Buch über Fernweh in der Vergangenheit

Als Reisen noch ein Abenteuer war

10:36 Minuten
Alexander von Humboldt und sein Freund, der Botaniker Aimé Bonpland auf der 1799-1800 unternommenen Forschungsreise in Venezuela - auf dem Gemälde "'Humboldt und Bonpland am Orinoco" von Eduard Ender.
Vor rund 200 Jahren in Venezuela: Alexander von Humboldt und sein Freund, der Botaniker Aimé Bonpland © picture alliance / akg images
Rolf Neuhaus im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Durch Corona ist es schwieriger geworden, in die Ferne zu kommen. Doch früher war Reisen noch ein ganz anderes Wagnis. In "Reisen nach Ophir" schreibt Rolf Neuhaus über berühmte Reisende wie Rimbaud, Humboldt, Lévi-Strauss - und wie sich Reisen verändert hat.
In diesem Sommer ist es nicht ganz einfach, unbeschwert in die Ferne zu reisen. Das kann ein guter Anlass sein, sich klarzumachen, wie es vor etwas mehr als hundert Jahren war, als Fernreisen noch ein echtes Wagnis und Abenteuer bedeuteten und so mancher dabei sein Leben aufs Spiel setzte. Von solchen Leuten erzählt der Autor Rolf Neuhaus. Er schreibt für das Reiseblatt der "FAZ" und hat bereits einige Bücher veröffentlicht, z.B. über den Stierkampf oder über Andalusien, wo er seit 30 Jahren lebt.
Sein neues Buch heißt "Reisen nach Ophir. Von der Suche nach dem Glück in der Ferne – von Humboldt bis Hesse, von Timbuktu bis Tahiti". Dieses "Ophir", zu dem es diese Reisenden zieht, ist im Alten Testament das gelobte Land, aus dem König Salomo das Gold für seine Prachtbauten bezog.

Ophir als das Dorado der Antike

Es habe diesen Ort vielleicht gegeben, sagt Rolf Neuhaus. "Die Bibel berichtet von einer geglückten Expedition nach Ophir: Die ausgesandten Schiffe kehrten nach drei Jahren zurück - und nicht nur mit Gold, auch mit Edelsteinen, Silber, Elfenbein und anderem." Die nächste Expedition aber scheiterte. "Die Schiffe zerbrachen, bevor sie ausgelaufen sind. Trotzdem wurde Ophir zum Inbegriff des Reichtums. Ein Dorado der Antike sozusagen." Es sei rund um den Globus gesucht, aber nie gefunden worden.
Er habe den Begriff Ophir verallgemeinert und damit nicht nur Gold oder Geld verbunden, sondern auch Immaterielles wie Ruhm, Erkenntnis, Liebe oder Freiheit. Diese könnten auch Glücksgefühle hervorrufen.

Fernwehkranke erzählen selbst

Neuhaus' Buch handelt beispielsweise von berühmten Reisenden wie Rimbaud und Humboldt oder Flaubert und Lévi-Strauss. Er lässt diese Fernwehkranken selbst erzählen – aus Briefen, Tagebüchern und Reiseberichten, die damals eine Zeitlang von Lesern regelrecht verschlungen wurden.
Bei den Reiseberichten habe es verschiedene Kategorien gegeben, etwa politische, die in Auftrag gegeben worden seien, von Regierungsstellen, die auch die Reisen finanzierten. Daneben habe es Berichte für ein wissenschaftliches Publikum gegeben. Die Übergänge seien fließend gewesen, so seien etwa aus politischen Berichten auch solche für eine breite Leserschaft entstanden.

Fremde Ferne in den Lehnstuhl legen

Als sich ein Markt dafür entwickelt habe, seien auch pure Reiseschriftsteller auf den Plan getreten, "die davon lebten, den Mitmenschen fremde Ferne in den Lehnstuhl zu legen", erklärt Neuhaus. "Diese Spezies von Berichterstattern zog mit der Absicht los, zu fabulieren, zu begeistern, Exotik zu verkaufen - und verdrehte dem Leser nicht selten den Kopf."
Am Ende von Neuhaus' Buch geht diese Art von Reisen zu Ende. Da stellt etwa Lévi-Strauss fest, dass die Fremdartigkeit, mit der andere Kulturen einen überwältigt hätten, zu Ende sei. "Es gab keine unberührten Indigenen mehr", so Neuhaus. Aber zur gleichen Zeit, als Lévi-Strauss das Ende der Reisen postulierte, habe die Reisebrache habe begonnen, Reisen industriell zu produzieren, zu standardisieren und zu verbilligen.
Das habe weiten Kreisen überhaupt erst erlaubt zu verreisen. "Dabei hat sich das Schwergewicht von der klassischen Bildungsreise zur reinen Urlaubsreise verschoben."
(abr)
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