Buch: "Der Messias kommt nicht"

Abschied vom Erlöser

10:45 Minuten
"David's Gebet", Illustration von 1886.
Er soll die Zeit König Davids wiederbringen (hier eine Illustration von 1886), so eine Variante des Messias-Glaubens im Judentum - heute sei es Zeit, sich davon zu verabschieden, sagt Walter Homolka. © Getty Images / Digital Vision
Walter Homolka im Gespräch mit Sandra Stalinski |
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Die Hoffnung auf einen Messias hat das Judentum jahrhundertelang geprägt. Er soll kommen, um das Volk Israel aus Leid und Bedrängnis zu lösen. Der Rabbiner Walter Homolka erteilt dieser Messias-Hoffnung in seinem neuen Buch allerdings eine Absage.
Sandra Stalinski: Ihr Buch trägt den durchaus provokanten Titel „Der Messias kommt nicht“. Wie reagieren denn gläubige Juden in Ihrem Umfeld, Gemeindemitglieder vielleicht, wenn Sie ihnen das sagen?
Homolka: Gläubige Juden nehmen das mit Fassung. Gläubige Christen sind allerdings durchaus irritiert, vor allem wenn das Buch dann um die Osterzeit erscheint.
Stalinski: Welche Reaktionen haben Sie da geerntet?
Homolka: Faszinierende Reaktionen, aber auch der eine oder andere Bischof, der schreibt: ‚Jetzt sind Sie aber wieder auf Distanz gegangen‘. Was schon allein deswegen eigentlich nicht stimmt, weil das Buch geht um den jüdischen Messias und nicht um die christliche Messias-Vorstellung. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, hervorzuheben. Ob sich Jesus dann da irgendwo einordnen lässt, das bleibt dem Leser und der Leserin überlassen. Aber mir war es wichtig, der Frage nachzuspüren: Hat so ein Superheld heute in der jüdischen Theologie eigentlich noch eine Funktion oder nicht?

„Wir sollten uns lieber auf uns selbst verlassen“

Stalinski: Bleiben wir beim jüdischen Messias oder bei der jüdischen Vorstellung davon. Ist denn diese Vorstellung tatsächlich gar nicht mehr präsent im zeitgenössischen Judentum, wenn Sie sagen, die gläubigen Juden tragen das mit Fassung?
Homolka: Nun muss man natürlich sagen, diese Messias-Idee ist allein schon durch die christlich geprägte Mehrheitsgesellschaft ein gewisses Skandalon. Man muss sich immer mit der Frage auseinandersetzen, war denn dieser Jesus der Messias oder nicht. Glauben wir überhaupt noch an einen Messias, ja oder nein? Und es gibt durchaus diese Vorstellung, dass da einer kommt, der es richten wird. Aber ich muss doch sagen, über die vergangenen Jahrhunderte, wenn man das mal so ein bisschen genauer aufdröselt, stellt man fest, das ist ein bisschen wie ein Blinddarm. Der ist da, hin und wieder schmerzt er, vielleicht muss er dann auch raus, aber erfüllt der eine zentrale Funktion in der jüdischen Theologie?
Ich würde Nein sagen, und zwar aus einem einfachen Grund: Jedes Mal, wenn die messianische Hoffnung hochkocht, weil etwa die Verfolgung stärker wird oder man sich wirklich nach jemandem sehnt, der es besser macht, dann ist das eine Krise im Judentum gewesen. Eigentlich hat das nie funktioniert mit diesem Superhelden. Es wurde sicher nicht besser, eher noch schlimmer, deswegen glaube ich, sollten wir uns lieber auf uns selbst verlassen.

Das messianische Zeitalter gemeinsam erarbeiten

Stalinski: Aber schaffen Sie damit nicht einen Teil des Kernbestands des Judentums ab?
Homolka: Das ist eben die Frage, gehört das zum Kern jüdischer Theologie? Natürlich kann man sagen, in den Glaubenssätzen des Maimonides ist so eine Messias-Erwartung drin, auch im 18-Bitten-Gebet. Aber wenn Sie heute jemanden fragen, ob er oder sie auf den Messias wartet, dann werden Sie feststellen, da kommt nicht viel. Auch bei theologischen Grundwerken, die ich mir dann angesehen habe. Zumindest kann man sagen, nach der Aufklärung verblasst diese Erwartung ganz enorm, und es kollektiviert sich. Man spricht dann davon, dass das messianische Zeitalter herbeikommen wird. Aber wann kommt das?
Da gibt es schon Talmud-Texte, die sagen, wenn alle den Schabbat halten, dann ist der Messias da. Das deutet aber eigentlich schon darauf hin, dass da eine aktive Beteiligung der Einzelnen erforderlich ist. Das heißt, wenn alle die Gebote halten, dann kommt der Messias, dann ist die messianische Zeit da. Ja, wenn sich alle wohl verhalten, dann ist sie ja auch da.
Der Rabbiner Walter Homolka, im Sakko und mit runder Brille, lehnt lächelnd an einer Wand.
Der Rabbiner Walter Homolka sagt: Der jüdische Messias-Glauben hat ausgedient.© Tobias Barniske
Insofern merkt man dann, das geht weg von einer Vorstellung, dass da ein hehrer Ritter, ein Erlöser auf dem Schimmel kommt, sondern es geht in die Richtung: Wir alle können das, weil wir den freien Willen haben, uns für das Gute zu entscheiden – dann gibt es diese hehre Vorstellung, dass wir das messianische Zeitalter selbst erarbeiten müssen. Das heißt, wir alle sind Superheroes.

