Buch über das männliche Geschlechtsteil

    Der Penis-Versteher

    Detail des Gipsabgusses einer antiken Skulptur, die auf dem Campus der Friedrich-Schiller-Universität Jena aufgestellt ist (Foto vom 23.11.2010). Foto: Jan-Peter Kasper/FSU | Verwendung weltweit
    Der Penis - ein ewiges Faszinosum. Hier in einer antiken Skulptur auf einem Uni-Campus in Jena © dpa picture-aliance / Jan-Peter Kasper
    Von Maria Lang |
    Kein Ratgeber für mehr Standfestigkeit, sondern eine unterhaltsame und kenntnisreiche Annäherung ans männliche Geschlechtsteil: Gerhard Staguhns "Der Penis-Komplex" ist ein erzählendes Sachbuch für Männer und Frauen – und ein Plädoyer dafür, die eigene Sexualität zu erforschen.
    Gerhard Staguhn ist ein leiser Mann. Leipzig, Messehalle fünf, etwa 50 Zuschauer sind gekommen, um dem Mann zuzuhören, der hier über etwas sprechen will, das er den "Penis-Komplex" nennt. Das ist keine Provokation, kein Machismo, Staguhn will aufklären. Seit einem halben Jahrhundert schlummere dieses Thema – der Penis – in ihm. Nun sei der richtige Zeitpunkt fürs Schreiben gekommen. "Das war als ich gemerkt habe: Jetzt bist du alt. 63 Jahre alt musste ich werden", sagt Staguhn, mit deutlich bayerischem Akzent.

    Kein Ratgeber...

    "Das Penis-Buch", "Penis-Power", "Leben mit einem großen Penis" – es ist nicht so, dass noch niemand auf die Idee gekommen wäre, das männliche Geschlechtsteil zum Stoff eines Buches zu machen. Doch dem Religionswissenschaftler und Germanisten Staguhn geht es nicht darum, dem Leser Ratschläge zu geben, wie man den Penis optimieren kann. Er verrät keine Tricks, wodurch der Penis länger steht oder langfristig größer werden könnte. Staghun analysiert den Penis aus biologischer, historischer, psychologischer und persönlicher Sicht. Ein so umfassendes und dabei unterhaltsames Buch über den Penis ist etwas wirklich Neues.
    Gerhard Staguhn und sein Buch "Der Penis-Komplex" auf der Leipziger Buchmesse 2017
    Gerhard Staguhn und sein Buch "Der Penis-Komplex" auf der Leipziger Buchmesse 2017© Deutschlandradio / Maria Lang
    Vor allem die Schilderungen seiner Erlebnisse als kleiner Junge und junger Mann machen das Lesen kurzweilig - der ehemalige FAZ-Feuilletonist Stahuhn kann gut erzählen. Die zeitliche Distanz zum Erlebten – das schon genannte halbe Jahrhundert – sei die Voraussetzung dafür gewesen, über sich selbst schreiben zu können, sagt Staguhn. Berührungsängste hatte er aber auch jetzt noch, im Alter. Wer den Penis eingehender betrachten wolle, betrete "das heikle Feld des Obszönen", heißt es in der Einleitung des Buches.

    ... auch kein Schmuddelbuch mit Witzen

    Fast alle Verlage haben auf sein Manuskript mit Schweigen reagiert. Er habe auf die vielen Einsendungen kaum Antworten bekommen, nicht mal Absagen. Dabei ist er ja schon ein etablierter Autor. Der Verleger Dietrich zu Klampen, der neben Staguhn Platz genommen hat, freut sich, dass die anderen das Manuskript nicht wollten. Erst habe er zwar gedacht, das würde ein "Schmuddelbuch mit drolligen Witzen". Dann aber habe er angefangen zu lesen. Und konnte das Manuskript nicht mehr aus der Hand legen, erzählt er. Um sein Urteil zu prüfen, schickte er die Seiten an den großen deutschen Sexualforscher Volkmar Sigusch. Und der meinte: "Das Buch hat mich begeistert und beschämt, weil ich nach 50 Jahren Sexualforschung und Sexualtherapie viel erfahren habe, das ich nicht wusste oder nicht bedacht habe." Kein schlechtes Omen für ein Buch über den Penis, dachte sich Verleger zu Klampen. Warum die Großverlage abgelehnt haben, könne er nicht beurteilen. Er sagt nur: "Manchmal haben sie Ängste."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Gerhard Staguhns Buch "Der Penis-Komplex"© Zu Klampen Verlag

