Buch über Carola Spitz

Eine deutsche Emigrantin lehrte die New Yorker atmen

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Porträt der Achtsamkeitspionierin Coralo Spitz.
Sie ist vor den Nazis nach New York geflohen - und hat dort gelehrt, den eigenen Körper zu spüren: Über Carola Spitz ist nun das Buch "Die Atemlehrerin" erschienen. © Nachlass Carola und Otto Spitz
Christoph Ribbat im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Achtsamkeit ist ein Trend. Heute zumindest. In den 1920er Jahren aber musste man soetwas lehren. Carola Spitz tat dies und zwar in New York, wohin sie vor den Nazis geflohen war. Das Buch "Die Atemlehrerin" erzählt, warum Carola Spitz ihrer Zeit voraus war.
Bewusst zu atmen und zu achtsam sein – das entspricht ganz dem Zeitgeist. Um diese Praktiken zu lernen, gibt es zahllose Kurse und reihenweise Ratgeber. Schon in den 1930er Jahren hat Carola Spitz versucht, den New Yorkern beizubringen, ihren Körper besser wahrzunehmen und richtig Luft zu holen. Sie war eine Berliner Jüdin und vor den Nazis aus Berlin in die USA geflohen. Im Buch "Die Atemlehrerin" erzählt der Amerikanist Christoph Ribbat ihre Geschichte.
Darauf gestoßen sei er über das Thema Emigration. "Das hat mich schon immer interessiert", sagt der Professor für amerikanische Literatur und Kultur an der Uni in Paderborn. Gestört dabei habe ihn "dieser deutsche Umgang mit dem Exil".
Es werde so getan, "als gebe es nur Leute wie Thomas Mann, die total berühmt sind und alle eine Villa am Pazifik haben oder so." Es gebe aber "unglaublich viele namenlose Leute, deren Leben durch diese Flucht, durch die Emigration zerstört wurden, oder die in eine ganz andere Richtung gegangen sind." So sei er auf Carola Spitz gestoßen. Über eine Todesanzeige in der New York Times sei er auf sie aufmerksam geworden. Von ihren Enkeln habe er dann den Nachlass von Carola Spitz bekommen.

Hipster-Beruf Atemlehrerin

Spitz sei in Berlin Gymnastik- bzw. Atemlehrerin gewesen - "ein Hipster-Beruf in den 20er Jahren, so ähnlich wie Instagram-Influencerinnen heute", so Ribbat. Sie brachte anderen bei, den eigenen Körper zu spüren.
Dann floh sie vor den Nazis nach New York, so wie rund 70.000 weitere Deutsche. Was sie praktizierte, habe es damals in Amerika noch nicht gegeben, erklärt Ribbat. Deshalb habe sie sich mit einer Freundin zusammen als Entspannungslehrerin in New York selbständig gemacht. Aber: "Es war der Zweite Weltkrieg, und gerade Deutschland war nicht gerade ein Beispiel für ein großes Entspannt-Sein." Deshalb habe es mehrere Jahre gedauert, bis schließlich doch immer mehr Leute zu ihr gekommen seien, "um bei ihr diese deutsche Technik des Selbsterkundens zu lernen".

Atmen für Schwangere erst später durchgesetzt

Zu ihren Übungen gehört beispielweise, 20 Minuten durch einen Strohhalm zu atmen oder zum Einschlafen immer wieder das gleiche Bein anzuheben. "Man muss große Geduld mitbringen und sich wirklich darauf einlassen", sagt Ribbat mit Blick auf seine Selbstversuche.
Mit Praktiken wie Autogenem Training wurden ähnliche Dinge erfunden, wie auch Carola Spitz sie entwickelt hatte. Spitz' Übungen erreichten jedoch nicht annähernd einen solchen Bekanntheitsgrad. Sie habe begeisterte Schülerinnen und Schüler gehabt, die teils 30 Jahre lang zu Atemübungen zu ihr gekommen seien, sagt Ribbat. Aber sie habe keine Tradition entwickelt. Teilweise sei sie auch zu früh dran gewesen mit Übungen, wie etwa dem bewussten Atmen für Schwangere. Das habe sich erst zehn Jahre später durchgesetzt.
Das Wichtigste an Spitz' Geschichte ist für Ribbat: Sie habe - zudem als jüdische Deutsche - "im schrecklichsten Jahrhundert, das man sich vorstellen kann" gelebt; und Entspannung sei ihr Beruf, ihre Leidenschaft gewesen. Diesen Konflikt herauszustellen, sei für ihn das Wichtigste bei der Arbeit an dem Buch gewesen. Spitz sei 97 Jahre alt geworden und habe "bis Monate vor ihrem Tod noch unterrichtet".
(abr)
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