Oliver Hilmes: "Schattenzeit. Deutschland 1943"
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Ein Denkmal für einen armen Kerl
14:31 Minuten
Oliver Hilmes
Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und AbgründeSiedler Verlag, München 2023304 Seiten
24,00 Euro
Karlrobert Kreiten wurde 1943 gehängt. Nach einem unbedachten Wort endet das Leben des 27-jährigen Pianisten. Oliver Hilmes erzählt dessen Schicksal und recherchiert das Justizverbrechen. Es wird zu einem Mosaikstein, um das Jahr 1943 zu verstehen.
Karlrobert Kreiten, 1916 geboren, war ein musikalisches Wunderkind, ein hochbegabter Pianist auf der Sonnenseite des Lebens, an Politik nicht interessiert. Doch 1943 beging er einen Fehler. Ein unbedachtes Wort gegenüber der Freundin seiner Mutter: Der Krieg sei längst verloren und Göring, Goebbels und Hitler seien Verbrecher. Sechs Monate später stirbt er am Galgen in Plötzensee – mit 27 Jahren.
"Ich wurde 1987 noch als Teenager auf ihn aufmerksam", erzählt der Buchautor und Historiker Oliver Hilmes. Im Studium sei Kreiten ihm da als Beispiel für eine "besonders niederträchtige Denunziation" begegnet. Das habe dazu geführt, dass er "diesem armen Kerl" ein Denkmal habe setzen wollen.
Doch diese Geschichte des Justizverbrechens habe Hilmes nur erzählen können, wenn er bestimmte andere historische Ereignisse zuvor erzählen würde: "Denn im Grunde ist Karlrobert Kreiten auch ein Opfer von Stalingrad." Das Massensterben habe dazu geführt, dass sich in der Bevölkerung die Stimmen mehrten, wonach der Krieg verloren sei. "Das Regime hat deshalb so brutal zurückgeschlagen, um das Abfallen vom Glauben, zu bekämpfen", erklärt Hilmes die von ihm recherchierte Nazi-Logik.
Eine juristische Pirouette
"Mit Kreitens Todesstrafe hat lange Zeit niemand gerechnet", berichtet der Historiker. Der Straftatbestand der "Wehrkraftzersetzung" bei den Nationalsozialisten bezog sich explizit auf eine öffentliche Rede. Doch Kreiten hatte im Privaten gesprochen. "Das war eigentlich straffrei", so Hilmes.
Aber dadurch, dass die Freundin der Mutter getratscht hatte, zogen Kreitens Aussagen Kreise. "Dadurch sei die Öffentlichkeit gegeben", erklärt Hilmes die Argumentation der Nationalsozialisten. Der Vorwurf der "Wehrkraftzersetzung" landete dann automatisch auf dem Schreibtisch von Roland Freisler, einem der bekanntesten Strafrichter des nationalsozialistischen Deutschland. Der wiederum überlegte sich ebendiese Argumentation.
"Dass man sich 'die Mühe' eines Verfahrens machte, ist das Absurde. Das Urteil stand ja eigentlich zu Beginn des Verfahrens fest", meint Hilmes. Freisler habe nur ganz selten jemanden freigesprochen.