    Verzweiflung an der Masturbation

    Die Kombination aus Theorie und einst erlebter Praxis liest sich gut - von dem einen oder anderen überflüssigen Wortspiel mal abgesehen. Staghun gewährt überaus intime Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt des jungen Mannes, der er mal war. Seine Schüchternheit sorgte dafür, dass er deutlich später als seine Freunde den ersten Sex mit einer Frau erlebte. Bis dahin verzweifelt er fast an der ständigen Masturbation, die immer mehr den Charakter einer Ersatzhandlung bekam.
    Herrlich zu lesen, ist auch die Szene über einen sommernächtlichen Besuch bei einer begehrten Frau. Zusammen mit zwei Freunden schlich der pubertierende Staguhn zu ihrem Fenster. Per Räuberleiter gelangten die drei abwechselnd hinauf zu ihr, zu ihren offenbar sehr attraktiven Brüsten: "Was war das für ein Duft! Der Duft warmer, frisch gemolkener, mit etwas Honig gesüßter und mit Vanille veredelter Kuhmilch. Ein zarter und dennoch wilder Duft."

    Ist die Klitoris der bessere Penis?

    Staghun bietet mit seinem Buch nicht nur amüsantes Wissen über Spinnen-Sex, den Mythos Penisneid oder künstliche Penisse. Er äußert sich auch zum Verhältnis der männlichen Geschlechtsorgane zu den weiblichen. Dazu geht er hart ins Gericht mit Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Der hatte die Vulva als ein "Organ des Fehlens" bezeichnet.
    "Tatsächlich aber fehlt einer Vulva nichts. Sie ist so perfekt wie der Penis; sie hat bei genauer Betrachtung sogar mehr zu bieten als dieser. Die Vulva als ein 'Organ des Fehlens' zu betrachten, ist einem typisch patriarchalischen, auf den Penis fixierten Blick geschuldet."
    So sagt es Staguhn. Außerdem behauptet er: Die Klitoris sei der bessere Penis, weil sie sensibler sei und der Besitzerin mehr Lust verschaffe als der Penis seinem Besitzer.
    Ist das schon Porno? Eine Kartoffel im Phallus-Format
    Der Penis kommt in allen Größen und Formen - und das nicht nur unter Menschen© dpa / picture alliance / Heckler Pierre
    Rein biologisch ist Staguhn zufolge das Männliche überhaupt nur das reduzierte Weibliche. Das begründet er so: Die Norm des menschlichen Embryos ist weiblich. Nur durch konstante Hormonausschüttung wird der Embryo im Laufe seiner Entwicklung vermännlicht. Im Grunde sei dem Mann seine Zweitrangigkeit klar, meint Staguhn. "Insgeheim weiß der Mann, dass er der weiblichen sexuellen Potenz unterlegen ist. Das Patriachat verschafft ihm die Möglichkeit, seine Schwäche in Herrschaft umzumünzen – auf Kosten der Frau." Für LGBT-Menschen, die Heteronormativität ablehnen, sind diese Überlegungen natürlich nichts.

    Sexualität ist absolut individuell

    Auch wenn Staghun Penis mit Mann und Vulva mit Frau gleichsetzt und damit andere Konstellationen ausschließt, Sexualität hält er für absolut individuell: "Es gibt auf dieser Welt 7,5 Milliarden Sexualitäten", sagt er. Das zeige sich etwa beim Begriff Perversion. "Das Normale ist pervers und das Perverse ist normal. Jeder macht, was er will und das ist auch gut so, wenn er einen Partner findet, der da mitmacht."
    In jedem Fall ist "Der Penis-Komplex" eine klare Ermutigung für jeden Lesenden, sich die eigentlich wichtigste Frage zu stellen: Was bedeutet Sexualität für mich?

    Gerhard Staguhn: Der Penis-Komplex. Eine Analyse: biologisch, geschichtlich, psychologisch, persönlich
    Zu Klampen Verlag, 336 Seiten, 24,80 Euro

    Mehr zum Thema