer Brust hat sie schon mitgebracht. Dr. Hanan Gewefel reicht nur ein kurzer Blick darauf: In der rechten Brust der Frau befindet sich ein tennisballgroßer Tumor. Auch von außen ist er nicht zu übersehen. Die Ärztin tastet die kranke Brust vorsichtig ab.
"Und du bist gar nicht zum Arzt gegangen, Mama? Warum? Hattest du Angst?"
"Es ist alles in Gottes Hand. Meine Tage sind ja ohnehin gezählt."
"Ja, es ist alles in Gottes Hand. Aber wenn der Körper uns "Au" sagt, müssen wir zum Arzt."
"Das hat eine Weile wehgetan, aber danach nicht mehr."
"Schau mal, wir müssen eine Gewebeprobe nehmen, ein kleines Stück von der Brust, damit wir das untersuchen können."
"Ist es etwas Hässliches?"
"Das können wir nicht sagen, bis wir das Ergebnis der Analyse haben. Aber – ehrlich gesagt- ich mache mir Sorgen."
Kein Arztbesuch wegen Armut
Dr. Hanan klärt die Patientin behutsam über die nächsten Schritte auf. Die Frau macht sich in erster Linie Sorgen, wie sie die langwierige Behandlung bezahlen soll. Auch Armut ist in Ägypten einer der Gründe, weshalb ein Besuch beim Frauenarzt so lange wie möglich hinausgezögert wird.
Vor elf Monaten wurde deshalb "Baheya" eröffnet, ein Privat-Krankenhaus im Kairoer Stadtbezirk Gizeh, ganz in der Nähe der Pyramiden. Schon auf der Fassade des sechstöckigen modernen Gebäudes prangt eine riesige rosa Schleife. Das Baheya-Krankenhaus widmet sich ausschließlich der Früherkennung und Behandlung von Brustkrebspatientinnen. Dr. Hisham Abu Elnaga ist der Direktor.
Dr. Hesham Abu Elnaga: "Diese Einrichtung war unser großer Traum. Jetzt haben wir konzentriert an einem Ort die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und die Geräte zur Früherkennung von Brustkrebs, Mammographie-Screening und Ultraschall. Mit den Mitteln, die uns hier jetzt zur Verfügung stehen, können wir hier bis zu hundert Frauen pro Tag untersuchen."
Und das kostenlos! Im Baheya-Krankenhaus müssen die Patientinnen nichts bezahlen.
Hazem Elleithy: "Es finanziert sich zu 100 Prozent aus Spenden."
... erläutert Hazem Elleithy vom Krankenhaus-Vorstand. Grundstück und Gebäude wurden von der Besitzerfamilie eines großen ägyptischen Baukonzerns gestiftet. Eine Verwandte namens "Baheya" war an Brustkrebs gestorben. Die laufenden Kosten des Krankenhauses tragen nun mehrheitlich Sponsoren.
Hazem Elleithy: "Ein Molkereikonzern und eine ägyptische Großbank zum Beispiel. Aber wir haben auch ein Sponsorenprogramm für Privatleute, wenn sie eine bestimmte Patientin unterstützen wollen. Im Fastenmonat Ramadan wird viel gespendet. Wir können den Patientinnen auf diese Weise jedwede Behandlung, die Brustkrebs betrifft, kostenlos anbieten. Wir fragen auch nicht nach, egal, ob jemand mit einem Mercedes vorfährt oder aus einem Armenviertel stammt. Einige Krankenhäuser tun das. Aber manchen Kranken geht das so sehr an ihre Würde, dass sie sich diesen Fragen nie aussetzen würden und deshalb erst gar nicht zur Behandlung kommen."
Ins Baheya-Krankenhaus kamen seit der Eröffnung vor elf Monaten über 14.000 Patientinnen. Das sind durchschnittlich 42 am Tag. Es wurden 850 Brust-OPs durchgeführt, genauso viele Chemo-Therapien. Und einige Patientinnen, die es sich leisten konnten, zahlten ihre Behandlung sogar freiwillig.
Personal ist psychologisch geschult
Das Krebszentrum in Kairo ist mit modernster Untersuchungstechnik eingerichtet. In ägyptischen Krankenhäusern keine Selbstverständlichkeit. Rund 300 Ärzte, Krankenschwestern und technisches Fachpersonal arbeiten im "Baheya". Dr. Ginan leitet das Labor.
Dr. Gihan: "Wir prüfen hier zum Beispiel körpereigene Substanzen der Patientinnen auf sogenannte Tumormarker. Sie deuten auf Krebs hin. Wir haben hier binnen einer Stunde die Ergebnisse. Die Patientinnen gehen in der Zwischenzeit zu den anderen Untersuchungen und danach haben wir schon die Laborwerte parat."
