Brüssel und das andere Molenbeek
Der große Anschlag in Belgien ist noch keine fünf Monate her. Hier wie auch bei den Attentaten von Paris im November führte die Spur nach Molenbeek, einen Stadtteil von Brüssel. Aber Molenbeek ist nicht das "Terroristen-Nest", als das es im Ausland jetzt erscheint.
Der getötete mutmaßliche Drahtzieher der Pariser Attentate, Abdelhamid Abaaoud, war Belgier mit marokkanischen Wurzeln und lebte früher in Molenbeek, wo auch der vermutlich letzte noch lebende Attentäter Salah Abdeslam gefasst wurde. Die Spur Molenbeek tauchte auch auf bei dem 25-jährigen Marokkaner, der vor einem Jahr im Hochgeschwindigkeitszug Amsterdam-Paris um sich schoss.
Traurige Berühmtheit
Molenbeek mit seinen rund 100.000 Einwohnern, fast die Hälfte von ihnen mit Migrationshintergrund, hat in letzter Zeit traurige Berühmtheit weit über die Grenzen Belgiens hinaus erlangt. Hier nur einige Schlagzeilen aus den Zeitungsausgaben der letzten Monate: "Immer wieder Molenbeek – Eine Brutstätte für Terroristen" oder "Terrornest Molenbeek – das vielleicht gefährlichste Viertel der Welt" oder "die als Islamisten-Hochburg bekannte Brüssler Stadtgemeinde Molenbeek".
Aber Molenbeek ist auch: Ein Traditionsfußball-Verein, in den ganz Brüssel den hoffnungsvollen Nachwuchs schickt. "Racing White Daring Molenbeek" heißt der Klub mit Kult-Status in Belgien. Ein schwarzer, katholischer Pfarrer aus Kamerun, der gelegentlich mitten im marokkanischen Viertel mit jungen Muslimen kickt.
Es gibt auch alternative Stadtführungen, in denen Touristen durch Molenbeek geführt werden. Malte Woydt, ursprünglich Hamburger, ist ein wandelndes Buch, was die Geschichte Belgiens, Brüssels - und eben auch dieses Stadtviertels angeht.
Alte Fabrikgebäude mit neuer Nutzung
In Molenbeek gibt es Spuren der großen Geschichte als Industrie-Standort "Klein-Manchester". Lebensmittelindustrie, Verarbeitende Industrie, Zulieferindustrie. Gute Schienenanbindung und der nahe Kanal zum Kohlerevier um Charleroi, südlich von Brüssel, machten es möglich. Die Backstein-Fabrikgebäude haben in den letzten Jahren neue Nutzung gefunden: Das Street-Art-Museum MIMA, direkt am Kanal, das vor wenigen Monaten eröffnet wurde.
Gemeinschaftlicher Gemüse-Anbau im Hinterhof, trotz verseuchter Böden. Null-Energie-Häuser für wenig betuchte Großfamilien. Man darf sich also Molenbeek nicht als ein Viertel vorstellen, in dem man nicht einmal Einkaufen gehen kann, ohne vom kalten Hauch des Dschihad erfasst zu werden.
Unsere Brüsseler Korrespondentin Annette Riedel beweist das in ihrer heutigen Weltzeit.