"Buchhandel hat für mich einen Volksbildungsauftrag"
Linke Schriftsteller gründeten 1976 in Berlin eine Buchhandlung, die den Autoren gehören sollte. Anspruch und Kennerschaft des Personals sind geblieben, die politische Leidenschaft ist hingegen verblasst. Heute könne man größerer Leichtigkeit agieren, sagt Marc Iven, der die autorenbuchhandlung leitet.
Ulrike Timm: Wenn es in den großen Buchhandlungen fast nur noch Bestseller gibt, dann machen wir das Geschäft eben selber, im Sinne der Literatur! – Was klingt wie Kommerztrotz von heute, ist eine Idee, die mittlerweile 35 Jahre auf dem Buckel hat. 1976 gründete sich in Berlin die autorenbuchhandlung wider den Schnelldurchlauf der Buchproduktion, wider den Kommerz. Eigentümer waren unter anderem – bitte festhalten! – Günter Grass, Heinrich Böll, Ingeborg Drewitz und Klaus Wagenbach. Über die Idee und was aus ihr geworden ist, spreche ich mit Marc Iven, der die autorenbuchhandlung in Berlin heute leitet, schönen guten Tag, Herr Iven!
Marc Iven: Guten Tag, vielen Dank für die Einladung!
Timm: Da sind ja ganz große Namen, eine große Idee: Wir machen das Geschäft selbst! Das war auch eine typische 70er-Jahre-Haltung. Haben denn tatsächlich Autoren in der Buchhandlung bedient?
Iven: Ja, das gab es durchaus auch, dass es natürlich bestimmte Tage gab, wo die Autoren sich zusammengefunden haben und in der autorenbuchhandlung bedient. Und ich denke, das war auch eine große Qualität der autorenbuchhandlung, dass man dort aufeinandergetroffen ist: der Leser, der Verleger, und mit dem Autor zusammen. Das ist natürlich eine unglaublich tolle, kommunikative Plattform damals schon gewesen.
Timm: Wenn ich richtig informiert bin, hat auch eine der prominenten Literarinnen von heute, Sibylle Lewitscharoff, lange bei Ihnen als Buchhändlerin gearbeitet?
Iven: Ja, sie war auch in der autorenbuchhandlung mit tätig und hat dort als Buchhändlerin mitgearbeitet. Und es gibt natürlich auch viele andere: Es gibt tolle Fotos, Durs Grünbein an der Kasse, Ingo Schulze, manchmal ein bisschen, so halb angerötet, weil man natürlich auch über Dinge befragt wird als Autor, die man zunächst mal nicht sofort weiß und wo man sich ins Buchhändlerleben hineinversetzen muss, wo der Buchhändler natürlich auch seinen persönlichen Humus, seine Recherchemöglichkeiten anwerfen muss, um dem Kunden weiterzuhelfen.
Timm: Bedient ein Autor anders? Ich meine, man darf ja nicht nur in seinem Sinne bedienen.
Iven: Ich bin sicher, dass er ein bisschen anders bedient, weil er ja vor allem natürlich aus seinem Erfahrungsschatz schöpfen kann und der Buchhändler natürlich so etwas hat wie ein Studium generale. Für mich ist es der wirklich persönlich schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann, weil er einfach so vielfältig ist. Man wird eben nicht zum Hochschulprofessor, indem man so sehr tief einsteigt, aber man kriegt eine unglaublich tolle Breite und kann auch da dann natürlich in die Tiefe gehen, je nach Interessensfeld. Aber es ist ein wunderbarer Beruf, der natürlich den Buchhändler auch zum Experten werden lässt. Und die Autoren haben da natürlich auch schon gemerkt im Verkauf, oh, das ist vielleicht doch sehr viel anspruchsvoller, als der ein oder andere denkt.
Timm: Kramen wir mal ein bisschen nach den Wurzeln: 1976 gegründet, eindeutig auch eine Spät-68er-Idee, Kampf gegen das Establishment, ein Ausdruck, den man heute, glaube ich, selbst wenn man ihn denkt, nicht mehr so benutzt. Wie sah der konkret aus, der Kampf gegen das Establishment des Buchhandels in den Anfangsjahren?