Zwischen Restauration und Utopie

Stalinski: Aber ganz ursprünglich war das ja mal eine ganz andere Vorstellung. Können Sie beschreiben, wo das ursprünglich herkommt und wie diese Vorstellung aussah?
Homolka: Diese Hoffnung auf einen Retter geht ja eigentlich von der Königsidee aus, von der Eigenstaatlichkeit Israels. In der hebräischen Bibel finden wir das, der König David ist auch so ein idealer Herrscher. Und als dann die Eigenständigkeit Israels verloren geht, zum Beispiel durch das babylonische Exil, da setzt dann eine Restaurationshoffnung ein, dass das wieder errichtet wird, was verloren ist. Das würde ich bezeichnen als restaurativen Messianismus: Die Erwartung, dass etwas, was in der Vorzeit ideal war, wiederkommt.
Demgegenüber steht der heute eigentlich sehr viel dynamischere Begriff vom utopischen Messianismus: Dass wir in der Zukunft einen idealen Zeitpunkt erreichen – das eschatologische Zeitalter. Dazu gibt es auch einige Hinweise: Wann kommt dieses messianische Zeitalter? Wenn sich alles verändert hat, wenn es nicht mehr so ist, wie es heute ist.
Da, stelle ich fest, nimmt ein anderer Begriff diesem Messias den Glanz, nämlich der Tikkun-Olam-Begriff. Was heißt das? Die Heilung der Welt, das Bessermachen der Welt, die Bewahrung der Schöpfung – und das ist nun garantiert etwas, wozu jeder und jede aktiv aufgefordert wird. Und so, würde ich sagen, bis auf wenige eher symbolische Momente glaubt das Judentum gar nicht an einen Messias, hat da schlechte Erfahrungen gemacht und hofft deswegen, dass wir alle es schaffen, wenn wir uns gemeinsam darum bemühen, die Welt zu verbessern.

„Jeder Messias der Gegenwart ist ein falscher Messias“

Stalinski: Das heißt, es ist jetzt nicht mehr ein Glaube an einen personalen Messias, aber schon noch so etwas wie ein Glaube an eine messianische Zeit?
Homolka: Das kann man sagen. Jeschajahu Leibowitz hat das sehr schön formuliert, wenn er sagt: Jeder Messias, der in der Gegenwart kommt, ist ein falscher Messias. Das heißt, wir halten an dieser idealisierten Hoffnung irgendwie fest, aber jeder, der dann sagt, ich bin es, den muss man sehr kritisch unter die Lupe nehmen, weil das wahrscheinlich ein falscher Messias ist. Damit ist ja diese Hoffnung auf das Bessere nicht verloren gegangen. Aber ich glaube, Sie haben Recht, die Hoffnung auf eine Person, die es richten wird, die ist weitgehend verloren gegangen.

Zionismus ist säkularer Messianismus

Stalinski: Und diese messianische Zeit, wann beginnt die dann?
Homolka: Ja, das haben sich viele gefragt, da gibt es übrigens auch einen säkularen Ausdruck davon, nämlich die zionistische Idee. Wenn ich Hoffnung darauf habe, dass es besser wird, weil ich den jüdischen Staat wiedererrichte: Da mischt sich sozusagen utopischer Messianismus und restaurativer, weil man ja wieder zurückgeht auf diese frühere Staatlichkeit.
Dann sagt man: Wenn es diesen jüdischen Staat wieder gibt, diese Aufbruchsstimmung nach der Staatsgründung, das war so eine Hoffnung, dass damit das messianische Zeitalter schon angebrochen ist. Und dann werden auch alle zurückkehren aus der Diaspora nach Israel. Aber Sie sehen, auch Jahrzehnte nach der Staatsgründung gibt es nach wie vor zwei Pole jüdischen Lebens, nämlich in Israel und in der Diaspora.
Und ich denke mal, diese Hoffnung wird uns ewig begleiten, weil es nämlich das Zutrauen ist, dass der Mensch mehr kann, als er oft an den Tag legt, und auch eine Herausforderung, dass er sich ständig bemüht, besser zu werden und vor allem in der Welt so zu wirken, dass sie besser wird, dass sie heil wird.

Das Judentum zielt auf Erlösung im Diesseits

Stalinski: Die Welt besser machen schon hier auf Erden, das ist gar nicht so viel anders als im Christentum oder?
Homolka: Der wesentliche Unterschied ist, dass das Christentum vielleicht eher aufs Jenseits zielt und das Judentum aufs Diesseits. Da geht es darum, wie es im Hier und Jetzt aussieht. Was da später mal kommt, das ist sehr dunkel, darauf wollen wir uns nicht verlassen. Das heißt, Erlösung im Hier und Jetzt, das ist das, was das Judentum interessiert – und keine Erwartungen, die man irgendwo nach hinten verschieben kann. Gemeinsam ist aber doch, glaube ich, allen gläubigen Menschen – und vielleicht auch den Agnostikern –, dass es Möglichkeiten gibt, sich durch so eine Vorstellung zu motivieren, zum Superhelden zu werden.
Stalinski: Und was macht Sie so sicher, dass der Messias nicht doch noch kommt?
Homolka: Ja, warten wir mal ab. Es wäre ja gar nicht schlecht. Aber es ist doch symptomatisch, im Judentum ist die Erfahrung derer, die sich als Messias ausgegeben haben: Das ging immer schlecht aus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Walter Homolka, Juni Hoppe und Daniel Krochmalnik: "Der Messias kommt nicht. Abschied vom jüdischen Erlöser"
Herder, Berlin 2022
272 Seiten, 24 Euro

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