Der singende Baggerfahrer aus dem Spreewald
Gerhard Gundermann starb 1998 im Alter von nur 43 Jahren: In einem Buch, das nun erscheint, kommen Weggefährten zu Wort. Herausgeber Andreas Leusink erklärt, wie der ostdeutsche Liedermacher zu DDR-Zeiten vom Täter zum Opfer der Stasi wurde.
Mathias Mauersberger: Am 21. Juni 1998, da starb der ostdeutsche Musiker Gerhard Gundermann mit nur 43 Jahren an einem Herzinfarkt – einer der bekanntesten Liedermacher der ehemaligen DDR, der, obwohl er längst von seiner Musik hätte leben können, bis kurz vor seinem Tod als Baggerfahrer im Tagebau arbeitete. Ende August kommt ein Film des deutschen Regisseurs Andreas Dresen über diesen ungewöhnlichen Musiker und Mensch ins Kino, am 8. August erscheint dann bereits ein Buch, das sich dem singenden Baggerfahrer aus dem Spreewald widmet. "Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse", so heißt es. Was hinter diesem Titel steckt, das wollte ich von Herausgeber Andreas Leusink wissen.
Andreas Leusink: Hinter dem Titel steckt, glaube ich, der Anspruch und die Animation, sein Leben intensiv zu leben und nicht vergehen zu lassen, sondern sich zu besinnen, was man eigentlich möchte, was man erreichen möchte, was einen stört, was einen behindert, also sozusagen zu reflektieren, wie der Alltag einzurichten ist und wie man seine Ideale, soweit es geht, leben kann und seinen Alltag danach ausrichtet.
Mauersberger: War Gundermann solch ein Mensch?
Leusink: Ich glaube schon. Meine Beschäftigung mit seinem Leben hat mich dazu gebracht, zu begreifen, was ich schon länger empfunden habe: Er ist ein ganz starker Idealist gewesen und hat für seine Ideale sich sehr engagiert und hat versucht, in seinem Alltag das zu leben. Und da gab es natürlich Reibereien, ist ja klar, geht nicht anders – wenn man mit Idealen leben will, dann gibt es Reibereien mit der Realität.
Mauersberger: Worin bestanden diese Ideale von Gundermann?
Leusink: Erst mal glaube ich vor allem gesellschaftliche Ideale, also dass Menschen einander zuhören, dass Menschen beieinander sind, die Not des Menschen neben sich begreifen, ihm oder ihr helfen, sich füreinander einsetzen, nicht vereinzelt, sondern solidarisch leben, das, glaube ich, waren so seine Ideale.
Am 23. August kommt "Gundermann" ins Kino
Mauersberger: In dem Buch zu Wort kommen ja viele Weggefährten Gundermanns, seine Ehefrau zuallererst, dann langjährige Mitmusiker, auch Mitwirkende im Film, unter anderem Regisseur Andreas Dresen. Wie sind Sie hier vorgegangen, nehmen Sie uns doch mal ganz kurz mit, wie sah die Arbeit an dem Buch denn aus und vor allem die Vorbereitungen?
Leusink: Die Vorbereitungen haben auch mit den Vorbereitungen zum Film zu tun. Da ich sowohl die Drehbuchautorin als auch den Regisseur vertrete, also unser Verlag, war ich von Anfang an in die Vorbereitungen des Films involviert, also seit etwa zwölf Jahren. Und als wir voriges Jahr angefangen haben zu drehen, kurz vorher hab ich mir gedacht, dass das, was ich inzwischen recherchiert und erfahren habe, auch gut in ein Buch passt. Es gab einen Verlag, der sich schon länger darum bemüht hat, parallel zum Filmstart ein Gundermann-Buch zu machen, die haben mich immer wieder gefragt, und so ist es gekommen.
Mauersberger: Woher kommt eigentlich Ihr Interesse an dem Thema, welchen Bezug haben Sie selbst zu Gundermann?
Leusink: Ich selbst bin ihm vor über 40 Jahren das erste Mal begegnet, es gab dann eine kurze Zeit der gemeinsamen Arbeit, und ansonsten war ich nicht nah an ihm dran, es war so was wie eine ferne Nähe, würde ich heute sagen. Also Freunde von mir haben mit ihm gearbeitet, und ich habe seinen Weg immer verfolgt, eigentlich bis zum Schluss, hab ihn mehrmals im Konzert gesehen. Und das war im Wesentlichen der künstlerische Bezug, aber seine Haltung, seine soziale Haltung war mir immer sehr nah, das hab ich alles ziemlich genau verfolgt.
