Buchhandlungen in der Coronakrise

Der einzige geöffnete Kulturraum

05:46 Minuten
Eine Verkäuferin mit Mundschutz steht inmitten von Bücherregalen und schaut in die Kamera.
Ein Buchgeschäft in Karlsruhe, das nun wieder öffnen durfte. © picture alliance / GES / Markus Gilliar
Von Gerd Brendel |
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Sie gehören zu den wenigen Kulturinstitutionen, die geöffnet sind. Das macht Buchhandlungen zu einem Ort für Menschen, die Halt suchen – und die Händler zu ihren Seelsorgern. Unser Autor Gerd Brendel hat sich umgehört.
„Bücher sind Lebensmittel“ lautet ein beliebter Werbeslogans des Buchhandels. Und nach dieser Logik war es nur folgerichtig, dass wenigstens in zwei Bundesländern während der letzten Wochen neben Supermärkten eben auch Buchläden öffnen konnten. Und mit einem Mal wurden Buchhändlerinnen und Buchhändler zu mehr als Verkäufern: plötzlich waren sie Seelsorgerinnen, Ritterprinzen und Philosophen für ihre Kunden.
In der Buchhandlung Akoluth in Berlin-Prenzlauer Berg sind Kundinnen auf eine so offene Art und Weise ins Gespräch gekommen, wie Besitzerin Christiane Hahn es noch nie erlebt hat:

„Ich glaube es hatte damit zu tun, dass die Buchhandlungen zum einzigen geöffneten Kulturraum wurden. Wir umkreisten unser neues Sein ohne Theater, ohne Literaturhäuser, es war ja nichts mehr da.“

Es wird zusammen geweint

So wurden Orte wie Hahns Laden eine Art Heimat für alle, die orientierungslos durch leergefegte Fußgängerzonen taumelten. Es seien viele Freiberufler, Kreative und auch Mütter vorbeigekommen, die sich überfordert fühlten. So seien Gespräche über die aktuellen Zustände und Emotionen entstanden. Leute hätten ihr erzählt, was alles weggebrochen ist und ihre Existenzängste, wenn es darum ging, dass die Miete nicht gezahlt werden kann. Dies sei so weit gegangen, dass sie manchmal gemeinsam mit ihren Kunden geweint hätte.
Frieder Rörtgen, von der Buchhandlung „Schwarze Risse“ in Berlin Kreuzberg, hat ähnliche Geschichten zu erzählen:

„Ich habe den Eindruck, dass viele unserer Kunden alleine leben, und das hier einer der wenigen Orte ist, wo sie das loswerden wollen, fragen wollen, diskutieren wollen und auch zehn Minuten hängenbleiben und einen Vorwand suchen um eine Einschätzung heraus zu kitzeln, was es noch für Positionen gibt zu Corona.“

„Wir müssen zusammenhalten“

Auch die Bücher, die er verkauft, spiegeln die aktuelle Situation wieder: „Die Pest“ von Albert Camus, „Die Pest zu London“ von Daniel Dafoe, aber auch Bücher über die Vogelgrippe vom Soziologen Mike Davis – nur „Die Liebe in Zeiten von Cholera“ läuft nicht so gut.
Im Nachbarbezirk Schöneberg erlebt Roland Müller-Flashars in der queeren Buchhandlung „Prinz Eisenherz“ seine Kunden von einer ganz neuen persönlichen Seite:
„Alle erzählen von ihren Ängsten und Sorgen. Die wissen, dass wir genauso Ängste haben wie die. Da gibt es so einen solidarischen Austausch und unausgesprochen, wenn die Leute so aus dem Laden gehen: Wir müssen zusammenhalten.“
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