Iven: Also, das war sicher auch so, dass sowohl die Autorenschaft als auch die Verleger wirklich gesagt haben, wir müssen alles, was am Rand ist, alles, was absurd ist, eckig ist, wirklich auch in die Mitte rücken. Das hat auch natürlich qualitativ Gutes. Und was aber, im damaligen Buchhandel gab es ja schon das Bestreben wirklich, wir machen Hochstapelei, wir zeigen unheimlich viele Bestseller, aber ein Lyrikband, das interessiert doch im Prinzip überhaupt niemanden mehr. Und das war schon damals ein großes Problem, dass zum Beispiel Lyriker, aber auch Autoren, die vielleicht auch politisch aktiv waren, gar nicht mehr vorgekommen sind so auf der großen Fläche.
Timm: Hochstapelei heißt dann im normalen Buchhandel auch, ein Zwei-Meter-Turm von Bestseller-Titel Platz eins und …
Iven: … ganz genau, genau.
Timm: Haben Sie die autorenbuchhandlung 2008 gemeinsam mit Joachim Fürst übernommen, leiten sie heute. Das heißt, die Idee mag ja mental noch verankert sein, aber die autorenbuchhandlung in dem Sinne ist dann auch, über die Jahre, hat sich verflüchtigt?
Iven: Also, die Idee der autorenbuchhandlung als Kollektiv, als Künstlersozietät, das hat sich insofern verflüchtigt, weil man natürlich, das ist ja eine ganz natürliche Geschichte, dass es heute sehr viele Erben und Erbinnen gibt dieser Autoren. Der eine oder andere ist eben leider verstorben, und jetzt können Sie sich vorstellen, wenn weit über hundert Leute noch mitreden wollen, dann wird das eigentlich eine Totgeburt, das ist sehr schwierig. Aber was überlebt hat, ist im Prinzip das Destillat dieser 35 Jahre – oder damals 33 Jahre – autorenbuchhandlung, nämlich wirklich das Essenzielle unserer Kultur, sei es der europäischen oder auch nordamerikanisch geprägten Kultur in der Zeit nach der Zeit der Aufklärung, wirklich abzubilden.
Und das ist was, was, ich finde, wirklich zeitlos ist und wo die autorenbuchhandlung im Prinzip heute noch so dasteht, wie sie 1976 angetreten ist: Einen roten Faden zu ziehen, ein Angebot zu machen und daran eben aufgereiht wirklich die Perlen unserer Kultur. Und ich glaube, das war genau 1976 auch der Beweggrund der damaligen Buchhändler, Thomas Kühne, Helma von Kieseritzky, so anzutreten und zu sagen, mit Leidenschaft trete ich dafür ein, dass unsere Kultur wieder ein Publikum findet. Und da hatten sie natürlich in den Autoren die allerbesten Partner, das waren ja die größten Fürsprecher für diese Idee.
Timm: Ich glaube, Hans Magnus Enzensberger war es, der das Ganze sehr gewerkschaftlich sah und auch sehr, sehr politisch. Das sieht man heute fast ein bisschen mit Lächeln. Kann man sagen, Konzept nach Jahrzehnten ehrenvoll gescheitert, Idee bleibt?
Iven: So drastisch würde ich das nicht ausdrücken. Ich glaube, es ist einfach heute noch mal eine andere Herangehensweise: Gegen was kämpfen wir? Also, ich glaube, dass man einfach in den Spät-70er-Jahren oder Mitt-70er-Jahren auch mit der RAF-Bewegung, mit dem, sich wirklich absolut positionieren zu müssen, auch mit den beiden Blöcken noch, die DDR, die BRD, das waren noch mal ganz andere Dinge, gegen die man sich auflehnen musste, die einem auch unglaublich viel Angst gemacht haben. Ich glaube, heute können wir mit einer etwas größeren Leichtigkeit, aber bitte genau mit der gleichen Ernsthaftigkeit an die Sache rangehen.
Es ist so, der Buchhandel hat für mich einen Volksbildungsauftrag. Immer ohne Zeigefinger, aber doch natürlich dem Publikum zugewandt und einfach … Wir spüren es ja, wie wahnsinnig viele junge Leute zu uns in den Laden strömen, wo der Buchhandel zum großen Teil auch jammert, es gibt eigentlich den Nachwuchs nicht – und ich kann das nicht erkennen. Sie haben auch gerade ja davon gesprochen, dass es sozusagen, dass in bestimmten Buchhandlungen wirklich Flächen gemietet werden können. Das kann bei uns gar nicht der Fall sein, bei uns ist es wirklich so, dass die Buchempfehlung von uns Buchhändlern gemacht wird und die dann natürlich auch im Fenster liegt. Und das zieht natürlich das Publikum auch hinein.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen über 35 Jahre autorenbuchhandlung in Berlin mit Marc Iven, der sie heute leitet. Und Sie haben gesagt, Volksbildungscharakter, machen wir doch mal die Probe aufs Exempel: Hatten Sie den neuen Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer vorrätig oder mussten Sie ihn bestellen?