Vom Täter zum Opfer der Staatssicherheit
Mauersberger: Ein wichtiger Teil der Geschichte Gundermanns ist ja dann auch seine Beziehung zur DDR, auch seine Verstrickung in das System der DDR. Er sah sich selbst ja als Kommunisten, flog allerdings von der Offiziershochschule, war später Spitzel für die SED, wurde aber auch von der SED dann wieder vor die Tür gesetzt sozusagen wegen seiner Unangepasstheit. Wie nähern Sie sich diesem Aspekt von Gundermanns Biografie in dem Buch durch die verschiedenen Beiträge?
Leusink: Kleine Korrektur: Er war Spitzel für die Staatssicherheit, aber diese Verwechslung kommt nicht von ungefähr, weil ich glaube, dass beides ganz eng zusammengehört. Er war eben ein engagiertes SED-Mitglied, so engagiert, dass er inmitten der vielen angepassten SED-Mitglieder auffiel, ausgegrenzt wurde und aufgrund der Konflikte, die er hatte mit SED-Funktionären, schließlich ausgeschlossen wurde. Und es ist kein Zufall, dass in dem Moment, wo er ausgeschlossen wurde, er seine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit beendet hat und zum Objekt wurde, also zum beobachteten Objekt, und damit die sogenannte Täterakte geschlossen wurde und es eine sogenannte Opferakte gab.
Das ist ja auch Thema des Films, sozusagen zentraler Konflikt des Films, wie jemand, der so engagiert ist, sich verstrickt, weil er glaubte sich auf der Seite der Guten, hat das Ganze sehr moralisch gesehen und hat zum Beispiel eben geglaubt, dass er mithilfe der Staatssicherheit Mängel im Tagebau aufdecken könnte oder dass dort eine bessere Produktivität, ein besseres Arbeitsverhältnis zu erreichen ist, wenn er das bei der Staatssicherheit denunziert. Und das war ein Irrtum, wie wir wissen. Aber trotzdem hat er daran geglaubt.
Ein starker Idealist
Mauersberger: Und zur Ergänzung: Er selbst arbeitete im Tagebau als Baggerfahrer bis kurz vor seinem Tod.
Leusink: Ja, aber es gab eben in der DDR in fast allen Betrieben ein unglaubliches Betrugssystem mit Plansollzahlen, und das ist ihm aufgestoßen. Und er hat versucht, alles, was es an Betrügereien gab in seinem konkreten Arbeitsumfeld, aufzudecken. Das gelang ihm nicht in der SED, und er dachte, es könnte mit der Staatssicherheit gelingen. Zweiter Aspekt und wichtiger Aspekt der Zusammenarbeit ist, man hat ihn im Prinzip auch erpresst, weil die Gruppe, in der er spielte, auf West-Reise war, und es wurde ihm gesagt, wenn das weiter so gehen soll, wenn sie weiterhin in den Westen fahren wollen, und zwar alle zusammen, dann braucht man einen in der Gruppe, der sozusagen aufpasst. Und da hat er zugesagt.
Mauersberger: Eine Facette, die ja nur am Rande behandelt wird, sind Gundermanns Texte, die als besonders authentisch, besonders poetisch, auch teilweise politisch gelten. Wieso haben Sie Gundermanns Lyrik nicht mehr Platz in dem Buch eingeräumt?
Leusink: Zum einen, weil es da schon Veröffentlichungen gibt und jetzt auch eine große geplant ist. Es gibt ein Poesiealbum jetzt mit Texten, es gab früher Bücher zu Gundermann, wo Texte veröffentlicht waren, BuschFunk veröffentlicht einiges, und wir wollten hier mit Absicht etwas anderes machen, also etwas veröffentlichen, was es bisher noch gar nicht gegeben hat, also eben Zeitzeugeninterviews, Dokumente, die noch niemand außer dem ganz engen Kreis um Conny Gundermann bisher gesehen hat, also die noch nicht veröffentlicht sind.
Mauersberger: Im Juni jährte sich der Todestag Gerhard Gundermanns zum 20. Mal. Am 8. August erscheint im Ch. Links Verlag "Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse". Das ist ein Buch über den ostdeutschen Liedermacher mit 184 Seiten, Herausgeber ist Andreas Leusink. Vielen Dank für den Besuch!
Leusink: Ich danke auch!
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