Auch an anderer Stelle versucht das Spezial-Krankenhaus die Abläufe für die Patientinnen zu optimieren. Frauen, die nur zur Brustkrebs-Vorsorge kommen, werden beispielsweise auf einer anderen Etage empfangen als Krebskranke. Das gesamte Personal ist psychologisch geschult.
Schwester Samah: "So, bitte schön. Hier bitte die Kleidung ablegen und diesen Kittel anziehen."
Schwester Samah bereitet eine Patientin auf ihre erste Mammographie vor:
"Gut, dann treten Sie bitte vor, damit wir die Aufnahmen machen können. Bleiben Sie ganz ruhig, es gibt nichts, was weh tut. Machen Sie sich keine Sorgen. Arm bitte nach oben halten..."
Draußen auf dem Flur, der mit vielen rosa Schleifen dekoriert ist, wartet eine ältere Dame. Sie kommt zur Nachbehandlung.
Patientin: "Ich hatte damals wahnsinnige Angst, als mir der Arzt sagte, dass ich "es" habe. Aber mein Sohn hat mich dann hierher gebracht. Ich habe alle Untersuchungen hier machen lassen, die Mammographie, Ultraschall, Blutuntersuchungen. Das Krankenhaus ist sehr gut. Ich bin auch hier operiert worden. Jetzt geht es mir wieder gut. Ich danke Gott."
Dr. Hisham: "Wenn man Brustkrebs früh genug erkennt, sind die Heilungschancen sehr gut."
...sagt Krankenhaus-Direktor Dr. Hisham Abu Elnaga. Doch gerade in Sachen Brustkrebs gebe es in Ägypten und anderen arabischen Ländern fatale Vorurteile:
Dr. Hisham: "Es tut mir leid, dass sagen zu müssen, aber das ist definitiv ein kulturelles Problem."
Das ist nichts Religiöses. Man kann ja glauben, das ist Gottes Wille. Bitte. Aber wir müssen uns solchen Prüfungen stellen. Wir müssen kämpfen. So will es der Islam, so ist es im Christen- und im Judentum. Nein, das hat eine kulturelle Dimension: Das sehen Sie auch daran, wie die Menschen hier über eine maligne Zelle sprechen. Was ist das? Was ist Krebs? Da reden die Leute tatsächlich davon, dass sie es mit dem Teufel zu tun haben. Nein! Das ist nur eine Zellstörung. Und wir wissen, wie wir dem begegnen, wie wir es behandeln und wie wir vorbeugen.
Singen mit pinkfarbener Perücke
Den verbesserten medizinischen Möglichkeiten wirke aber absurder Weise der steigende Lebensstandard in Ägypten entgegen, so der Krebsspezialist.
Dr. Hisham: "Je zivilisierter eine Gesellschaft ist, je mehr wir zu einer Industrienation werden, umso höher sind die Krebsraten. Hier in Kairo haben immer mehr Leute den Lebensstil eines Industriestaates: Weniger Bewegung, schlechte Ernährungsgewohnheiten, sie rauchen, leiden unter Umweltverschmutzung, haben Stress."
Auch hier tut also Aufklärung Not. Positive Vorbilder helfen dabei am besten, meint Dr. Ahmed Hassan, Chef-Onkologe im Baheya-Brustkrebs-Krankenhaus.
Dr. Ahmed Hassan Abdelaziz: "Die Rolle von Prominenten ist sehr wichtig. Wir haben diese Erfahrungen mit Mona Zaki gemacht. Sie ist eine sehr berühmte Schauspielerin in Ägypten und hat uns bei unserer Kampagne zur Krebsvorsorge unterstützt. Das hatte einen Riesen-Einfluss auf die Ägypterinnen. Jetzt kommen immer mehr Frauen, die sich untersuchen lassen wollen. Die Dinge wenden sich zum Glück zum Besseren."
Zurück zur Pink Party der Ägyptischen Brustkrebsstiftung. Das Zumba-Training ist vorbei. Doch die mehr als tausend Mädchen und Frauen schauen immer noch völlig gebannt Richtung Bühne. Ghada Salah steht mit ihrer pinkfarbenen Perücke noch einmal vor dem Publikum. Aus den Lautsprechern schallt ein Lied.
"Du bist immer noch schön. Du lebst. Du bist lebendig", heißt es im Refrain. Und auch wenn Ghada Salah nicht selbst singt, ist es doch ihr Lied.
"Ich hatte die verrückte Idee einen Song zu machen. Ich habe einen Autor kontaktiert, ihm von meinen Erfahrungen erzählt und er hat diesen Text geschrieben. Dann wurden Sängerinnen gecastet. Und das Lied ist wirklich wunderbar geworden. Es sagt, dass wir auch nach dem Brustkrebs immer noch Frau sind. Diese Botschaft gibt vielen Hoffnung."