after youtube. Gespräche, Portraits, Texte zum Musikvideo nach dem Internet
Hrsg. von Lars Henrik Gass, Christian Höller und Jessica Manstetten
StrzeleckiBooks, Köln 2018
208 Seiten, 19,80 Euro
Musikclips in Zeiten des Internets
Das Musikvideo schien schon tot. Doch dann kam Youtube. Das Buch "after youtube" würdigt das Genre nach seiner Wandlung vom TV- zum Netzphänomen und damit eine Künstlergeneration, die digital aufgewachsen ist und mit den Mitteln des Netzes arbeitet.
Als Björk 1999 "All is full of Love" herausbrachte, gehörte auch der dazugehörige Videoclip zu dem innovativsten was diese Form bis dahin hervorgebracht hatte. Björks Gesicht war in zwei weiße Roboter gemorpht, die sich ineinander verlieben. Am Ende sehen wir den Duett singenden Björk-Robotern dabei zu, wie sie sich zärtlich und ziemlich heißvereinigen. Regisseur Chris Cunningham landete mit seinen Clips in den großen Museen der Welt, und Musikvideos waren im Hochkultur-Olymp angekommen.
1999 räumten auch die Kurzfilmtage Oberhausen, eines der wichtigsten Kurzfilmfestival der Welt, dem Genre Musik-Clip eine eigene Reihe ein und vergaben seitdem jedes Jahr den MuVi-Preis für das beste Musikvideo.
Post Internet Art
Zum 20. Geburtstag erscheint jetzt flankierend zur Reihe der Band "after youtube – Gespräche, Portraits, Texte zum Musikvideo nach dem Internet". Das ist die erste umfassende Würdigung dieses Genres und einer Entwicklung, die gern mit dem Begriff "Post Internet Art" bezeichnet wird.
Jessica Manstetten, die die Reihe in Oberhausen leitet, sagt über den Begriff: "Es meint nicht nach dem Internet, sondern es geht um eine Künstlergeneration, die digital aufgewachsen ist und für die das Netz ein Teil der künstlerischen Praxis ist. Die bewegen sich zwischen Registern von Bildender Kunst, Musik, Netzkunst, Performance, Popkultur – und das immer mit einem kritischen Bewusstsein."
Die Künstler, diemit dem Netz aufgewachsen seien, machten sich die Funktionsmechanismen des Internets zunutze und hinterfragten Machtverhältnisse, Vereinzelung, Hysterie, Bedeutungssuche, sagt Manstetten. Sie machten das aber immer auch mit Funktionen, die das Internet hat: Algorithmen, Footage, Tutorial, Suchmaschinen, Präsentationen, Online-Foren.
Musikvideo mit Texttafeln wie im Stummfilm
Manstetten findet etwa den Clip "Wyclef Jean" des Rappers Young Thug künstlerisch interessant – genau genommen ist es das Making of eines Drehs, der nie wirklich zustande kam, weil der Musiker selbst nicht oder viel zu spät am Set erschien.
"Es ist wirklich toll, dieses Scheitern als Chance. Was so toll ist, ist, dass er diese Geschichte über Schrift im Bild erzählt. Also eigentlich wie man früher beim Stummfilm Inserts hatte mit Texttafeln – so erzählt er uns diese Geschichte des Scheiterns und kombiniert das mit Outtake-Material, also Pleiten, Pech und Pannen-Material der Dreharbeiten. Man hat selten so gerne gelesen und wollte auch so gerne weiterlesen, wie die Geschichte sich fortsetzt. Schrift im Bild im Musikvideo – das ist ja dröge. Aber er hat das unglaublich gut umgesetzt und es war auch ein Superrenner im Netz."
Selfie-Ästhetik im Clip
Auch interessant: Mary Ochers Clip zu dem Song "Arms". Da ist es vor allem diese seltsame Selfie-Ästhetik.
Manstetten sagt: "Mary Ocher ist einmal ein gutes Beispiel für Musiker und Musikerinnen, die ihre Musikstücke auch zum Teil selbst visualisieren und ein gutes Beispiel für ein Prima-Video, was aber total Low-Budget ist. Es sind dokumentarische Aufnahmen aus Israel und es geht um die alltägliche Präsenz der Waffen. Mary Ocher ist selbst Israelin und dort aufgewachsen, sozusagen als Touristin zurückgegangen und hat sich nochmal diesen Bildern mit einem Blick von außen beschäftigt."
(mf)