Iven: Was glauben Sie, als das, als der Name fiel, da fiel von mir jegliche Anspannung ab, da habe ich gedacht: Wir sind total auf der sicheren Seite! Und das ist natürlich ein Humus, den unsere Vorgänger auch gelegt haben, auf dem wir heute arbeiten können. Das war die helle Freude, wir konnten, ich konnte den Laden aufsperren, konnte seine Bücher ins Fenster legen und es hat, ich glaube, nicht mal zwei Stunden gedauert, war natürlich alles sofort weg. Aber man spürt natürlich, das Publikum kommt in den Laden rein und geht eigentlich auch davon aus, dass wir die Titel – und sei es die Backlist, die 30 Jahre alt ist oder 25 Jahre alt ist – am Lager haben, weil es einfach auch zu unserer Kultur der autorenbuchhandlung gehört.
Timm: Wenn sich dieser grundpolitische Gedanke doch ein wenig, sagen wir, verdünnisiert hat zugunsten eines literarischen, eines Bildungsauftrags, den Sie immer noch spüren, kämpfen Sie denn heute Seite an Seite mit allen kleineren Buchhandlungen überhaupt gegen die ganz Großen oder gegen den Online-Markt?
Iven: Eigentlich nicht. Also, oder, was heißt, eigentlich nicht … Ich habe überhaupt kein Gespür dafür oder kein Gefühl dessen, dass das eine Bedrohung für uns darstellt, für die kleineren oder mittleren Sortimente. Das hat aber natürlich auch damit zu tun, dass ich ja in einer privilegierten Situation bin, wir haben sehr tolles …
Timm: … ich wollte gerade sagen, Sie sehen mein kleines Stirnrunzeln durchaus!
Iven: Ja, natürlich … Wir haben ein großartiges Publikum, wir sitzen in Berlin, das ist eine Stadt mit fast vier Millionen Einwohnern, der Humus ist da, auch ein Publikum. Aber ich kann durchaus verstehen, dass es den kleineren Sortimenten auch in kleineren Städten oder auch auf dem Dorf, auf dem Land, große Angst macht, weil das Publikum natürlich verwöhnt ist. Wenn es regnet, dann wollen sie gar nicht raus, aber im Prinzip ist es so, ich glaube, es hat sehr viel damit zu tun, wie stelle ich meine Buchhandlung auf, bin ich erkennbar in meiner Buchhandlung, wie ist mein Profil? Man soll sich ein Profil geben, das ist das A und O, denke ich, im Buchhandel, dass man seiner eigenen Buchhandlung ein Profil gibt und nicht auf 50 Quadratmeter versucht, Hugendubel zu sein, das kann überhaupt nicht funktionieren. Und Hugendubel, andere, Thalia, ich nenne viele größere, die scheitern ja auch daran, dass sie die gewaltigen Flächen füllen müssen – und zum Teil mit Trash.
Timm: Und je händlerischer ein Buchhändler ist, desto weniger geht sein Kunde womöglich davon aus, dass er liest?
Iven: Ja, händlerisch heißt ja für mich eigentlich eher, dass es wirklich eine sinnliche Erfahrung ist, dass der Buchhändler auch tatsächlich bibliophil sein sollte. Dann kann er sein Publikum auch binden.
Timm: Und es gibt aber noch mehr autorenbuchhandlungen. Sind Sie heute immer noch so eine verschworene Gemeinschaft, für die so ein Autor wie [Louis] Begley auch mal ein Buch schreibt?
Iven: Also, die autorenbuchhandlungen sind ja heute alle nicht mehr von Autoren geführt, arbeiten nicht mehr in dem Kollektiv. Aber wir sind natürlich lose in Kontakt, das auf jeden Fall, weil wir natürlich aus einer Tradition kommen. Und natürlich versuchen wir uns auch mit den literarisch anspruchsvollen Buchhandlungen zusammenzutun.
