Die Geige des Bruno Apitz
Er schrieb "Nackt unter Wölfen" und war schon zu Lebzeiten eine strittige Person. Jetzt wurde bekannt, dass Bruno Apitz in Buchenwald Geige spielte. Damit prägte er maßgeblich die Kultur des Lagers. Sein Instrument wird bald wieder zu hören sein.
Die Geschichte dieser Geige beginnt vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts. Matthias Cressin, Geigenbauer aus Weimar, hat das museale Stück wieder bespielbar gemacht. In seiner Werkstatt schaut er mit einer Lupe hinein in den Corpus, wo sich noch Reste eines früheren Klebezettels befinden. Mehr leider nicht.
"Sie mutet so ein bisschen französisch an, es könnte auch eine Berliner Geige sein. Berliner Geigenbauer Anfang des 20. Jahrhunderts waren stark französisch beeinflusst."
Bruno Apitz spielte während seiner Zeit im KZ Buchenwald auf diesem Instrument, unter anderem das, was sein Mithäftling Jozef Kropinski im Lager komponierte. Einige hundert Stücke soll er verfasst haben. Die Titel kann man den Liederbüchern entnehmen.
So makaber es klingt, es gab Kultur im Lager auf dem Ettersberg bei Weimar – legal und illegal, so Rikola Gunnar Lüttgenau, stellvertretender Direktor der Gedenkstätte Buchenwald.
"Dann gab es auch heimliche Kabarett-Abende, die sehr politisch waren, von denen niemand etwas wusste, da durften nur die sicheren Kameraden daran teilnehmen. Und dann gab es aus verschiednen Entwicklungen her, zum einen gab es Literaturabende, wo rezitiert wurde, zum anderen gab es auch die Lagerkapelle, es gab ja auch ein Häftlingskommando, das offiziell Musik machen musste. Musik war nicht nur tröstend, Musik war auch malträtierend."
Malträtierend, wenn Märsche oder Lieder gespielt wurden für Arbeitskommandos, Appelle oder die Neuankömmlinge. Bruno Apitz war 8 Jahre lang inhaftiert. Er arbeitete als Bildhauer und führte dort Aufträge der Lagerleitung aus. Er war aber auch im so genannten Pathologie-Kommando eingeteilt und dafür zuständig, dass Wissenschaftler Leichenteile als Präparate erhielten.
Und er machte Musik. Dass jener inhaftierte Kommunist, der zuvor die Lager in Colditz und Sachsenburg überlebte, ebenso das Zuchthaus in Waldheim, im Grunde seiner Seele Schauspieler, Conférencier und Geigenspieler war, interessierte später in der DDR nicht vordergründig. Es galt, Apitz als Widerstandskämpfer zu verstehen, als Buchautor von "Nackt unter Wölfen" – nicht aber als Geiger.
"Eben auch zu DDR-Zeiten – die Kultur im Lager galt als läppisch. Es ging um den politischen Kampf und darum, die Instrumentalisierung zu DDR-Zeiten zu dekonstruieren, indem man die Vergangenheit überhaupt erst mal wieder rekonstruierte, wie es denn eigentlich im Lager gewesen ist, welche verschiedenen unterschiedlichen Geschichten es gab."
Bruno Apitz gehörte zu jenen, die Schauspiel, Konzerte, ja selbst eine Oper und so genannte "bunte Abende" organisierten.
"Wo verschiedene Stücke gespielt wurden, wo selber aber auch tatsächlich Musikstücke, Schauspielstücke geschrieben wurden, wo Lieder komponiert wurden, eingeübt wurden, die in verschiedenen Sprachen gespielt wurden, und da spielte tatsächliche Bruno Apitz eine der wichtigsten Rollen, weil er selber diese Stücke geschrieben hat selber als Schauspieler aufgetreten ist."
Die Familie schickte Noten – nichts durfte er behalten
Er spielte Sketche und eben Geige. Seine Familie schickte ihm ein Instrument und Noten ins Lager, er durfte nichts davon behalten. Später bekam er, unter welchen Gegebenheiten auch immer, eine Geige von einem anderen Häftling, der den Sinti und Roma angehörte. Und hier beginnt die Geschichte der Geige im Lager und die Wiederentdeckung, erklärt Martin Kranz, Intendant des Festivals ACHAVA.
