Kulturgeschichte der Fußballsongs

Männer, Mythen, Mitgrölreime

05:50 Minuten
Fahne mit der Aufschrift "You'll Never Walk Alone" im Stadion des FC Liverpool
Der Titel des Buches ist angelehnt an den wohl berühmtesten Fußballsong der Welt. © dpa / picture alliance / Mike Egerton
Von Ronny Blaschke |
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„You’ll Never Sing Alone“ ist ein neues Buch über die Kulturgeschichte der Fußballsongs. Gunnar Leue streift dabei durch die Musikgeschichte des vergangenen Jahrhunderts, porträtiert singende Spieler und beschreibt Vereinshymnen.
Juni 1974: Die Eröffnungsfeier der Fußball-WM in Deutschland findet im Frankfurter Waldstadion statt. Mit Musikbeiträgen wollen Sänger und Bands die Nationalteams ihrer Heimatländer vorstellen.
Für die DDR singt der junge Schlagerstar Frank Schöbel, begleitet von Tänzerinnen der Ostberliner Staatsoper.
„Das kam jedenfalls beim Publikum sehr gut an. Und ist auch eine legendäre Nummer gewesen“, sagt der Journalist Gunnar Leue, der seit Jahrzehnten die Verbindungen zwischen seinen großen Leidenschaften erforscht: Musik und Fußball.

Witzigerweise war es eigentlich dieses Lied, ,Ja, der Fußball ist rund wie die Welt‘, das er singen wollte, das durfte er von der DDR-Führung aus nicht singen. Sondern er musste die B-Seite seiner Schallplatte singen, ,Freunde gibt es überall‘. Die DDR wollte ein bisschen zeigen: Wir sind gut dabei und haben überall Freunde.

Autor Gunnar Leue

Mehr als 800 Millionen Menschen weltweit sehen den Auftritt von Frank Schöbel im Fernsehen. Vermutlich hat kein DDR-Künstler jemals ein größeres Publikum.

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Es sind Episoden wie diese, die das Buch „You'll Never Sing Alone“ lesenswert machen.
Darin streift der Berliner Autor Gunnar Leue durch die Musikgeschichte des vergangenen Jahrhunderts. Leue porträtiert singende Spieler und beschreibt Vereinshymnen. Er erinnert an fußballverrückte Rockstars – und an Komponisten.

Fußballsongs im gesellschaftlichen Kontext

Gunnar Leue wirft auch einen Blick nach Russland, Mitte des 20. Jahrhunderts. Dort lädt Komponist Dmitri Schostakowitsch Spieler von Zenit Leningrad zu sich ein und spielt vor ihnen Klavier.
1929 schreibt Schostakowitsch ein Ballettstück, in dem es um eine sowjetische Mannschaft geht. Gunnar Leue sagt dazu: „Das hat er so garniert mit ein bisschen Jazz, mit ein bisschen Foxtrott. Was ja in der Sowjetunion damals als bürgerliche Musik verpönt war.“
Komponisten von Weltrang wie Schostakowitsch waren im Fußball selten. Stattdessen schlichte Balladen wie jene von Franz Beckenbauer. Kitschige Vereinslieder. Inhaltsleere Fangesänge.
Gunnar Leue will sich darüber nicht lustig machen. Stattdessen bettet er seine vielen Beispiele stets in einen gesellschaftlichen Kontext ein.

Pelé und der Popzirkus

Als ein Wegbereiter für singende Fußballer gilt Pelé. Der Brasilianer nimmt mehrere Schallplatten auf. 1975 wechselt er zu New York Cosmos. Zu jener Zeit gehört der Klub zum Warner-Konzern.

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Die Besitzer wollen das Millionengehalt von Pelé steuerlich mindern, erzählt Gunnar Leue, und sie führen ihn in den Bilanzen als Musikkünstler:

Der Verein war wie ein kleiner Popzirkus. Auf der Tribüne saßen Rockstars wie Mick Jagger, Elton John, Barbara Streisand. Und wenn die Fußballer im Studio 54 waren bei Andy Warhol, dann wurden die da umschwärmt.

Autor Gunnar Leue

Elton John als Vereinspräsident

Seit den 1970er-Jahren profitieren Fußball und Musikindustrie voneinander. Gunnar Leue beschreibt in seinem Buch, wie Musikikonen ihre Vereine unterstützen.
Robert Plant etwa, Sänger von Led Zeppelin, ist in England Fan der Wolverhampton Wanderers. Elton John engagiert sich zeitweilig als Klubpräsident beim FC Watford.

Musiker als Fußballfans

Und Campino von den Toten Hosen stößt Unterstützerkampagnen für seinen klammen Verein Fortuna Düsseldorf an.
„Es gab auch Bands, die ambitionierter herangegangen sind“, sagt Gunnar Leue. „Also Pink Floyd hat in einem Titel mal ,You’ll Never Walk Alone‘ eingearbeitet. Genesis haben im Fußball Lieder gemacht für eine britische Fußballsendung.
Rod Stewart, großer Fußballfan, hat allerdings eher so ein La-La-Lied mit der schottischen Nationalmannschaft gemacht. Da gibts schon ambitionierte Leute, und die wollen auch ihr Fußball-Fantum zeigen.“

Sponsor und Streamingdienst

Gunnar Leue illustriert die Recherchen in seinem Buch mit rund 250 Abbildungen, mit Plattencovern, Plakaten, Eintrittskarten. Und er wirft am Ende auch einen Blick in die Zukunft von Fußball und Musik - und damit auch in die Zukunft von sozialen Medien, Streamingdiensten und künstlicher Intelligenz.
Ein Sinnbild für diese Zukunft ist die Partnerschaft zwischen dem FC Barcelona und Spotify. Bis 2026 erhält der hoch verschuldete Traditionsklub rund 70 Millionen Euro vom schwedischen Streamingdienst.
Spieler des FC Barcelona bejubeln ein Tor im Champions-League-Spiel gegen den FC Antwerpen.
Der Streamingdienst Spotify ist Trikotsponsor des FC Barcelona.© dpa / picture alliance / Tom Goyvaerts
Eine folgerichtige Entwicklung, sagt Gunnar Leue:

"Ja, kann man sich vorstellen, wie das gemeint ist: Also die werden da nicht zusammensingen, sondern es wird in der Vermarktung eine völlig neue Art der Verbindung sein. Passt irgendwie zu der ganzen Entwicklung der kommerziellen Aufladung des Fußballs."

Autor Gunnar Leue

Die Zukunft liegt auch in Videospielen, schreibt Gunnar Leue. Gamer können ihre Lieblingsteams gegeneinander antreten lassen. Und sie können Tormusik, Vereinshymnen und Fangesänge mitbestimmen. „You’ll Never Sing Alone“. Ein Buchtitel, der aktuell bleiben dürfte.

Gunnar Leue: „You’ll Never Sing Alone. Wie Musik in den Fußball kam“
Ventil-Verlag
256 Seiten, 28 Euro.

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