Timm: Wie ein Konzept sich abschleift und eine Idee dabei doch bestehen bleibt, darüber sprach ich mit Marc Iven. 35 Jahre Berliner autorenbuchhandlung gilt es zu feiern, kann man, glaube ich, sagen. Danke für Ihren Besuch hier im Studio! Und noch ein Hinweis auf eine Literatursendung heute Abend bei uns um 19:30 Uhr: "Abschied von Gutenberg. Das Überleben des Buchhandels in Zeiten der Digitalisierung", heißt es dann. Und auch unsere "Debatte" wird sich heute dem Buch widmen. – Herr Iven, ich danke Ihnen!
Iven: Vielen Dank!
Informationen der autorenbuchhandlung
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Marc Iven: Guten Tag, vielen Dank für die Einladung!
Timm: Da sind ja ganz große Namen, eine große Idee: Wir machen das Geschäft selbst! Das war auch eine typische 70er-Jahre-Haltung. Haben denn tatsächlich Autoren in der Buchhandlung bedient?
Iven: Ja, das gab es durchaus auch, dass es natürlich bestimmte Tage gab, wo die Autoren sich zusammengefunden haben und in der autorenbuchhandlung bedient. Und ich denke, das war auch eine große Qualität der autorenbuchhandlung, dass man dort aufeinandergetroffen ist: der Leser, der Verleger, und mit dem Autor zusammen. Das ist natürlich eine unglaublich tolle, kommunikative Plattform damals schon gewesen.
Timm: Wenn ich richtig informiert bin, hat auch eine der prominenten Literarinnen von heute, Sibylle Lewitscharoff, lange bei Ihnen als Buchhändlerin gearbeitet?
Iven: Ja, sie war auch in der autorenbuchhandlung mit tätig und hat dort als Buchhändlerin mitgearbeitet. Und es gibt natürlich auch viele andere: Es gibt tolle Fotos, Durs Grünbein an der Kasse, Ingo Schulze, manchmal ein bisschen, so halb angerötet, weil man natürlich auch über Dinge befragt wird als Autor, die man zunächst mal nicht sofort weiß und wo man sich ins Buchhändlerleben hineinversetzen muss, wo der Buchhändler natürlich auch seinen persönlichen Humus, seine Recherchemöglichkeiten anwerfen muss, um dem Kunden weiterzuhelfen.
Timm: Bedient ein Autor anders? Ich meine, man darf ja nicht nur in seinem Sinne bedienen.
Iven: Ich bin sicher, dass er ein bisschen anders bedient, weil er ja vor allem natürlich aus seinem Erfahrungsschatz schöpfen kann und der Buchhändler natürlich so etwas hat wie ein Studium generale. Für mich ist es der wirklich persönlich schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann, weil er einfach so vielfältig ist. Man wird eben nicht zum Hochschulprofessor, indem man so sehr tief einsteigt, aber man kriegt eine unglaublich tolle Breite und kann auch da dann natürlich in die Tiefe gehen, je nach Interessensfeld. Aber es ist ein wunderbarer Beruf, der natürlich den Buchhändler auch zum Experten werden lässt. Und die Autoren haben da natürlich auch schon gemerkt im Verkauf, oh, das ist vielleicht doch sehr viel anspruchsvoller, als der ein oder andere denkt.
Timm: Kramen wir mal ein bisschen nach den Wurzeln: 1976 gegründet, eindeutig auch eine Spät-68er-Idee, Kampf gegen das Establishment, ein Ausdruck, den man heute, glaube ich, selbst wenn man ihn denkt, nicht mehr so benutzt. Wie sah der konkret aus, der Kampf gegen das Establishment des Buchhandels in den Anfangsjahren?
Iven: Also, das war sicher auch so, dass sowohl die Autorenschaft als auch die Verleger wirklich gesagt haben, wir müssen alles, was am Rand ist, alles, was absurd ist, eckig ist, wirklich auch in die Mitte rücken. Das hat auch natürlich qualitativ Gutes. Und was aber, im damaligen Buchhandel gab es ja schon das Bestreben wirklich, wir machen Hochstapelei, wir zeigen unheimlich viele Bestseller, aber ein Lyrikband, das interessiert doch im Prinzip überhaupt niemanden mehr. Und das war schon damals ein großes Problem, dass zum Beispiel Lyriker, aber auch Autoren, die vielleicht auch politisch aktiv waren, gar nicht mehr vorgekommen sind so auf der großen Fläche.