"Die einzige Geige, die im KZ Buchenwald erhalten geblieben ist, oder besser gesagt, zurückkam, ist die Geige von Bruno Apitz."
In den kommenden Tagen soll die Geige nun erstmals wieder im Rahmen dieses Festivals vor Publikum erklingen. Damit verbunden ist die Geschichte rund um den Häftling mit der Nummer 2417: Bruno Apitz.
"Das war schon eine unglaubliche Nachricht, das hatte ich - und hätten wir - nie erwartet, dass Bruno Apitz auch Musik gemacht hat und dass etwas übrig geblieben ist und dass er etwas hinterlassen hat."
Nämlich: Liederbücher und Noten, Programmzettel und die Namen jener polnischen, jüdischen Mithäftlinge aus seinem Lageralltag. Später gab er viele Einzelheiten dokumentarisch zu Protokoll.
Stück für Stück setzt sich nun also eine neue Geschichte zusammen – rund um ein Instrument, das bis vor kurzem im Depot der Gedenkstätte schlummerte. Dorthin gab es die Witwe des auch umstrittenen DDR-Schriftstellers. Marlis Apitz lebt heute noch in Berlin, sie erinnert sich noch genau an ihren ersten Besuch in der Wohnung ihres späteren Mannes:
"Die Geige war immer da. Als ich das erste Mal in die Wohnung kam, dort war es kärglich, sah ich die Geige in der Ecke an der Wand stehen."
Einer, für den alles zu spät kam.
Marlis Apitz war 38 Jahre jünger als ihr späterer Ehemann Bruno und war die Liebe seines Lebens. Oft wird gemunkelt, ob er jüdisch war? Dies könne man aus heutiger Sicht nicht belegen.
Wohl aber einen neuen Teil seiner Familiengeschichte. Apitz ist der Sohn eines Max Fröhlich aus Leipzig und damit sind die oft beschriebenen elf Geschwister nur seine Halbgeschwister. Wer genau dieser Max Fröhlich war, ist unbekannt. Nur so viel: Es war nach bitterer Enttäuschung die große Liebe seiner Mutter.
"Für meinen Mann war es dann Gewissheit, weil er es gespürt hatte, das heißt, in einem Alter, er war bestimmt 65-70, als er das erfuhr. Bei ihm kam alles zu spät. Alles."
Vielleicht auch die Liebe. Doch es waren glückliche Jahre, gesteht Marlis Apitz. Beide bekamen eine Tochter. Vater Bruno habe ihr hin und wieder auf jener Geige aus dem Lager vorgespielt, ohne viel darüber zu erzählen. Die Geige war einfach da, original verpackt mit einem von ihm selbst handgenähten Tuch bedeckt, in einem kleinen alten Geigenkasten.
"Und ich nehme an, er hat das Köfferchen mit dem Hab und Gut bei seiner Befreiung einfach mit nach Hause genommen."
Nach dem Tod ihres Mannes, gab Marlis Apitz das Instrument an die Gedenkstätte Buchenwald.
Zu diesem Zeitpunkt war ihr Mann ein international übersetzter Autor des Romans "Nackt unter Wölfen", bereits zu DDR-Zeiten verfilmt und seitdem mit viel Reibungsfläche behaftet.
Es geht um die Frage der Selbstbefreiung des Lagers, die Rolle des Widerstandes und um den kleinen Jungen - jenes Buchenwaldkind, das im Fokus stand. Marlis Apitz relativiert:
"Das ist nicht mehr anfechtbar. Die Selbstbefreiung hat stattgefunden, aber nicht so wie im Film dargestellt. Das war eine Überhöhung. Dafür war es eben ein Roman."
Im Rahmen des ACHAVA-Festivals wird Matthias Wollong von der Staatskapelle Dresden die Geige von Bruno Apitz erstmals wieder spielen. Es ist der Auftakt einer Entdeckung mit Nachklang:
"So ein Instrument gibt auch immer etwas zurück, für einen Musiker hat so was eine Seele."