Buch zum Grand Hotel Waldhaus Vulpera

Antisemitismus auf Gästekarten eines Luxushotels

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Ein historisches Werbeplakat für das Grand-Hotel Waldhaus zeigt eine Terasse, auf der Menschen sitzen und in der Ferne eine Landschaft mit Bergen.
Das Grandhotel Waldhaus in der Schweiz war eine Topadresse für Reiche aus der ganzen Welt. Ein Buch zeigt nun, welche Rolle Antisemitismus dort spielte. © imago / Artokoloro
Lois Hechenblaikner im Gespräch mit Sigrid Brinkmann |
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Der Fotograf Lois Hechenblaikner entdeckt bei einer Ausstellung Gästekarteikarten eines historischen Schweizer Luxushotels. Er veröffentlicht sie als Buch. Seine Recherchen würfen ein neues Licht auf den Umgang mit Juden in der Schweiz, sagt er.
Das Grand Hotel Waldhaus zog vor allem im 19. Jahrhundert, aber auch später noch Menschen aus der ganzen Welt an, die sich den Luxus in Vulpera leisten konnten. Um die maximal 300 Gäste kümmerten sich zu Hochzeiten 300 Angestellte. Der Kurort im Schweizer Engadin ist umringt von Bergen. Die Gäste kamen aus New York, Paris, London und Berlin, bis das Hotel vor gut 30 Jahren niederbrannte – vermutlich wegen Brandstiftung. Ein Täter wurde nie gefasst.
Das Gasthaus war mehr als nur ein Prestigeort für die Reichen. Der Fotograf Lois Hechenblaikner kennt seine Geheimnisse – aufgezeichnet auf Tausenden Gästekarteikarten. Nun ist sein Buch erschienen "Keine Ostergrüsse mehr! - Die geheime Gästekartei des Grand Hotel Waldhaus Vulpera", dass er zusammen mit Andrea Kühbacher und Rolf Zillinger veröffentlicht hat.
Er sagt: "Dieses Buch wird wahrscheinlich auch so etwas wie die Gewissenserforschung der Schweizer Seele sein". Es helfe, darüber nachzudenken, "wie der Antisemitismus auch in der Schweiz seine tragischen Umtriebe gefeiert hat".

Mörder und Opfer im selben Speisesaal

Auf einer Ausstellung über Hotels im 19. und 20. Jahrhundert sah Hechenblaikner die ersten Hinweise und Gästekarteikarten, die ihn sofort elektrisiert hätten. Er sei zum Entschluss gekommen, er müsse dringend ein Buch darüber machen.
Gemeinsam mit der Kulturwissenschaftlerin Andrea Kühbacher fand er weitere Karten in Archiven - und die Verbindung zu insgesamt 20.000 solcher Karteikarten. Doch ein Detail ließ sie aufhorchen. Auf den Karten sind Kürzel vermerkt, wie "P" oder "PPP". Kühbacher fand heraus, dass das P ein Code für "Palästina-Schweizer" ist, also für jüdische Schweizer. Je mehr "P"s draufstehen, desto böser sei der Jude gewesen. Damit würdigten die Angestellten des Hotels jüdische Gäste herab.
Außerdem würden die Karten beweisen, dass Nazis genauso im Hotel übernachteten wie Juden. "Das heißt, im Speisesaal sind die Mörder und die Opfer zusammen gewesen", sagt Hechenblaikner.

Neues Licht auf die Schweiz

Nach diesen Funden seien er und Kühbacher wie in Trance nach Hause gefahren, erzählt Hechenblaikner. "Weil wir etwas entdeckt haben, was ein neues Licht auf die Schweiz wirft."
Natürlich habe es auch positive und lustige Einträge gegeben. So würden die Karten "die Menschheit abbilden, in jeder Couleur in einem Grandhotel". Sie würden erzählen, wie die Gäste mit den Angestellten umgegangen seien. Die wiederum hätten sich mit den Bemerkungen gerächt. Einer der aus Sicht der Hotelangestellten negativsten Einträge war: "Keine Ostergrüsse mehr". Das bedeutete, dass eine Person im Hotel nicht mehr gern gesehen war.
Das Buch ist für Hechenblaikner die Öffnung eines einmaligen zeithistorischen Archivs. Nun könnten weitere Historiker und Kulturwissenschaftler tiefer in das Thema Antisemitismus in der Schweiz eintauchen.
(sbd)

Lois Hechenblaikner/Andrea Kühbacher (Hg.): "Keine Ostergrüsse mehr! - Die geheime Gästekartei des Grand Hotel Waldhaus Vulpera"
Edition Patrick Frey 2021
388 Seiten, 52 Euro

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