Timm: Hochstapelei heißt dann im normalen Buchhandel auch, ein Zwei-Meter-Turm von Bestseller-Titel Platz eins und …
Iven: … ganz genau, genau.
Timm: Haben Sie die autorenbuchhandlung 2008 gemeinsam mit Joachim Fürst übernommen, leiten sie heute. Das heißt, die Idee mag ja mental noch verankert sein, aber die autorenbuchhandlung in dem Sinne ist dann auch, über die Jahre, hat sich verflüchtigt?
Iven: Also, die Idee der autorenbuchhandlung als Kollektiv, als Künstlersozietät, das hat sich insofern verflüchtigt, weil man natürlich, das ist ja eine ganz natürliche Geschichte, dass es heute sehr viele Erben und Erbinnen gibt dieser Autoren. Der eine oder andere ist eben leider verstorben, und jetzt können Sie sich vorstellen, wenn weit über hundert Leute noch mitreden wollen, dann wird das eigentlich eine Totgeburt, das ist sehr schwierig. Aber was überlebt hat, ist im Prinzip das Destillat dieser 35 Jahre – oder damals 33 Jahre – autorenbuchhandlung, nämlich wirklich das Essenzielle unserer Kultur, sei es der europäischen oder auch nordamerikanisch geprägten Kultur in der Zeit nach der Zeit der Aufklärung, wirklich abzubilden.
Und das ist was, was, ich finde, wirklich zeitlos ist und wo die autorenbuchhandlung im Prinzip heute noch so dasteht, wie sie 1976 angetreten ist: Einen roten Faden zu ziehen, ein Angebot zu machen und daran eben aufgereiht wirklich die Perlen unserer Kultur. Und ich glaube, das war genau 1976 auch der Beweggrund der damaligen Buchhändler, Thomas Kühne, Helma von Kieseritzky, so anzutreten und zu sagen, mit Leidenschaft trete ich dafür ein, dass unsere Kultur wieder ein Publikum findet. Und da hatten sie natürlich in den Autoren die allerbesten Partner, das waren ja die größten Fürsprecher für diese Idee.
Timm: Ich glaube, Hans Magnus Enzensberger war es, der das Ganze sehr gewerkschaftlich sah und auch sehr, sehr politisch. Das sieht man heute fast ein bisschen mit Lächeln. Kann man sagen, Konzept nach Jahrzehnten ehrenvoll gescheitert, Idee bleibt?
Iven: So drastisch würde ich das nicht ausdrücken. Ich glaube, es ist einfach heute noch mal eine andere Herangehensweise: Gegen was kämpfen wir? Also, ich glaube, dass man einfach in den Spät-70er-Jahren oder Mitt-70er-Jahren auch mit der RAF-Bewegung, mit dem, sich wirklich absolut positionieren zu müssen, auch mit den beiden Blöcken noch, die DDR, die BRD, das waren noch mal ganz andere Dinge, gegen die man sich auflehnen musste, die einem auch unglaublich viel Angst gemacht haben. Ich glaube, heute können wir mit einer etwas größeren Leichtigkeit, aber bitte genau mit der gleichen Ernsthaftigkeit an die Sache rangehen.
Es ist so, der Buchhandel hat für mich einen Volksbildungsauftrag. Immer ohne Zeigefinger, aber doch natürlich dem Publikum zugewandt und einfach … Wir spüren es ja, wie wahnsinnig viele junge Leute zu uns in den Laden strömen, wo der Buchhandel zum großen Teil auch jammert, es gibt eigentlich den Nachwuchs nicht – und ich kann das nicht erkennen. Sie haben auch gerade ja davon gesprochen, dass es sozusagen, dass in bestimmten Buchhandlungen wirklich Flächen gemietet werden können. Das kann bei uns gar nicht der Fall sein, bei uns ist es wirklich so, dass die Buchempfehlung von uns Buchhändlern gemacht wird und die dann natürlich auch im Fenster liegt. Und das zieht natürlich das Publikum auch hinein.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen über 35 Jahre autorenbuchhandlung in Berlin mit Marc Iven, der sie heute leitet. Und Sie haben gesagt, Volksbildungscharakter, machen wir doch mal die Probe aufs Exempel: Hatten Sie den neuen Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer vorrätig oder mussten Sie ihn bestellen?
