Es war keine schöne Zeit, es war die schönste Zeit! Es war da am Wacker-Platz am Harras. Wir hatten, ich weiß nicht, wie viele Nationalitäten. Türken, Ex-Jugoslawien damals, Afghanen, Afrikaner. War alles da. Und da hattest du immer, bei Auswärtsspielen, da brauchst du drei, vier Autos, die dann zum Auswärtsspiel fahren, da waren dann zum Teil sechs, sieben Elternteile, die gesagt haben, die wollen da dabei sein. Und da war ein Zusammenhalt, ich weiß nicht, ob es das in der heutigen Zeit noch so gibt. Aber es war einfach die schönste Zeit.
Andreas Bernards Buch über eine Fußball-Kindheit
Mit dem Sportplatz, auf dem Andreas Bernard das Fußbballspielen gelernt hat, verbindet er viele Erinnerungen. © imago/Westend61
Es war die schönste Zeit
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Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard war ein guter Linksfuß. In dem Buch "Wir gingen raus und spielten Fußball" beschreibt er seine Zeit bei Wacker München. Heute sind die Spielfelder seiner Jugend verwaist. Sein Fußballmillieu ist verschwunden.
Fußballerbiografien sind ein ganz besonderes Genre. Häufig lassen sie die nötige Distanz zum jeweiligen Protagonisten vermissen. Vor diesem Hintergrund ist Andreas Bernards „Wir gingen raus und spielten Fußball“ ein spezielles Buch. Bernard beschreibt eine Karriere, die endete, noch bevor sie beginnen konnte. Es ist seine eigene.
Von Adorno zum Fußball
Andreas Bernard ist Professor für Kulturwissenschaft an der Universität Lüneburg. Als Kulturtheoretiker interessiert er sich für ein breites Themenspektrum. So beschäftigt er sich mit so unterschiedlichen Dingen wie der Herausgabe von Theodor Adornos „Minima Moralia“ oder der Erforschung der „Kulturgeschichte des Fahrstuhls“.
Sein Bezug zum Fußball aber ist weniger akademisch: In seiner Jugend war er ein begabter Spieler beim FC Wacker in München, bis Anfang der 80er-Jahre die dritte Kraft in München hinter 1860 München und den Bayern im Juniorenfussball.
Bernard war ein Linksfuß mit großen Qualitäten, wie der ehemalige deutsche Nationalspieler Dietmar Hamann auf dem Klappentext des Buches verrät. Hamann stellt keine Ferndiagnose. Er spielte als Jugendlicher im selben Klub wie Andreas Bernard. Jüngst erst brachte die Fernsehsendung „Blickpunkt Sport“ im Bayerischen Rundfunk die beiden ehemaligen Wacker-Kicker zusammen – nach 26 Jahren.
Verwaiste Steinfelder, blätternder Belag
Bernard aber geht es in seinem Buch nicht um die Prominenz des Mitspielers, der nur ein einer einzigen Stelle auftaucht. Vielmehr geht es um eine verschwundene Fußballkultur.
Der Sportplatz, auf dem ich das Fußballspielen gelernt habe, ist seit vielen Jahren verwaist. Niemand trifft sich mehr auf den beiden Steinfeldern, deren rötlicher Belag längst abgeblättert ist. Wenn ich heute noch an dieser Stelle vorbeikomme, in der Mitte eines weitläufigen Parks, bietet sich ein trostloses Bild. Die vier Eisentore sind irgendwann enger zusammengeschoben und neu montiert worden, um Platz zu schaffen für einen nachträglich errichteten Basketballkorb.
Bernards autobiografische Erzählung handelt von einem begabten jungen Fußballer, der es bis in die höchste Amateurklasse bringt.
Die Begabung kann er allerdings nicht ausschöpfen, da er sich beim Schwimmen eine Meniskusverletzung zuzieht: „In diesem Herbst veränderte sich die Wahrnehmung meines Körpers. Ich begann, mein rechtes Knie unaufhörlich zu beobachten und zu testen. Zwei Zeichen gaben mir Auskunft über seine Verfassung: der Grad der Schwellung und die Intensität des Schmerzes bei bestimmten Bewegungen.“
Als sich infolge der Verletzung Grenzen abzeichnen, die ihm Einsätze für Wackers A-Jugend unmöglich machen, wechselt Bernard nicht nur den Verein. Er wechselt auch allmählich die Disziplin. Er entdeckt die Literatur – fortan nimmt er den Fußball vor allem aus dieser Perspektive wahr.
Das Eintauchen in die Literatur veränderte meinen Sinn für Landschaften. Zum einen begann sich die Umgebung, in der ich ein Jahrzehnt lang täglich Fußball gespielt hatte, in ein Ensemble von Leseorten zu verwandeln.
Elegischer Tonfall, aber kein Kitsch
Es sind vor allem Entwicklungsromane, die Bernard nennt, so wie sein Buch gewissermaßen auch ein Entwicklungsroman in eigener Sache ist. An die Stelle des Fußballers tritt nach und nach der fachkundige Beobachter, der Fan, der Mitleidende, der aber trotz aller Begeisterung Distanz gewonnen hat.
Diese Distanz schlägt sich auch im Stil nieder: Zwar ist der Tonfall des Buches mitunter elegisch, etwa, wenn Bernard sich fragt, wie viele Weltmeisterschaften er als Zuschauer noch erleben wird. Doch niemals begibt er sich in die Nähe jenes Kitsches, der so viele Bücher über Fußball regelrecht ungenießbar macht.
Vielmehr ist er ein äußerst präziser Beobachter, dem es auf diese Weise gelingt, Atmosphäre einzufangen: Details wie die Farbe von Bodenbelägen, der Geruch in den Kabinen, die Trikots und die Unterhaltungen der jungen Spieler: So ist Bernard nicht nur Biograf in eigener Sache, sondern auch Chronist eines Fußballmilieus, das so nicht mehr wiederkehren wird.