Buch über Hamburgs Plattenläden

Eine runde Sache

Die Hamburger Band Bessere Zeiten spielt am Freitag (30.10.2009) in Hamburg in dem Plattenladen "Burnout Records" ein Instore-Konzert, im Vordergrund sind Schallplatten zu sehen.
Einer von vielen in der Hansestadt: Der Hamburger Plattenladen "Burnout Records" © picture alliance / dpa / Angelika Warmuth
Von Olga Hochweis |
Ein echtes Liebhaberstück: Die beiden Fotografen Nicolas Christitch und Katrin Vierkant porträtieren Hamburgs Plattenläden. Liebevolle Detailaufnahmen aus den Läden, angereichert mit anekdotenreichen Interviews - ein rundum gelungenes Kompendium, das genau zum richtigen Zeitpunkt erscheint.
Sie liegen oft nur wenige Straßen voneinander entfernt und nennen sich Minigroove oder Under Pressure, Rekord oder Freiheit&Roosen – und das sind nur vier von vielen ihrer Art: Hamburg ist reich gesegnet mit einer Vielzahl unabhängiger und hochspezialisierter Plattenläden. Der gebürtige Kroate Nicolas Christitch und die Hamburgerin Katrin Vierkant haben 26 Vinyl-Oasen und deren Macher porträtiert - von Altona bis Winterhude.
Das Buch "Recorded" im Format einer 10-Inch-Single ist im buchstäblichen Sinne eine runde Sache: Neben ganzseitigen Porträts der Ladenbesitzer gibt es liebevolle Detailaufnahmen aus dem Innern der Läden, anekdotenreiche Interviews und Protokolle echter Überzeugungstäter sowie als besonderes Bonbon deren jeweiligen 25 Lieblingsplatten. Beseelt kommentierte Insider-Empfehlungen und dank sämtlicher abfotografierten Album-Cover sind sie auch optisch ein großer Genuss.
Ursprünglich sollte es ein Buch über New York werden
Drei Jahre haben die beiden Fotografen, die seit langen in Paris leben, an dem Buch gearbeitet. Teilfinanziert durch Crowdfunding ist es nun pünktlich zum Record Store Day am 18. April 2015 erschienen. Ursprünglich hatten die beiden ein Buch über New Yorker Plattenläden geplant. Bei der Recherche stellten sie aber fest, dass dortige Läden mittlerweile geschlossen oder aber wegen der steigenden Mieten in entferntere Gegenden verdrängt worden waren. Ähnliches gilt für Metropolen wie London und Paris.
Und auch in Hamburg haben in den letzten Jahren einige Läden zumachen müssen. Diejenigen, die trotz finanzieller Not trotzdem weitermachen, kompensieren das Verlustgeschäft entweder durch Online-Handel, durch ein eigenes Label oder durch die Aufstockung des Sortiments mit Mode – und nicht zuletzt durch etwas, was die Kenner (und übrigens auch viel internationale Musiker-Prominenz) in die Läden lockt: eine hohe Spezialisierung, von Northern Soul (Pure Soul Records) über Musik aus Hamburg (Hanseplatte) bis Elektronik (Otaku records).
Weg vom Fast Food des digitalen Musikbetriebs
Besonders kreativ sind Michelle Records (Träger eines "Echo"-Preises als beste Handelspartner des Jahres 2014) - nicht zuletzt dank ihrer Schaufenster-Konzerte. So unterschiedlich wie die Geschichte und das Profil der einzelnen Läden sind auch die Leute, die sie machen. Der eine hat schon in den 60er Jahren angefangen (und das Kunststück geschafft, als 16-Jähriger ein Interview für die Schülerzeitung mit John Lennon zu ergattern), der andere ist ein Hipster mit Vollbart, der auch selbst auflegt. Ihre ganz individuellen Geschichten (und zum Teil großartigen Erlebnisse mit Kunden und Künstlern) machen einen besonderen Reiz des Buches aus. Ihnen allen gemeinsam ist die Liebe zum Vinyl und zu diesem besonderen Ort des Austausches darüber.
"Der Plattenladen ist wie eine Persönlichkeit, er verfolgt ein Konzept, ist Futterstelle und Badeplatz für Soundtierchen, risikobehaftet, existenzbedrohend und -erhaltend. Keine Tchibo-Packung, sondern Bohnensackhandel mit würzigem Inhalt aus dem äthiopischen Hochland oder dem Darm einer indonesischen Baumkatze. Wohlriechend und anstrengend."
Die Abkehr vom Fast Food des digitalen Musikbetriebs hin zum Vinyl mag kein Trend der breiten Bevölkerung werden. Aber, glaubt man den Plattenhändlern im Buch, steigt doch die Zahl auch junger Leute, die keine Lust mehr auf kostenlose Downloads haben, sich stattdessen einen Plattenspieler anschaffen und ihre Musik anfassen, betrachten und nach Hause tragen wollen. Kleine Wette: Nach der Lektüre dieses inspirierenden Buchs zieht es die meisten zurück zum Vinylschrank oder gar in den Plattenladen.

Nicolas Christitch & Katrin Vierkant: Recorded
Live in Hamburgs Plattenläden
Junius Verlag Hamburg, Hardcover
240 Seiten, 29.90 Euro