Iven: Was glauben Sie, als das, als der Name fiel, da fiel von mir jegliche Anspannung ab, da habe ich gedacht: Wir sind total auf der sicheren Seite! Und das ist natürlich ein Humus, den unsere Vorgänger auch gelegt haben, auf dem wir heute arbeiten können. Das war die helle Freude, wir konnten, ich konnte den Laden aufsperren, konnte seine Bücher ins Fenster legen und es hat, ich glaube, nicht mal zwei Stunden gedauert, war natürlich alles sofort weg. Aber man spürt natürlich, das Publikum kommt in den Laden rein und geht eigentlich auch davon aus, dass wir die Titel – und sei es die Backlist, die 30 Jahre alt ist oder 25 Jahre alt ist – am Lager haben, weil es einfach auch zu unserer Kultur der autorenbuchhandlung gehört.
Timm: Wenn sich dieser grundpolitische Gedanke doch ein wenig, sagen wir, verdünnisiert hat zugunsten eines literarischen, eines Bildungsauftrags, den Sie immer noch spüren, kämpfen Sie denn heute Seite an Seite mit allen kleineren Buchhandlungen überhaupt gegen die ganz Großen oder gegen den Online-Markt?
Iven: Eigentlich nicht. Also, oder, was heißt, eigentlich nicht … Ich habe überhaupt kein Gespür dafür oder kein Gefühl dessen, dass das eine Bedrohung für uns darstellt, für die kleineren oder mittleren Sortimente. Das hat aber natürlich auch damit zu tun, dass ich ja in einer privilegierten Situation bin, wir haben sehr tolles …
Timm: … ich wollte gerade sagen, Sie sehen mein kleines Stirnrunzeln durchaus!
Iven: Ja, natürlich … Wir haben ein großartiges Publikum, wir sitzen in Berlin, das ist eine Stadt mit fast vier Millionen Einwohnern, der Humus ist da, auch ein Publikum. Aber ich kann durchaus verstehen, dass es den kleineren Sortimenten auch in kleineren Städten oder auch auf dem Dorf, auf dem Land, große Angst macht, weil das Publikum natürlich verwöhnt ist. Wenn es regnet, dann wollen sie gar nicht raus, aber im Prinzip ist es so, ich glaube, es hat sehr viel damit zu tun, wie stelle ich meine Buchhandlung auf, bin ich erkennbar in meiner Buchhandlung, wie ist mein Profil? Man soll sich ein Profil geben, das ist das A und O, denke ich, im Buchhandel, dass man seiner eigenen Buchhandlung ein Profil gibt und nicht auf 50 Quadratmeter versucht, Hugendubel zu sein, das kann überhaupt nicht funktionieren. Und Hugendubel, andere, Thalia, ich nenne viele größere, die scheitern ja auch daran, dass sie die gewaltigen Flächen füllen müssen – und zum Teil mit Trash.
Timm: Und je händlerischer ein Buchhändler ist, desto weniger geht sein Kunde womöglich davon aus, dass er liest?
Iven: Ja, händlerisch heißt ja für mich eigentlich eher, dass es wirklich eine sinnliche Erfahrung ist, dass der Buchhändler auch tatsächlich bibliophil sein sollte. Dann kann er sein Publikum auch binden.
Timm: Und es gibt aber noch mehr autorenbuchhandlungen. Sind Sie heute immer noch so eine verschworene Gemeinschaft, für die so ein Autor wie [Louis] Begley auch mal ein Buch schreibt?
Iven: Also, die autorenbuchhandlungen sind ja heute alle nicht mehr von Autoren geführt, arbeiten nicht mehr in dem Kollektiv. Aber wir sind natürlich lose in Kontakt, das auf jeden Fall, weil wir natürlich aus einer Tradition kommen. Und natürlich versuchen wir uns auch mit den literarisch anspruchsvollen Buchhandlungen zusammenzutun.
Timm: Wie ein Konzept sich abschleift und eine Idee dabei doch bestehen bleibt, darüber sprach ich mit Marc Iven. 35 Jahre Berliner autorenbuchhandlung gilt es zu feiern, kann man, glaube ich, sagen. Danke für Ihren Besuch hier im Studio! Und noch ein Hinweis auf eine Literatursendung heute Abend bei uns um 19:30 Uhr: "Abschied von Gutenberg. Das Überleben des Buchhandels in Zeiten der Digitalisierung", heißt es dann. Und auch unsere "Debatte" wird sich heute dem Buch widmen. – Herr Iven, ich danke Ihnen!
Iven: Vielen Dank!
Informationen der autorenbuchhandlung
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.